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Jüdisches Leben in Graz

Griesgasse in der Murvorstadt, um 1900, Stadtarchiv Graz Foto: Oskar Lenhart

Die Ausstellung im Graz Museum Sackstraße widmet sich als erste museale Ausstellung der Geschichte des jüdischen Lebens vom Mittelalter bis zur Gegenwart in Graz.

Text: Lydia Bißmann

Wie turbulent, vielfältig, bunt und fragil das Leben der jüdischen Gemeinde in Graz seit der ersten urkundlichen Erwähnung 1147 in der Steiermark und 1261 in Graz war und immer noch ist, zeigt die Ausstellung Jüdisches Leben in Graz. Bewusst wird hier der Fokus von Kuratorin Martina Zerovnik auf den Begriff Leben gesetzt und nicht wie schon so oft auf Tod und Terror des Wahnsinns der nationalsozialistischen Herrschaft. Einerseits wissen wir recht gut über den NS-Kontext auf Bezug auf das Judentum Bescheid, trotzdem klaffen oft große Wissenslücken, wenn es um das Judentum im Allgemeinen geht. Dass das Interesse daran sehr groß ist, zeigten Führungen durch das jüdische Graz, die als Begleitprogramm zur Dauerausstellung 360 GRAZ angeboten wurden. Dieser offensichtlich innige Wunsch nach mehr Informationen der Grazer Bevölkerung war ein Mitgrund, die lange geplante Ausstellung zu verwirklichen. Erklärtes Ziel ist es, alle Grazer Schülerinnen und Schüler ab der 7. Schulstufe zumindest einmal in die Ausstellung zu bringen.

In den 1930er-Jahren posiert die Familie Klein stolz als bürgerliche Grazer Familie für ein Foto

Es hätte auch anders kommen können

„Judentum zum Anfassen“ lautet das Motto. Es darf gespielt, angefasst und sehr viel gefragt werden. Wie wird man eigentlich Jude oder Jüdin, wie weit ist es nach Zion oder wie wird eine Kippa am Kopf befestigt? Diese Überlegungen und noch viele weitere werden im ersten Raum, durch den die Schau betreten wird, gestellt und beantwortet. Hier gibt es eine Menora, den typischen siebenarmigen Leuchter, einen jüdischen Kalender oder ein Schofar, ein Instrument aus Widderhorn, das an bestimmten Festtagen geblasen wird, oder einen Davidstern zum Anfassen, Ansehen und Begreifen. Vieles, das man vielleicht immer schon über das Judentum wissen wollte, ist gar nicht so leicht zu beantworten, da es viele jüdische Identitäten und Lebensweisen gibt. Ein Dreidel schafft hier Abhilfe. Ein Dreidel ist ein jüdisches Kinderspielzeug, das auf jede gestellte Frage vier Antwortmöglichkeiten gibt. Der kluge Kreisel fungiert in der Ausstellung als allgemeines Symbol für das jüdische Leben, das von Willkür, Verfolgung, Gemeinschaft und Vielfalt geprägt ist. Einmal in Bewegung, nimmt die Geschichte ihren Lauf. Sie hätte aber auch anders ausgehen können.

Die Ausweisungsurkunde für Grazer Juden von König Maximilian I., 18. März 1496

Verschwörung und Verdrängung

Von diesem zentralen Eingangsportal der Schau aus können sich die Besucherinnen und Besucher entscheiden, ob sie in Richtung der Epochenräume Willkür und Verfolgung oder Gemeinschaft und Vielfalt abbiegen wollen. Willkür ist das Thema, das das mittelalterliche Leben von Juden beherrschte. An vielen europäischen Orten und auch in Graz, wo es zwei große mittelalterliche Judenvertreibungen gab. Letztere, initiiert von König Maximilian I., dauerte sogar fast vier Jahrhunderte an. Die Motive, Politik und Machtstreben, hatten mit den Juden selbst wenig zu tun. Sie dienten als Spielball und Sündenböcke. Von 1496 bis in die 60er-Jahre des 19. Jahrhunderts konnten Juden und Jüdinnen nur noch zu temporären Anlässen wie Jahrmärkten in die Stadt. Dieser Raum ist auch optisch von Leerstellen geprägt, da vom jüdischen Leben im Mittelalter wenig überliefert ist. Eines der wenigen Zeugnisse von mittelalterlichem jüdischem Leben, das sich vorwiegend in Bereichen der Herrengasse (vormals Judengasse), Frauengasse und Fischer-von-Erlach-Gasse erstreckte, ist der Grabstein des Rabbi Nissim aus dem Jahr 1387 in der Grazer Burg. Der Epochenraum Verfolgung ist streng gegliedert und soll beim Betrachten den zynischen Logistikwahn der Nazis verdeutlichen. Hier sind unzählige Listen von als jüdisch eingestuften Menschen oder der Aufzählung von den Besitztümern jüdischer Betriebe zu sehen. Behandelt wird die Zeit von den ersten antisemitischen Ausschreitungen gegen als jüdisch wahrgenommene Institutionen wie das Margaretenbad, das in jüdischem Besitz war und auch von einem jüdischen Architekten geplant wurde. Spätestens 1939 mussten alle Jüdinnen und Juden die Stadt verlassen. Das NS-Terrorregime erklärte Graz 1940 als „judenfrei“.

Abbruch der Synagoge in Graz, November 1938

Selbstbewusstes Leben mittendrin

Der Ausstellungsraum Gemeinschaft bildet die Zeit jüdischen Lebens in Graz zwischen der Dezemberverfassung 1867 von Kaiser Franz Joseph I., der die jüdische Bevölkerung rechtlich gleichstellt und die freie Ausübung ihrer Religion erlaubt, bis in die Zwischenkriegszeit ab. Hier geht es um den Aufbau der neuen Synagoge im Jahr 1892, um Themen wie Kindheit, Schule, Universität, Frauenfragen, Zionismus, Heldentum, Sport und Freizeit. Die Bezirke Lend und Gries waren damals Arbeits- und Wohngegenden der jüdischen Bevölkerung. Fotos und andere Lebensdokumente sind auf farbigen Stellwänden präsentiert. Gruppenfotos sollen das Gefühl der Gemeinschaft, aber auch von Selbstbewusstsein und Selbstbestimmung verstärken. Dieser farbenfrohe und positiv gehaltene Auftritt mündet in den Raum Vielfalt, in dem die Zeit der zweiten Rückkehr von Jüdinnen und Juden in die Stadt bis in die Gegenwart behandelt wird. Die 2000 wiedererrichtete Synagoge bildet hier die Klammer in die prosperierende Zeit der jüdischen Gemeinschaft vor dem Krieg. In Videointerviews berichten heute in Graz lebende Jüdinnen und Juden von ihrem ganz persönlichen Zugang zum Judentum und ihrem Leben in der Stadt, wie sie heute ist.

Rohbau der neuen Grazer Synagoge, 2000

Jüdisches Leben in Graz
Ausstellung in Zusammenarbeit mit der Jüdischen Gemeinde Graz und dem Centrum für Jüdische Studien an der Uni Graz.

Bis 27.8.2023, Mo–So, 10–18 Uhr
Graz Museum, Sackstraße 18, 8010 Graz

www.grazmuseum.at