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Auf der Flucht vor dem eigenen Schatten

In der deutschsprachigen Erstaufführung von Evald Flisars „Sonnenflecken“ im Theater im Keller versucht eine Familie, sich von schuldhafter Bedrückung, hervorgerufen durch Verdrängungsprozesse und jahrelange Vertuschungen, zu befreien.

„Warum verfolgt mich mein Schatten überallhin?“, fragt Gregor, der Familiennarr mit Handicap und zum Poeten schöngeredete junge Mann, einmal in diesem Stück aus der Feder des slowenischen Erfolgsautors Evald Flisar. Und obgleich der Ausspruch in der deutschsprachigen Erstaufführung von Regisseur Alexander Kropsch gestrichen wurde, ist er doch einer der zentralen Sätze dieses Stücks. Wie alle von Flisars (scheinbar) realistischen Stücken wirkt auch dieses gewissermaßen als experimentelle Versuchsanordnung. „Einerseits kann mit dem Schatten eine Erweiterung der Persönlichkeit in Richtung der persönlichen Schwächen und zerstörten Hoffnungen gemeint sein, andererseits kann es sich dabei um eine Jung’sche Akkumulation verleugneter und nicht akzeptierter persönlicher Charakterzüge handeln, die mit der Zeit ein Eigenleben im Unterbewussten gewinnen“, so Alfred Haidacher, Leiter des TiK, der sich mit Flisar-Texten auskennt wie kaum jemand sonst. Ist Sonnenflecken doch das dreizehnte Stück eines der meistübersetzten Autoren unserer slowenischen Nachbarn und damit der drittletzte Schritt im Versuch, als erstes Theater der Welt alle seine dramatischen Arbeiten aufzuführen.

Evald Flisars Stück hat sich als Weihnachtsstück verkleidet und kommt als Komödie daher, die eigentlich ein Drama ist

Eine verkleidete Komödie

Im Mittelpunkt der Handlung von Sonnenflecken steht eine Familie, in der jedes Mitglied einen Schatten hinter sich trägt, von dessen schuldhafter Bedrückung es sich zu exkulpieren wünscht. Der Familienschatten ist das Ergebnis der unterschiedlichsten Verdrängungsprozesse, Täuschungen und falschen Rechtfertigungen. „Der Titel ist vordergründig aber eine Relativierung. Denn zu bestimmten Zeiten sorgt einfach die Konstellation der Sonnenflecken für das Stattfinden von Ereignissen, da können die Menschen gar nichts dafür“, so Haidacher. Besonders macht das Stück auch die Tatsache, dass es sich als Weihnachtsstück verkleidet hat und als Komödie daherkommt, die eigentlich ein Drama ist. Oder ist es umgekehrt, und es handelt sich um ein Drama, das eigentlich eine zutiefst menschliche Komödie ist? McGuffin – also die Handlung antreibende Figur und Katalysator gleichermaßen – ist das Auftreten eines – vielleicht echten – Weihnachtsmannes, der dazu beiträgt, dass das jährliche Treffen im Zeichen von Verschweigen und Verlogenheit erstmals die familiären Schatten ans Tageslicht bringt. Allerdings ohne Wirkung, denn die Verdrängungsmechanismen setzen wieder ein. Eine Familie als Perpetuum mobile der Lebenslüge.         

Im Mittelpunkt der Handlung von Sonnenflecken steht eine Familie, die von ihren Lebenslügen eingeholt wird

Vorstellungen: 24., 25. Februar & 2., 3., 4., 8., 9., 10., 11. März 2023, jeweils 20 Uhr

Theater im Keller
Münzgrabenstraße 35, 8010 Graz

www.tik-graz.at