Das KULTUM zeigt bis Mitte Juli eine Personale, die dem Objektkünstler und Bildhauer Wilhelm Scheruebl gewidmet ist. Es geht dabei um Bewegung, Veränderung und Natur.
Text: Lydia Bißmann
Es ist eine sehr große und innige Schau, die Kurator Johannes Rauchenberger im KULTUM von Ende April bis Juli zur Person Wilhelm Scheruebl ausrichtet. Mit sehr vielen unterschiedlichen Objekten, Skulpturen, Videos, Fotos, Drucken, Malereien und Installationen wird dabei der künstlerische Prozess der letzten Jahrzehnte des Künstlers dem Publikum nähergebracht. Sie beziehen sich auf vergangene Arbeiten oder sind, wie die Malereien auf den Glastüren, extra entstanden. Es ist die Natur, die dabei eine Hauptrolle spielt. Das Thema „Gehen und Vergehen“ ist dabei eine Metapher über die Transformationsprozesse des Lebens an sich.
Gehen
Wilhelm Scheruebl geht als Bildhauer in die Natur und findet dort auch seinen Gestaltungsraum. Er arbeitet performativ, suchend, rezipierend. Wanderungen oder Skitouren, die der Künstler selbst unternommen hat, nehmen in seinen Arbeiten Gestalt an. In einem von oben gefilmten Video, das im Cubus gezeigt wird, zieht er als Tourengeher Linien in eine unberührte Schneelandschaft. Die Arbeit kann als Hommage an die Schönheit der Landschaft wie auch als Kritik an Massentourismus und den falschen Versprechungen des Kapitalismus gelesen werden. Es ist aber auch eine Anlehnung an Wunder aus der Bibel, wo Jesus über das Wasser gehen konnte. Nur dass dieses Wasser eben gefroren ist. Die Skulptur Sveti Jakob ist eine von der Decke hängende Stahlkonstruktion, die die Route einer absolvierten Fahrradtour von Radstadt nach Sveti Jakob in Kroatien als Linie nachahmt. Besucherinnen und Besucher dürfen zum Thema „Gehen” auch selbst etwas beisteuern. Wer ein getragenes Schuhband mitbringt, erhält dafür in der letzten Ausstellungszelle ein „Minus-Aquarell”, das echte Eisblumen, die aus gefrorener blauer Farbe entstanden sind, zeigt. Die Schuhbänder werden dann für die Arbeit Wege direkt in der Ausstellung verwendet werden.
Vergehen
Als junger Künstler machte Wilhelm Scheruebl mit einem von ihm entwickelten Skulpturbegriff auf sich aufmerksam, der die Pflanzen ins Zentrum seiner Kunst stellte. Er baute den natürlichen Prozess der Photosynthese als Gestaltungsprinzip in seine Arbeiten ein. Immer wieder war es in den vergangenen Jahrzehnten die Sonnenblume, deren materielle Substanz er in die Ausstellung holte, deren Schatten aber vielfach zur Kunst geworden sind. Seine Versuchsanordnungen von Sonnenblumen waren gleichermaßen ästhetisch wie auch naturwissenschaftlich. Im Südflügel erinnern zwei Objekte an ein Haus, das aus zahlreichen Sonnenblumenstängeln besteht. Es sind dieselben, die Scheruebl für seine Installation OIKOS in Salzburg 2022 verwendet hatte. In der Zelle zwei bilden bei der Arbeit Flugversuch Säcke mit Samen von Mariendisteln ein Objekt. Begleitet werden sie von Videos, die die reifen Mariendistelköpfe zeigen, die sich sanft im Wind wiegen, bevor sie ihre Samen verstreuen. Hier spielt unbeabsichtigte Veränderung eine Rolle: Ursprünglich wollte der Künstler die Samen nur für künftige Projekte aufbewahren, bevor daraus eine eigene Skulptur wurde. Bei Betongarten in Raum 7 wurden Blätter von Bäumen direkt in Beton abgegossen und erscheinen wie archäologische Funde. Die wabenförmigen Muster, die die Objekte am Boden bilden, sind Kulturkritik, was Wohnen, Garten und Terrasse anbelangt, und zitieren mit ihren Rosetten ländliche Kerbschnitzereien, wie man sie auf alten Häusern und Tramdecken im ländlichen Raum findet.
Leben
In der sehr umfangreichen Ausstellung sind aber auch Tafelbilder zu finden, die allerdings eine Transformation hinter sich haben, die aus der Bildhauerei kommt. Vor dem Franziskussaal hängen großformatige Werke mit dem Titel Steinbilder – Vera-Icon. Das strukturierende Prinzip dieser Bilder waren ursprünglich Abfälle von ganz frühen Steinbildhauerarbeiten, die der Künstler nicht entsorgte, sondern gesammelt hatte. Aus einem Prozess des Auftragens und wieder Entfernens auf eine Fläche entstehen so Krater und Leerstellen, die die Bilder bluten lassen, ihnen ein Eigenleben, eine Geschichte verleihen. Diese Verletzlichkeit und Stärke zugleich, die das Triptychon ausstrahlt, ist auch eine Art Zusammenfassung für die ganze Schau. In einer Epoche, wo Natur verstärkt als höchst bedroht und katastrophisch wahrgenommen wird, Medien zunehmend vor den Folgen des dramatischen Klimawandels warnen, wirken die Bilder, Drucke, Videos und Skulpturen von Wilhelm Scheruebl wie glänzende Werke aus einer anderen Welt. Sie wollen und sollen uns als Betrachter die Augen öffnen: für die Schönheit des Kosmos, der Schöpfung und der Welt.
Gehen und Vergehen, Wilhelm Scheruebl
Zu sehen bis 15.7.2023
Di–Sa: 11–17 Uhr, So: 15–18 Uhr
Kultum Galerie, Mariahilferplatz 3, 8020 Graz, (Kurator: Johannes Rauchenberger)
tickets@kultum.at, 0316 711 133
Die Ausstellung ist Teil der Galerientage Graz vom 12. bis 14.5.2023
Künstlergespräch mit W. Scheruebl: Sa, 13.5., 11 Uhr