Das Stück „Hödlmoser. Aufstieg und Fall des letzten Ursteirers“ hatte im Rahmen des Werkstatt-Festivals Mitte September Uraufführung. „Achtzig“ sprach mit dem Hauptdarsteller Jimi Lend über die Aufführung, den Stoff und das Theatermachen in der Steiermark.
Text: Stefan Zavernik
Du hast im Vorfeld davon gesprochen, dass diese Rolle vielleicht so etwas wie die Rolle deines Lebens werden könnte. Wie hat sich die Premiere angefühlt?
Die Premiere war ein sehr intensives Geburtserlebnis. Nachdem ich monatelang mit der Rolle schwanger gegangen bin und sie im kleinen Kreissaal unseres Ensembles mit Leben füllte, konnte ich endlich in der dichten Atmosphäre des Saales der Kirchenwirtin in Sankt Oswald/Möderbrugg erleben, wie die Handlungen und Worte beim Publikum ankommen und welche Reaktionen sie auslösen. Die Stimmungskurve im Saal bewegte sich zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt und das Bad in der Menge während und nach der Vorstellung, inmitten von mich anstrahlenden und beglückwünschenden Zuschauerinnen und Zuschauern, war herzerfrischend. Auch die zweite Premiere in Hödlmosers Urheimat Fohnsdorf am folgenden Tag war ein Hammer.
Das Stück tourt nun durch die Steiermark und durch verschiedenste Orte in ganz Österreich. Was erwartest du dir von dieser Tournee?
Einen Triumphzug steirischer Weltkunst. Viele Lacher, einige Tränen, glühende Spannung, ansteckende Lust und ausverkaufte Theatersäle und Gaststätten. Ich erwarte mir viele ausverkaufte Spielstätten. Interessante Begegnungen mit dem Publikum und eine noch intensivere Begegnung mit der Rolle, die mit jeder Vorstellung noch mehr Geheimnisse für mich preisgibt, die sich erst in der Spielsituation vor unbekannten Menschen entdecken lassen.
Du verkörperst im Stück die Figur eines ruralen Straftäters mit hemmungsloser Fabulierlust auf der Bühne. Wie viel Hödlmoser steckt in dir?
Mein Strafregister beschränkt sich aufs Erwischtwerden beim betrunkenen Fahrradfahren, wofür ich aber auch schon Zeit als Kunde eines Polizeianhaltezentrums verbrachte. Die Fabulierlust ist mir als Poet ins Steirer Mark eingeschrieben. Auch dem steirischen Rausch, dem Wald- und Bergbesuch, habe ich oft gefrönt und das bäuerliche Leben als Bäuerinnensohn in steirischer Hanglage kenne ich von Kindesbeinen an und lebe es bis heute.
Welchen Bezug hast du zum Buch?
Wir haben den Hödlmoser in der Schule durchgenommen und als rockiges Kultbuch gefeiert. Zudem war ich als Teenager einmal Teilnehmer einer Schreibwerkstatt bei Reinhard P. Gruber, was meine eigene Schreibtätigkeit entscheidend beflügelt hat.
Das Stück hat der gebürtige Steirer Bernd Watzka in Anlehnung an den 70er Jahre-Kult-Roman von Reinhard P. Gruber geschrieben. Weißt du, was ihn dazu gebracht hat, sich diesem Stoff zu widmen?
Bernd Watzka hat ihn jahrelang immer wieder gelesen und mit dem Gedanken gespielt, etwas daraus zu machen. Die Anlehnung ist eine Durchdringung des Stoffes. Fast alle Sätze entstammen dem Gruber’schen Original.
Wie weit entfernt sich das Stück inhaltlich und sprachlich vom Originaltext, der ja ein epischer ist?
Das Stück ist sehr nahe am Original in dem Sinne, dass es fast ausschließlich Texte aus dem originalen Hödlmoser verwendet. Bernd Watzka hat den Roman in die ihm bereits immanenten episodischen Einzelteile zerlegt, sie kunstvoll in Szenen montiert und die Münder der handelnden Figuren mit Grubers Kunstsprache gefüllt. Im Sinne dramaturgischer Entwicklung und theatralischer Spannung hat Watzka seine Montage anhand von einigen roten Fäden vorgenommen, wie der Einführung einer Richterin, die Hödlmoser zu seinen Schandtaten den Prozess macht, und einer heißen Eifersuchtsgeschichte, die so im Roman nicht explizit ausgeführt ist.
