Start Featureshome Protest!

Protest!

Foto: Friudays for Future Graz

Das Graz Museum zeigt noch bis Mitte April, wie und warum die Grazer Bevölkerung die letzten 80 Jahre auf die Straße gegangen ist und was sie sich dafür hat einfallen lassen. 200 unterschiedlichste Protestaktionen erzählen dabei Stadtgeschichte aus einer erfrischend anderen Perspektive.

Text: Lydia Bißmann

Zwei Proteste täglich soll es im Schnitt pro Tag in Graz geben. Einer Stadt, die eigentlich nicht so gut für Demos geeignet ist, da diese den öffentlichen Verkehr viel zu lange lahmlegen, was vor allem bei Umwelt- oder Klimaprotesten zu moralischen Konflikten führen kann. Dem Äußern von Unmut über Zustände aller Art im öffentlichen Raum ist nun eine gut strukturierte und fein durchdachte Schau im Graz Museum gewidmet, die Grazer Proteste in ihren unterschiedlichen Facetten auf sehr ansprechende Art und Weise präsentiert. Am Eingang kann etwa ein etwa aufblasbarer Gong geschlagen werden, der zur Belohnung dann eine Demopostkarte mit Raumplan ausspuckt. Einige Räume später darf man durch ein riesiges Megafon Phrasen skandieren, bis dann zum Schluss vor einem nachgebauten Erzherzog-Johann-Brunnen ein Film gezeigt wird, der die gezeigten Themenbereiche chronologisch einordnet und zusammenfasst. Besucher*innen können aufschreiben, an welchen Protesten sie selbst mitgemacht haben. Durch die Räume, die in Bildung und Kultur, Soziales und Gesellschaft, öffentlicher Raum und Verkehr, Umwelt und Ökologie, Feminismus und Gleichstellung und Graz und die Welt eingeteilt sind, führt eine nachgebaute Straße in Tischhöhe, auf der sich etwa 1.000 Figürchen tummeln. Stellvertretend für wichtige Grazer Proteste oder jene, zu denen es nur Bildmaterial gibt, greifen sich hier an den Kopf, stemmen die Plastikarme in die Hüften oder schreiten energisch aus.

Anti-Vietnam-Krieg-Demo in Graz, Jänner 1973
Foto: Branko Lenart

Lust und Frust

Auf die Straße gehen bedeutet gesehen werden, heißt gesehen werden wollen, weshalb auch völlig inaktive oder sehr zufriedene Besucher*innen in der Ausstellung auf Wohlbekanntes aus dem Alltag stoßen können. So finden sich hier das Kunststoffschwein des Vereins gegen Tierfabriken (VGT) oder auch der Grazer Huchen, eine Fischskulptur, die zum Symbol der Aktionen wurde. Egal, wie alt man ist, irgendeinem der gezeigten Proteste ist man im Leben schon einmal begegnet, wenn man nicht selbst dabei mitmarschiert ist. Seit April haben die beiden Kurator*innen Bernhard Bachinger und Annette Rainer Archive durchsucht, Kontakt mit unterschiedlichen Grazer Protest-Communities aufgenommen, Interviews geführt und Objekte, Fotos und Dokumente gesammelt. Dabei stießen sie auf großes Echo bei den Aktivist*innen, die nur zu gerne über ihre Aktionen, Engagements und auch Frustrationen sprechen. Nicht jeder Protest führte zu einem Ergebnis, viele Themen flackern regelmäßig immer noch auf. Genau darum ging es dem Team aber, das etwa 200 verschiedene Proteste identifizieren konnte. Tatsächlich werden es viel, viel mehr gewesen sein, aber es ging nicht um Vollständigkeit, sondern darum, herauszufinden, was die Menschen eben immer wieder bewegt und wie sich der Grazer Protest im Laufe der Jahre verändert hat. Untersucht wurde dabei auch, was Graz-spezifische Proteste sind (Rettet die Mur), welche Österreichbezug haben (Uni brennt! oder Zwentendorf) und welche Bewegungen internationale Wurzeln haben wie Fridays for Future oder Black Lives Matter oder gegen den Vietnam-Krieg.

Ausstellungsansicht
Foto: Sebastian Reiser

Kunst als Medium und Angriffsfläche

Eine große Rolle spielt dabei die Kunst. Einerseits als Protest gegen die herrschenden Verhältnisse wie die Gründung des Avantgardefestivals steirischer herbst 1968, der sich damit von nationalistischen Kunstinitiativen abgrenzen wollte, andererseits als Ziel von Gegenprotesten und als kreatives Mittel, um Botschaften zu transportieren. Das Grazer Kollektiv Fond besetzte etwa Häuser, um dort seine Kunstaktionen durchzuführen. Plakate für Benefizkonzerte zeigen ein endlos langes Line-up – Künstler*innen um die ukrainische Gruppe The 4th Block gestalteten riesige Plakatflächen mit Sujets gegen den Angriffskrieg in der Ukraine. Künstler*innen zeigen sich auch gerne solidarisch mit Protesten, weshalb der Kunst nicht nur ein eigener Bereich gewidmet ist, sondern in allen Themenbereichen zu finden ist. Arbeiten von Günter Brus, G.R.A.M., Branko Lenart, Josef Schützenhöfer, Erika Thümmel oder Franz Leitl illustrieren die Grazer Proteste optisch und inhaltlich. Aktionen wie das Abladen von Mist vor einer Hermann-Nitsch-Ausstellung in Graz, die ein Zeitungsbericht erwähnt, sind in letzter Zeit aus der Mode gekommen, die Freude am Protest selbst hat im Laufe der letzten acht Jahrzehnte zugenommen.

Ausstellungsansicht
Foto: Sebastian Reiser

Gegenwart und Zukunft

Die physische Präsenz, das Heraustreten auf die Straße ist beim Protestieren nach wie vor das Wichtigste, auch wenn es durch die neuen Medien leichter geworden ist, sich zu organisieren. Führten 6.000 Menschen bei der großen Anti-Zwentendorf-Demo 1977 in Wien zu einer Änderung der österreichischen Atompolitik, trafen sich um die 10.000 Menschen in der Grazer Innenstadt bei einer für 150 Personen angekündigten Black-Lives-Matter-Kundgebung 2021. Die Ausstellung behandelt aber auch den Einfluss von Protest auf Musik, Mode und Lifestyle. Er kann sich sogar in kommerzieller Ausbeutung niederschlagen, wenn sich etwa im Pride-Monat Juni alles in den Geschäften in Regenbogenfarben taucht, was von den Organisator*innen der Grazer CSD-Parade, die seit 2014 stattfindet, kritisch beäugt wird. Wie der Grazer Protest in Zukunft aussehen könnte, kann am breit aufgestellten Rahmenprogramm mit Poetry-Slam, Filmen, Themenführungen und nicht zuletzt eigenen Protest-Workshops erkundet und erarbeitet werden.               

Sternfahrt-Demo am Hauptplatz vor dem sogenannten Radhaus, 1979
Foto: Werner Gottlieb

Protest! … in Graz von 1945 bis heute
bis 14.4.24, täglich 10–18 Uhr
Idee: Sibylle Dienesch, Kurator*innen: Bernhard Bachinger, Annette Rainer, Projektleitung: Vanessa Bednarek

Graz Museum
Sackstraße 18

www.grazmuseum.at