Bei der Produktion „Das Demokratische Abendessen“ des Theater im Bahnhof im steirischen herbst geht’s ans Eingemachte, nämlich um Demokratie und die Frage „Was soll sich ändern?“. Aus diesem Anlass unternahm Johanna Hierzegger – langjähriges Ensemble-Mitglied und seit Frühjahr auch Teil des neuen Führungs-Quartetts – mit „Achtzig“ eine persönliche Rückschau auf die TiB-Geschichte und einen Ausblick auf das diesjährige herbst-Projekt.
Text: Sigrun Karre
Das TiB wartet auch in diesem Jahr mit einer Produktion im steirischen herbst auf, konkret mit einem theatralen Dinner. Für die Zuseher*innen bleibt die Quartierküche zwar voraussichtlich geschlossen, dafür wurde im Vorfeld von der TiB-Crew ebendort an mehreren Abenden für ausgewählte Gäste mehrgängig „schön“ aufgekocht und serviert. „Die Idee ist es, dadurch eine Struktur, einen gewissen Rahmen für Gespräche vorzugeben, die Material für das Projekt liefern, das dann in einer Art „Preenacten“ (O-Ton Ed. Hauswirth) weitergesponnen wird“ erläutert Johanna Hierzegger, die an diesen Abenden quasi als Küchenchefin fungierte. „Nebenbei“ ist sie seit Kurzem auch Teil des Leitungs-Quartetts des renommierten Off-Theater-Kollektivs. „Ich finde klasse, was wir erreicht haben. Ich will, dass es funktioniert, deswegen übernehme ich Verantwortung, denn diese ‚Familie TiB‘ zu haben, in so einem Umfeld arbeiten zu können, ist etwas ganz Seltenes, das ich ungemein schätze“, hält sie fest. Das Arbeiten im Kollektiv sei zwar in manchen Phasen des Prozesses auch anstrengend, aber zugleich Qualitätsmerkmal.
Off-Theater-Flow
Johanna Hierzegger, die in den Bereichen Bühnenbild, Ausstattung, aber auch Regie, Performance und Filmausstattung arbeitet und bei diversen Kunstprojekten mitmischt, ist eher zufällig 1995/96 Teil des TiB geworden. Als damalige Architekturstudentin war sie beauftragt, planerisch am Umbau von Räumlichkeiten am Lendplatz mitzuarbeiten. Kurze Zeit später fiel bei einer Produktion die Bühnenbildnerin aus. „Hallo Dienstmann war vor 28 Jahren meine Rutsche ins TiB, seither bin ich dabei!“ An diese Aufbruchphase erinnert sie sich gerne zurück: „Damals war das TiB bereits eine große Gruppe, die nach der Gründung im namengebenden Jugendwarteraum im Bahnhof über weitere Stationen dann am Lendplatz Quartier bezog. Die Lendplatz-Phase war enorm intensiv, da gab es innerhalb von zwei Monaten oft fünf Premieren, drei Vorstellungen am Tag, da war noch die Energie vorherrschend, auf uns aufmerksam zu machen, zu zeigen ‚Hallo, wir sind neu da!‘ Wie das alles schaffbar war, zumal wir ja alle nebenbei Brotberufe hatten und/oder studierten, weiß ich nicht mehr. Es war jedenfalls diese Gruppendynamik, wir haben uns gegenseitig mitgerissen.“ Den seither anhaltenden Boom hat das TiB unter anderem auch einem Bauunternehmer zu verdanken, der in den ersten Jahren auf ein im wahrsten Sinne alternatives Investment, nämlich eine „wilde“ Off-Theater-Gruppe setzte. Rückblickend betrachtet hatte er den richtigen Riecher.
Im Hier und Jetzt
Von der Anstellung im Theater alleine den Lebensunterhalt bestreiten, kann auch heute keine*r der 16 TiB-Macher*innen, alle arbeiten zusätzlich noch an anderen Projekten bzw. in anderen Bereichen. „Das hat Nachteile, aber auch den Vorteil, die Blase immer wieder zu verlassen, was befruchtend ist.“ Am solidarischen Grundgehalt wird festgehalten, zumal es für einige Ensemble-Mitglieder langsam näher in Richtung Pension geht.