Wie schwierig ist es, auf der Bühne komisch zu sein?
Sehr schwierig oder mit einem guten Text und guten Mitspielenden sehr leicht. Meine Herangehensweise besteht darin, zu versuchen, die Pointen gelassen kommen zu lassen und sie nicht den Lacher erwartend zu verkaspern. Ernsthaftigkeit ist Grundbedingung einer gelungenen Komik, ich selbst lache später oder sehr selten auch schon bei den Proben.
Brecht hat angeblich gesagt, dass bei weniger als 40 Zuseher*innen im Publikum nicht gelacht wird. Braucht das Publikum eine gewisse Anonymität, um sich unterhalten zu lassen?
Ich widerspreche Brecht in diesem Punkt. Auch eine einzelne Person kann bereits herzhaft lachen. Eine einzige sich beim ehrlichen Lachen nicht zurückhaltende Person kann auch, egal bei welcher Publikumsgröße, den ganzen Saal anstecken.
Du bist neben der Schauspielerei auch als Regisseur und Theatermacher tätig. Was hat dich zum Theater gebracht?
Ich habe mich schon immer gerne exponiert beziehungsweise exponieren lassen und schon in der Volksschule regelmäßig eigens ersonnene Jausenpausengedichte vor der Klasse vorgetragen. Im Schultheater hatte ich mit Nicki Lechthaler und Rosi Belic die erste intensive Begegnung mit professionellen Theatermacher*innen und während meines daraus entstehenden ersten Engagements bei der Sommerproduktion des TiK im Palais Attems (Regie Norbert Hainschek), wo ich mit 16 meine ersten Schillinge mit Schauspiel verdiente, entdeckte ich, dass Schauspielen und Theatermachen ernsthafte Berufe sind, was für mich als halbes Landkind zu diesem Zeitpunkt neu war und mich mit bis heute anhaltender Begeisterung erfüllt.
Wie sehr ist die Schauspielerei einem Schauspieler deiner Meinung nach angeboren? Wie viel lässt sich erlernen?
Ich denke, die Fähigkeit, unsere Welt spielerisch zu erkunden, ist jedem Menschen bei der Geburt bereits mitgegeben und geht oft verschütt. Wenn man dafür bereit ist und die richtigen Techniken und gute Lehrmeister*innen kennenlernt, lässt sich alles erlernen. Man muss es wollen und man muss sich etwas trauen und etwas trauen dürfen.
Was macht für dich gutes Theater aus?
Gutes Theater entsteht für mich aus einem ernsthaften ehrlichen Ansatz und einem Forschungsdrang, der sich an der Erkundung der menschliche Seele und des menschlichen Zusammenlebens mit den anderen Lebewesen und Elementen orientiert. Das für mich unabdingliche Grundversprechen von Unterhaltung wird für mich sowohl durch Verstörung und Überforderung als auch durch szenische, körperliche und sprachliche Virtuosität und Komik eingelöst.
Was bedeutet es für dich, als Schauspieler erfolgreich zu sein?
Ein gut gefülltes Auditorium, das ich vor der Vorstellung hinter einem Vorhang oder einer Türe erspähe. Glühende Spannung und Konzentration dieses Auditoriums während ich mit meinen Mitspieler*innen interessanten Entwicklungen auf der Spur bin. Das Abwarten vor dem nächsten Einsatz, wenn ein eruptives Lachen wieder verebbt. Ein intensiver, lang anhaltender Applaus. Strahlende Augen von Zuschauer*innen und Kolleg*innen nach der Show. Schon zu wissen, was ich nach Ende einer Spielserie als Nächstes mache.
Wie wird dein Leben nach dem Hödlmoser aussehen? Welche Projekte stehen an?
Ich hoffe, ich werde diese Rolle noch oft und lange spielen und deswegen ist das Leben danach noch weit entfernt (die erste Tour geht bis 27. Oktober). Im Oktober spiele ich an der Grazer Oper auch noch einige Vorstellungen von Anatevka und mit dem Regisseur dieses höchst erfolgreichen Melancholicals Christian Thausing gehe ich im Frühling für eine Uraufführung nach Luxemburg. Dazwischen habe ich ein paar Drehtage und kann hoffentlich ein bisschen reisen. Dank einer gerade wieder erneuerten mehrjährigen Fördervereinbarung mit dem Land Steiermark wird es auch 2023–25 weiterhin eine jährliche Uraufführungsserie mit den Vitamins Of Society in Sankt Ulrich in Greith und Graz geben.