In Graz und steirischen Regionen lädt La Strada wieder zum Kunstfest für alle Generationen. „Achtzig“ im Gespräch mit Werner Schrempf über Vernetzungskunst und Kunstvernetzung und die Suche nach dem Paradies.
Text: Sigrun Karre / Stefan Zavernik
Das Festival La Strada verbinden die meisten Menschen mit oft spektakulärer familienfreundlicher Straßenkunst. Mittlerweile verwirklicht La Strada auch Community-Art-Projekte und längerfristige regionale sowie internationale Kunstprojekte, die nicht vordergründig Event-Charakter besitzen. Gibt es dennoch einen gemeinsamen Nenner, eine Art Leitbild, wofür La Strada stehen möchte?
Ganz wesentlich ist für uns tatsächlich, dass bei La Strada drei bis vier Generationen zusammenkommen können. Natürlich haben wir über 25 Jahre viel dazugelernt und weiterentwickeln können, weil wir über das IN-SITU-Netzwerk mittlerweile in der internationalen Szene Projekte gestalten und koproduzieren. Das Verbindende, das bei Community-Art-Projekten mit der Bevölkerung und innerhalb von Nachbarschaften entsteht, war und bleibt wesentliche Grundlage für unser Tun. Das „Fest“, das im Wort Festival steckt, die Idee, dass Kunst leidenschaftlich ist und Freude macht, war uns immer wichtig. Zugleich grenzen wir uns klar ab von reinem Entertainment und „Frontalunterricht“ in der Kunst. Daher hat uns besonders interessiert, wie man den öffentlichen Raum, der allen Menschen gehört, möglichst nachhaltig alternativ nutzen kann und nicht einfach nur dafür, um von DA nach DORT zu kommen.
Dialog und die Beteiligung der Bevölkerung werden bei La Strada großgeschrieben. Verordnen kann man das nicht, wie erreicht man das?
Wenn wir konkret über Community Art sprechen, dann erreicht man nichts von heute auf morgen. Tatsächlich ist ein großer Teil der Arbeit Vertrauensaufbau. Die Bildung einer Community ist immer ein Prozess: Wie man Angebote dafür machen kann, sind die Fragestellungen, mit denen sich die KünstlerInnen beschäftigen.
Heuer finden gleich mehrere Projekte in der Natur, konkret in einem Wald in Kalkleiten bei Graz statt. Wie ist La Strada nach dem Dachstein nun „auf den Wald gekommen“?
Diese Projekte bedürfen immer einer langfristigen Vorbereitung. Die Fragestellung, wie wir uns als Menschen in dieser Welt verhalten, ist etwas, was KünstlerInnen interessiert. Der Dachstein-Gletscher kann gut als ein Archiv für Kultur- und Naturgeschichte bezeichnet werden. Der Klimawandel ist einfach das große aktuelle Thema und betrifft uns in unterschiedlichen Bereichen und ist ein ergiebiges Feld für Forschung, auch für künstlerische Forschung. Deswegen haben wir Forschende verschiedener Disziplinen, WissenschaftlerInnen, KünstlerInnen, aber auch BewohnerInnen und weitere ExpertInnen zusammengebracht. Ähnlich ist die Herangehensweise bei den drei Projekten in Kalkleiten. Auch dort gibt es immer einen wissenschaftlichen Aspekt. So lädt beispielsweise Emke Idema unterschiedlichste TeilnehmerInnen, die alle über Expertisen verfügen, zu einem Austausch über unkonventionelle Erfahrungen ein. Geplant ist es, längerfristig den Wald bzw. Naturräume allgemein zu untersuchen. Ich bin überzeugt davon, dass Kunst, wenn sie ernsthaft und nicht nur zum Zweck des Entertainments stattfindet, an gesellschaftlichen Transformationsprozessen mitwirkt. Uns interessiert es, einen von Dogmen befreiten Raum für Fragen bereitzustellen.
Wie schwierig ist die Finanzierung eines so großen Festivals wie La Strada? Habt ihr in den letzten 25 Jahren alle Projekte umsetzen können und immer die geeigneten Partner gefunden?
