Mit sehr viel Mut, Engagement und einer brennenden Leidenschaft für den Kurzfilm bereichert ein Grazer Veranstalterkollektiv nun schon seit vier Jahren die Stadt mit einem innovativen und internationalen Filmfestival von und – aber nicht nur – für junge Menschen.
Text: Lydia Bißmann
Cinema Talks ist ein unkonventionelles, bis ins Detail durchdachtes und enorm liebevoll und sorgfältig gestaltetes Filmfestival in Graz, das sich mit Leib und Seele dem Genre Kurzfilm verschrieben hat. Nach wie vor fristet der Kurzfilm auf der Kinoleinwand und auf Streamingplattformen oft ein Nischendasein. Jonathan Steininger (23), Zoe Borzi (22), Natalie Pinter (22) und Ines Handler (22) haben direkt nach ihrem Abschluss an der HTL Ortwein für Film- und Medienkunst aus dieser Not eine Tugend gemacht und sich selbst ein Festival erschaffen, das den Kurzfilm feiert. Auch sonst ist das Filmevent, das neben einem Wettbewerb auch Poetry Slam und bildende Kunst einbindet, genau auf die Zielgruppe junger, film- und kunstinteressierter Menschen zugeschnitten. Seit September 2019 gibt es das internationale Festival Cinema Talks im Schubert Kino Graz. Der Name ist hier Programm: Filme, die hier laufen, dürfen nicht mehr als 30 Minuten lang sein, für das hauseigene Format Movie Slam sind sogar nur zehn erlaubt.
Filme für alle
Filme machen kostet viel Geld und Zeit, weshalb der Kurzfilm oft als AnfängerInnenprojekt abgetan wird. Sehr zu Unrecht, wie Zoe Borzi findet, die gemeinsam mit Jonathan Steiniger von Anfang an im Festival-Team war, das inzwischen mit Eliam Lauppert (22) und Lara Rabitsch (22) auf sechs Personen angewachsen ist. In wenigen Minuten Charaktere einzuführen und eine Geschichte rund zu erzählen, ist schwer, kann aber eine unglaubliche Wirkung haben, wenn es gut gemacht ist. Um die 50 Stunden Kurzfilme sieht sich jedes einzelne Teammitglied vor der finalen Auslese in der Gruppe an. Für das Festival 2023 wurden etwa 1.700 Filme eingereicht, von denen nur 25 auf die Kinoleinwand durften. Das gemeinsame Besprechen der Wettbewerbsfilme ist auch eine Key-Message, die das Festival vermitteln will. „Filme reden mit uns, gehen von der Leinwand aus einen Dialog mit uns ein. Deswegen haben wir uns für den Titel Cinema Talks entschieden“ unterstreicht Zoe Borzi, die ihre ersten Dokumentarfilme mit 15 Jahren gedreht hat. Cinema Talks sieht sich nicht als Branchenveranstaltung für ExpertInnen an. Es will als „Festival fürs Publikum“ ein flirrendes, lebendiges „Festival-Erlebnis“ erschaffen, bei dem der Zugang zum Kurzfilm für alle erleichtert wird, bei dem diskutiert, gefeiert, gelacht und gestritten werden darf.
Diversität in der Festival-DNA
Cinema Talks ist auch im vierten Festivaljahr neu, frisch und anders. Diversität ist hier weder Pflicht noch Kür, es ist Teil der DNA der Veranstaltung. Eintritt muss keiner bezahlt werden, wer möchte, darf aber spenden. Anders ist hier auch die Gestaltung des Wettbewerbs. Es gibt keine Trennung zwischen Dokumentar- und Spielfilmen. Ist ein Film gut gemacht und berührend, muss er auch nicht bestimmten Qualitätskriterien entsprechen und kann auf einer Handykamera entstanden sein, wie der Beitrag When will the winter of 2022 end? von Anna Trofimova, die damit die ersten beiden Kriegswochen in Kiew als Tagebuch dokumentiert hat. Die eingereichten Filme werden oft rein intuitiv den Sparten Social, Entertainment, Inspiration und Extraordinary zugeordnet. Der bewusste Verzicht auf Konventionen ist auch ein wenig Fluch und Segen, da ein Film zum Nachdenken anregend, inspirierend und gleichzeitig lustig sein kann. Extraordinary deckt unter anderem innovatives Kino ab, zeigt Kurzfilme, die manchmal sperrig und oft experimentell sein können. Umso erstaunlicher war die Entwicklung, die diese Kategorie bei der heurigen Ausgabe vom Stiefkind der letzten Jahre zum Publikumshit unter den insgesamt 520 BesucherInnen entwickelte.
Ein Festival als Plattform
Cinema Talks ist ein internationales Festival, zeigt Filme aus 20 verschiedenen Ländern, bindet aber viele ansässige junge Kunst- und Kulturschaffende ein, da es sich auch als eine Plattform für den kreativen Austausch sieht. Mitmachen, mitbestimmen und mitreden ist Teil des Programms. Zwei Filmblöcke sind regionalen Filmschaffenden gewidmet, mit Schulvorstellungen will man den noch jüngeren Nachwuchs am Vormittag für den Kurzfilm begeistern. Beim Movie Slam, der das Festival traditionell eröffnet, darf eine zufällig getroffene Auswahl an Personen im Kinosaal über den Sieg bestimmen. Hier hat der Geschmack der Besucher*innen Vorrang vor einer Fachjury, die aus jungen, internationalen Filmschaffenden besteht. Vor den Vorführungen gibt es einen Auftritt von Slam-PoetInnen wie Florian Wintels (Deutschsprachiger Meister im Poetry Slam), Yannick Steinkellner (Österreichischer Meister im Poetry Slam), Elif Duygu und Agnes Maier, die die Menschen im Kinosaal thematisch auf die Filme einstimmen. Verlassen wird der Saal 1 im Schubert Kino über eine Ausstellung. Dieses Jahr haben vier junge, steirische Künstlerinnen Denise Kaya, Anna Fachbach, Debora Waltl und Mirjam Lingitz die Bilder zu je einem Film aus den verschiedenen Kategorien angefertigt. Barrierefrei und offen ist auch der Umgang mit den gezeigten Filmen, die während der Festivaltage gestreamt werden und nach Festivalende noch für zwei Wochen nachgesehen werden können. Das ganze Jahr über steht Kurzfilmfans in der Cinema-Talks-Videothek eine Auswahl an bereits gezeigten Filmen barriere- und kostenfrei zur Verfügung. Im August wird es im Sommerkino Leslie Open auch dieses Jahr wieder einen Tag der Kurzfilme aus dem Hause Cinema Talks geben.
Cinema Talks
Videothek und Kurzfilme zum Nachschauen unter www.cinema-talks.com