Das Osterfestival Psalm wirft von 1. Bis 10. April die zentrale philosophische Frage auf, was denn überhaupt Wahrheit sei.
„Ich bin in die Welt gekommen, um für die Wahrheit Zeugnis abzulegen“, sagt Jesus von Nazareth im Verhör vor dem römischen Statthalter Pontius Pilatus. Der Römer antwortet skeptisch: „Was ist Wahrheit?“ und wirft damit eine zentrale philosophische Frage auf, der sich auch das Programm der diesjährigen Osterfestspiele Psalm widmet. Und sie stellt sich heute mehr denn je. Welcher Wahrheit ist noch zu trauen in Zeiten von Fake News und Manipulation der Meinungen? Und wie ergeht es heute denen, die für die Wahrheit Zeugnis ablegen? Den Journalisten, die für die Wahrheit ins Gefängnis gehen, den Frauen, die der männlichen „Wahrheit“ archaischer Gesellschaften ihren Ruf nach Freiheit entgegenschleudern. Oder den Jugendlichen, die nicht mehr glauben, was man ihnen über die Zukunft unseres Planeten erzählt? Sie alle sind bereit, für die Wahrheit zu kämpfen.
Ein starkes Programm
Das tun auch die MusikerInnen von Psalm 2023. Etwa Fazil Say, Pianist und Bürgerrechtler aus der Türkei, der am 3. April Bachs Goldberg-Variationen als Spiegel höherer Wahrheit spielt. Oder Ulla Pirttijärvi, die am 4. April in Zurück zur Natur im Joik-Gesang ihrem Volk eine Stimme gibt, während Albin Paulus sich mit seinem Dudelsack in die Musik der künstlichen Natur des Rokoko versenkt. Am 5. April erzählt die Vienna Clarinet Connection in Der Wahrheit heil’ge Waffen, wie Mozart als Freimaurer die Welt verbessern wollte. Am Gründonnerstag wird bei In Vino Veritas dem Kelch des letzten Abendmahls die Wahrheit im Wein gegenübergestellt. Am Karfreitag erinnern die ergreifenden Töne von Arvo Pärts Johannespassion in Passio an den Willkürprozess gegen Jesus von Nazareth. Den Abschluss bildet Lascia La Spina am Ostermontag: Michael Hell und vier SängerInnen laden ins barocke Rom ein, wo der junge Händel die Wahrheit in verführerischen Tönen als Tochter der Zeit malt.
Foto: Jevgeni Kulikov
Große Eröffnung für die Kleinen
Bevor all das in der Helmut List Halle auf die Bühne kommt, ist es im Mitmachkonzert für die Kleinsten ab 3 Jahren am 1. April im Palais Attems ein Kind im Märchen Des Kaisers neue Kleider, das am Ende die Wahrheit sagt. Und tatsächlich ist dieses Märchen die ideale Eröffnung für das Festival, denn Wahrheit ist abhängig von der Perspektive der BetrachterInnen. Sie muss grundsätzlich subjektiv sein und ist nichts weiter als eine Übereinstimmung auf Zeit darüber, was eine Gesellschaft für wahr halt. Das ist so frustrierend wie herausfordernd, denn es zeigt, dass es die eine, allgemein gültige Wahrheit nicht geben kann.
Foto: Nikola Milatovic