Wir haben uns tatsächlich eine ziemlich breite Akzeptanz erarbeitet. Wenn wir eine Firma kontaktieren, dann müssen wir in der Regel nicht mehr erklären, was wir machen, und das Interesse für eine Zusammenarbeit ist groß. Budgetär gäbe es immer Luft nach oben. Wir verfügen aber jenseits des Finanziellen über unbezahlbares „Kapital“. Wir sind ein großartiges Team von Menschen, die vielfältiges Wissen, verschiedene Fähigkeiten und vor allem auch großen Enthusiasmus in die Arbeit investieren. Mir geht es nicht so sehr ums eigene Budget, wir sehen hier lieber große Zusammenhänge: Kooperation und Zusammenarbeit sollten stärker gefördert und unterstützt werden, das wäre für alle sinnvoll und fruchtbar.
Welche Erwartungen haben Sie persönlich an das Festival?
Für mich sind die schönsten Momente jene, wenn zum Beispiel am Karmeliterplatz in Graz eine zeitgenössische Tanzperformance stattfindet, in der KünstlerInnen engagiert und kritisch an den Themen unserer Zeit arbeiten. Wenn mehrere Generationen teilhaben an etwas, das in dieser Form so noch nicht stattgefunden hat, eine Geschichte erzählt wird, die uns alle meint. Wenn so etwas gelingt, dann freue ich mich wirklich. Oder wenn bei einer Residence in der Ramsau – in Vorbereitung für das längerfristige Projekt Signal am Dachstein 2024 – Resi Härtel mit ihren MusikkollegInnen zusammensitzt, ihre kompositorischen Skizzen vorstellt, gemeinsam geprobt wird und ihr Vater Hermann Härtel sen. über das Jodeln und die musikalische Kulturgeschichte der Region erzählt. Das sind die Momente, in denen man weiß, dafür zahlen sich alle Anstrengungen aus. Da entsteht auch sehr viel Vorfreude auf die zahlreichen Veranstaltungen für Signal am Dachstein 2024.
Kunst- und Kulturprojekte im öffentlichen Raum boomen aktuell. Sie sind mit La Strada Grazer Pionier auf dem Gebiet, was sind die Vorteile oder Chancen des öffentlichen Raums als „Spielraum“?
Der Boom ist nicht zuletzt pandemiebedingt entstanden. Ich halte es für eine gute Entwicklung, dass man vermehrt beginnt, für Menschen Kunst zur Verfügung zu stellen, die nicht per se kunstaffin sind. Kunst und Kultur sollen für alle da sein, das finde ich gerecht. Ich bin aber für maximale Vielfalt und daher zugleich ein klarer Befürworter von Kultureinrichtungen und finde ihre Verknüpfungen und Vernetzungen mit der freien Szene und Kunst im öffentlichen Raum besonders spannend. Theater, Musiktheater, Oper und Konzerthäuser sollen nicht verschwinden, im Gegenteil, vielleicht muss man ergänzend neue Formate erfinden, auch überlegen, wer darf mitentscheiden und mitgestalten in einer pluralistischen Gesellschaft.
In einigen diesjährigen Projekten steckt das Wort „Paradies“ im Namen. War das der Arbeitstitel des diesjährigen Programms?
Nein, die Titel von La Strada fallen uns zu, kristallisieren sich im Entstehungsprozess heraus. Das ist oft wie eine Eingebung, ab dem Moment, wo diese Zusammenhänge sichtbar werden, gestaltet man dann natürlich auch um das Thema herum. Meine künstlerische Aufgabe sehe ich darin, ein Programm so zu gestalten, dass ein Publikum sich in einem Beziehungsraum wiederfindet.
Wie interpretieren die KünstlerInnen des Festivals das Konzept des Paradieses in ihren Werken und Performances?
Uns interessiert die Fragestellung „Was ist das Paradies? Kommt es erst, oder sind wir schon mittendrin? Wer ist zuständig für die Erschaffung des Paradieses?“. In dem Zusammenhang sind natürlich Fragen zu Klimaentwicklung, Migration oder demokratischen Prozessen relevant. Im fantastischen Bühnenstück Dimanche der belgischen Formation Focus & Chaliwaté geht es z. B. um eine Familie, die den Weltuntergang erlebt, und das nicht ohne Humor. „Wer wird sichtbar in unserer Gesellschaft? Wohin flüchten Menschen? Werden die Erwartungen vom Paradies enttäuscht?“, solche Fragen werden auch in anderen Projekten untersucht.
Dieses Jahr gibt es auch eine Ausstellung im Kultum über Oppenheimer und die Atombombe, ist das die Antithese zum Paradies?