Programmatisch steht das TiB auch heute noch für die Suche nach Antworten im Hier und Jetzt. Sei es die zunehmende Bodenversiegelung, der Murkraftwerksbau, der in Pandemie-Zeiten diffus verschwommene Begriff Freiheit, das massenhaft-trachtige „Aufsteirern“ in der Grazer Innenstadt, die kommunistische Bürgermeisterin, die Graz aufs Titelblatt der New York Times verhalf – und ein Berliner Paar mit DDR-Vergangenheit zu Fragen veranlasste … Die theatral-forschende Neugier ist auch nach rund 30 Jahren noch das Markenzeichen des TiB. „Die Themen brodeln förmlich um uns herum. Wir sind natürlich involviert, erfinden aber nichts im stillen Kämmerlein, sondern schöpfen aus Themen, Bildern, Eindrücken des uns umgebenden Jetzt in Graz oder darüber hinaus. Dabei interessiert uns, wie die Befindlichkeiten sind, uns interessiert zu erfahren, was verschiedene Menschen, die in der Stadt leben, denken und wahrnehmen, denn wir machen das Theater ja nicht für uns“, erklärt Johanna Hierzegger Haltung und Arbeitsweise.
Die Bereitschaft immer wieder Regisseur*innen von außen zu holen und Kooperationen einzugehen, mit dem Wiener Volkstheater, dem Schauspielhaus Graz, dem jungen Kollektiv „Planetenparty Prinzip“ oder eben mit dem steirischen herbst, hält Johanna Hierzegger für „eines der prinzipiellen Werkzeuge“, die dazu geführt haben, „dass wir nicht im eigenen Saft schmoren und dass es uns so lange gibt“. Es sei „wie ein Familienessen, wo jemand von außen dazukommt und plötzlich geben sich alle neu, sind wacher, als wenn man wie gewohnt zu dritt die Spaghetti isst und schon genau weiß, wer immer den ganzen Parmesan nimmt“, fügt sie schmunzelnd hinzu.
Dinner for eight
Spaghetti standen bei den Abenden von Teil 1 von Das Demokratische Abendessen dem Vernehmen nach nicht im mehrgängigen Menü, zu dem man Passant*innen im Bezirk Gries eingeladen hatte. Der Begriff Demokratie, ist nicht gerade das überschaubarste, aber womöglich gerade das brennendste Thema. Das Theater-Projekt erforscht als zentrale Frage, ob es noch möglich ist, im Gespräch miteinander zu Ergebnissen zu kommen. Einer gemischten „Tafelrunde“ aus jeweils 7 bis 8 Leuten wurde beim gemeinsamen Essen und Trinken die Eingangsfrage gestellt: „Was soll sich ändern?“ Die Audio- und Fotodokumentation der Abendessen bildet das Rohmaterial für das Weiterdenken und -entwickeln der Performance, die aktuell gerade im Entstehen ist. Zu erleben ab 28. September 2023 ab 20 Uhr im QUARTIER Theater im Bahnhof in der Elisabethinergasse 27a.
Das TiB wird dank seiner vielseitigen Theatermacher*innen wohl auch in Zukunft noch für einige Überraschungen sorgen. Johanna Hierzegger freut sich schon darauf, mit neuen technischen Möglichkeiten, die das umgebaute Quartier nun bietet, zu spielen. „Live-Schnitt übers Netz zu senden, so unmittelbar mit Bildgebung zu arbeiten, das reizt mich noch, da sind noch klasse Momente drinnen.“ Fast unironisch nimmt sie sich vor: „Im nächsten Leben werde ich Cutterin!“
Das Demokratische Abendessen
Große Fragen beim Essen lösen.
Premiere: 28.9.2023
weitere Vorstellungen: 29.9, 6.10, 7.10, 13.10 und 14.10.2023, jeweils 20 Uhr
QUARTIER Theater im Bahnhof, Elisabethinergasse 27a, 8020 Graz
Mit Eva Hofer, Elisabeth Holzmeister, Regie: Ed. Hauswirth. In Auftrag gegeben von steirischer herbst ʼ23. Produziert von Theater im Bahnhof in Koproduktion mit steirischer herbst.