Vor genau zwanzig Jahren wurde die Grazer Murinsel zu Wasser gelassen. Nach vielen bewegten Jahren hat sich das schwimmende Wahrzeichen von einem spektakulären Kunst- und Designobjekt zu einer belebten Kulturlocation entwickelt.
Text: Lydia Bißmann
2003 hat sich Graz neu erfunden. Das Kulturhauptstadtjahr war bis dato die größte Kulturveranstaltung Österreichs und hinterließ nicht zuletzt in der Grazer Architektur ihre Spuren. 100 Projekte und 6.000 Kulturveranstaltungen fanden statt, zwölf Gebäude wurden im Laufe des Jahres errichtet. Neben Literaturhaus, Helmut-List-Halle, Kindermuseum und Stadthalle wurde das stark von Barock und Gründerzeit geprägte Stadtantlitz mit gleich zwei futuristischen Neo-Wahrzeichen versorgt. Mit dem „Fiendly Alien“ erhielt Graz ein neues Kunsthaus, mit der Murinsel eine Attraktion, die zum Design Icon der Stadt werden sollte. Die Murinsel wird seitdem als Veranstaltungsort, Aussichtsplattform, Café oder schlicht als Möglichkeit zum Überqueren des Flusses genutzt. Ihr Erfinder, Vito Acconci, wuchs in der Bronx auf und begann seine Karriere in den 60er-Jahren als Dichter und Poet. In den 70ern erregte er mit avantgardistischen Videoarbeiten und Body-Performances Aufsehen und wandte sich schließlich Raum- und Architekturinstallationen zu. Er wollte mit der 450 Tonnen schweren Stahlkonstruktion, die aus zwei Kuppeln besteht und an eine aufgeklappte Muschel erinnert, eine Art verbindende Plattform zwischen den beiden Murufern schaffen. Die 50 mal 20 Meter große Insel mitten in der Stadt, die wie ein Schiff konstruiert ist, steht tatsächlich nie still und gibt so die Bewegungen des Wassers an ihre Besucher weiter.
Öffentlicher Raum statt „Art Thing“
Bewegt ist auch die Geschichte der Murinsel, die ursprünglich als reines Graz-2003-Projekt gedacht war und deren Zukunft lange im Ungewissen lag. Auch die Grazerinnen und Grazer selbst brauchten eine Zeit, um sich an die schwimmende Plattform auf dem Stadtfluss zu gewöhnen und sie regelmäßig zu nutzen. Vielen war der Fluss für das spektakuläre Konstrukt zu klein, der finanzielle Aufwand zu groß, der Nutzen für die Bevölkerung nicht so richtig klar ersichtlich. Schwere Hochwasser 2012 und 2018 machten Schutzmaßnahmen vor Treibgut notwendig. Nur Touristinnen und Touristen schlossen das Objekt mit dem Amphitheater unter freiem Himmel sofort ins Herz und nutzen es seit 2003 als eines der beliebtesten Grazer Fotomotive. Nach der Generalsanierung wird seit 2017 ein neues Bespielungskonzept umgesetzt. Durchaus im Sinne der Ideen von Robert Punkenhofer und Vito Acconci. „Ich hoffe, dass das Projekt nicht so sehr als Kunstwerk betrachtet wird, sondern als Ort, den Leute besuchen und in Besitz nehmen. Ich hätte es nicht so gerne als Art Thing verstanden, sondern vielmehr als Ort, an dem die Leute einander treffen, kommunizieren, essen, trinken, sich wohlfühlen. Wo Theater passiert, verschiedene Musik gespielt wird“, so Vito Acconci kurz vor der Eröffnung 2003 in einem Interview.
Organisches Wachstum statt Masse
Ein lebendiges, buntes Kulturprogramm, das vorrangig von Akteuren der heimischen Szene bestritten wird, hat dazu geführt, dass die Insel mittlerweile von einer reinen Sehenswürdigkeit zu einem mit über 100 Veranstaltungen pro Jahr gut genutzten Kulturort wurde. Möglich machte das die Sanierung und Umgestaltung vor sechs Jahren, die etwa einen Beamer für den Außenbereich als Benefit einbrachte. Seitdem gibt es hier regelmäßig Ausstellungen, Filmvorführungen, Lesungen sowie Musik- und Diskussionsveranstaltungen.Beim Sommerkino zeigt das Filmzentrum im Rechbauerkino von Juli bis September abends bei freiem Eintritt einen sorgfältig ausgesuchten Mix aus Klassikern, Evergreens und Arbeiten der heimischen Filmszene im Amphitheater unter freiem Himmel. Theaterkollektive wie die Vitamins of Society oder die Übü Family führen hier ihre Produktionen regensicher auf, da bei schlechtem Wetter die Vorstellungen im Innenbereich stattfinden können. Auch die Gastronomie wird nicht mehr von privaten Pächtern betrieben, sondern von der stadteigenen Graz 2003 Gesellschaft.
Sowohl im Café als auch im Souvenirshop im oberen Bereich wird besonders auf Regionalität Wert gelegt. Im kleinen und feinen Design-Laden finden sich ungewöhnliche Mitbringsel und Designprodukte wie Käferbohnen als Kuschelkissen oder Kleinmöbel aus upgecycelten Fahrradteilen, die von Grazer Designerinnen und Designern entworfen und hergestellt werden. Im Café kann der Ausblick auf die beiden Flussufer der Stadt aus einer ungewöhnlichen Perspektive erlebt und in aller Ruhe ein liebevoll zusammengestelltes Angebot an Getränken und kleinen regionalen (Süß-)Speisen genossen werden.
Highlights aus dem Murinsel-Schwerpunkt-Programm 2023
Sommerkino mit dem Filmzentrum im Rechbauerkino
Sommertheater mit den Vitamins of Society
Lesungen in Kooperation mit dem Literaturverein manuskripte (Andreas Unterweger)
Indoorkonzerte in Kooperation mit GamsbArt Jazz (Gerhard Kosel)
SingerSongwriter-Linie von Graz Connected (Peter Droneberger)
und vieles mehr