Sozusagen. Henry Jesionka kenne ich persönlich seit 1988, damals hat er mit Peter Weibel in den USA zusammengearbeitet, dann gab es ein Projekt von ihm beim steirischen herbst. Die aktuelle Ausstellung des Künstlers ist Ergebnis jahrelanger Arbeit, sie ist sehr schön inszeniert, faszinierend und verstörend gleichermaßen. Henry ist praktizierender Katholik, seine Arbeit befindet sich dadurch in einer Reflexion auf seinen Glauben, so verbindet sich das thematisch mit dem Paradies. Anton Zeilinger sagte jüngst in einem Ö1-Gespräch, dass er nicht nachvollziehen kann, wieso man Wissenschaft und Glauben in Konkurrenz setzt. Das ist natürlich aktuell auch ein präsentes Thema.
Welche langfristigen Ziele und Visionen verfolgt La Strada?
Die Vision ist, dass wir es schaffen, mit KünstlerInnen längerfristig zusammenzuarbeiten und die Produktionsbedingungen für heimische KünstlerInnen durch Internationalisierung der Netzwerke und vielleicht einmal die Infrastruktur für die Szene zu verbessern. Eine Transformation der Vorstellungskraft bzw. des Bewusstseins dafür, wie Kunst entsteht, wäre eine weitere Vision. Konkret z. B. das gängige Intendant:innen-Prinzip zu novellieren.
Gravity & Other Myths
„The Pulse“
Die La Strada-Eröffnungsproduktion „The Pulse“ vereint 24 ArtistInnen der – in Graz bereits bestens bekannten – australischen Compagnie Gravity & Other Myths und 36 ChorsängerInnen aus Barcelona auf der Bühne der Oper Graz. Mit bewegender Musik, raffiniertem Lichtdesign und meisterhaft choreografierter Akrobatik.
Oper Graz, 28.7., 31.7., 1.8., 19.30 Uhr, empfohlen ab 5 Jahren
Focus & Chaliwaté
„Dimanche
In der bizarr-gefühlvollen Inszenierung „Dimanche“ steht eine Familie im Zentrum, die am Sonntagstisch sitzend in Ritualen erstarrt, während draußen die Welt untergeht. Interdisziplinäres Spitzentheater, das nahezu alle Spielarten der Bühnenkunst ausreizt und dabei gänzlich ohne Sprache auskommt.
Next Liberty, 3.8., 4.8., 5.8., 19 Uhr, 75 min, empfohlen ab 8 Jahren
Emke Idema
„School of Unlived Worlds
Emke Idema, Floor Cremers und Marie Groothof öffnen bei La Strada die „School of Unlived Worlds“, einen experimentellen Lern-Raum für ungewöhnliche Erfahrungen.
Naturraum Kalkleiten/Stattegg;
29.7., 30.7., 31.7.: „School of Unlived Worlds“, 10.30–18 Uhr
2.8., 3.8.: Künstlerische Intervention, 13–17 Uhr
Details bei Anmeldung: www.lastrada-anmeldung.at/emkeidema
Circumstances
„EXIT
„Exit“ ist die Arbeit des jungen belgischen Choreografen Piet Van Dycke, die derzeit auf vielen europäischen Festivals gefeiert wird – eine spielerische und raffinierte Kombination aus Akrobatik, Tanz, Slapstick und Balance-Kunst
Vorstellungen in Graz, Landhaushof: 3.8., 4.8., 5.8., 18 & 21 Uhr
Vorstellung in Weiz, Elingasse, Kunsthaus: 1.8., 19 Uhr
55 min, empfohlen ab 8 Jahren
Zwermers
„Pan~// Catwalk“
Die niederländischen KünstlerInnen machen mit ihren zahlreichen Kleidungsstücken deutlich, wie fließend unsere Identität sein kann, und stellen den bunten und vielseitigen Menschen in den Mittelpunkt.
ÖWG Wohnanlage Hirtenkloster (Wienerstr. 166): 29.7., 10 Uhr, 40 min
Schlosspark Eggenberg: 30.7., 10 Uhr, 40 min
Stockergasse: 30.7., 18 Uhr, 40 min
Stadtparkbrunnen: 31.7., 18 Uhr, 3 h im Loop
Vorplatz Hauptbahnhof: 1.8., 18 Uhr, 3 h im Loop
Für die ganze Familie