Mit dem Rüssel vergibt die Stadt Graz einen neuen Kunstpreis, der der freien Theaterszene der Stadt gewidmet ist. Wir sprachen mit Andrea Egger-Dörres und Katharina Dilena von der IG „Das andere Theater“ sowie Kulturstadtrat Günter Riegler über die neue Initiative.
Interview: Stefan Zavernik
Wie kam es zum neuen Theaterpreis? Welche kulturpolitische Überlegung steht dahinter?
Andrea Egger-Dörres: Für uns ist damit ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung gegangen. Als Günter Riegler vor 6 Jahren Kulturstadtrat geworden ist, war ein Theaterpreis der freien Szene der oberste Punkt auf unserer Liste, als wir ihn das erste Mal persönlich getroffen haben. Es gab damals in Graz eine ganze Reihe an Preisen für alle möglichen Sparten, aber ein Theaterpreis fehlte.
Günter Riegler: Ich denke, ein Preis wie dieser ist kulturpolitisch sehr sinnvoll. In Graz herrscht in besonders hohem Ausmaß Produktion. Wir sind nicht wie Salzburg oder Bregenz als Aufführungsort für Fremdproduktionen bekannt, sondern für unsere hohe Intensität an freien Theaterproduktionen. Es lag also auf der Hand, dass wir einen eigenen Preis für die jährlich beste Theaterproduktion ausloben wollten.
Wie ist der Preis ausgelegt? Wie oft wird er vergeben?
Andrea Egger-Dörres: Der Preis richtet sich an freie Theater in Graz, die von der Stadt Graz gefördert werden und ihren Sitz in Graz haben oder ihre Produktionsstätte in Graz haben. Der Rüssel ist mit 10.000 Euro dotiert, was für ein freies Theater eine beträchtliche Summe ist. Er wird jährlich vergeben, der Einreichzeitraum ist jeweils vom 1. September bis zum 30. Juni. Die erste Preisverleihung findet am 13. September 2024 statt.
In welcher inhaltlichen Verbindung steht der Preis zu Wolfgang Bauer? Der Titel des Preises trägt denselben Namen wie eines seiner Theaterstücke …
Günter Riegler: Wolfgang Bauer war einer der berühmtesten Dramatiker, die Graz je hatte. Ich denke auch, dass er der freien Szene zuzuordnen ist. Darüber hinaus wollten wir, dass der Preis einen klingenden Namen bekommt. So wie es in Los Angeles den Oscar gibt, gibt es in Graz nun den Rüssel. „Freie-Szene-Theaterpreis der Stadt Graz“ klang uns zu langweilig.
Wie sieht es mit der Jury aus?
Andrea Egger-Dörres: Die Bewertung erfolgt dreiteilig. Stimmberechtigt sind das Publikum, die Grazer Kulturredaktionen und die Mitgliedstheater der IG „Das andere Theater“. Das macht die Preisvergabe auch recht aufwendig – um ganz offen zu sein. Es war uns aber wichtig, dass ein demokratisches Prinzip herrscht.
Katharina Dilena: Wir haben mittlerweile schon mehr als 30 Premieren für die erste Preisvergabe aufgenommen und ich gehe davon aus, dass wir bis zum Annahmeschluss auf etwa 100 teilnehmende Produktionen kommen werden. Man kann von keiner klassischen Jury erwarten, dass sie so viele Theateraufführungen besucht.
Günter Riegler: Es war uns wichtig, dass der Preis so objektiv wie möglich vergeben wird. Freunderlwirtschaft soll auf keinen Fall den Ausschlag geben, wer gewinnt. Auch aus diesem Grund war mir das Element der Publikumsbeteiligung sehr wichtig. Und letzten Endes sollte bei einer Theaterproduktion auch ans Publikum gedacht werden. Theater wird für das Publikum produziert.
Wie funktioniert das Voting?
Katharina Dilena: Durch moderne technische Möglichkeiten wurde eine solche Idee überhaupt erst umsetzbar. Das Publikum kann im jeweiligen Theater mithilfe eines QR-Codes ganz unkompliziert abstimmen. Die Leute scannen diesen und gelangen zur jeweiligen Abstimmungsseite der Produktion.
Was kann ein Preis wie dieser bewirken?
Andrea Egger-Dörres: Der Preis bringt öffentliche Aufmerksamkeit für die Preisträgerinnen und Preisträger. Das hoffen wir zumindest.
Günter Riegler: Ein Preis ist natürlich immer nur so gut wie die Preisträgerinnen und Preisträger es sind. Wenn ein Preis wie der Rüssel sich einmal etabliert hat – in einigen Jahren – wird er zu einem Prestigeobjekt werden. Mit dem Publikumsvoting wollen wir zusätzliche Neugierde für den Preis schaffen.
Der Preis soll die Eigenarten des freien Theaters in Graz widerspiegeln. Was macht die freie Theaterszene in Graz für Sie aus?
Günter Riegler: Die Vielfalt in jeglicher Hinsicht. Es gibt tatsächlich unglaublich viele freie Theater in Graz, der Großteil von ihnen ist sehr professionell organisiert. Auf diese Weise entstehen Stücke zu den verschiedensten Themen und aus den unterschiedlichsten Stoffen. Graz hat eine derart vielfältige Theaterszene, wie es sie in Österreich kein zweites Mal gibt.
Andrea Egger-Dörres: Nach Wien ist Graz auch zahlenmäßig jene Stadt in Österreich, die die meisten freien Theater vorweisen kann. Das ist sicherlich auch der Arbeit des ehemaligen Kulturstadtrates Helmut Strobl zu verdanken. Er hat die heutige Szene vor mehr als 30 Jahren regelrecht initiiert. Er hat das damalige Theatro als Veranstaltungsort für die Theater eingerichtet, er hat das Probenhaus in der Orpheumgasse zur Verfügung gestellt. Und er hat Leute in der Szene motiviert, Projekte umzusetzen.
Was bringt die freie Szene, das auf den Vereinigten Bühnen nicht stattfindet?
Günter Riegler: Aus meiner Sicht gibt es hier keinen wirklichen Differenzierungsbedarf. Im Gegenteil, sie ergänzen sich sehr gut. Das Schauspielhaus Graz hat für die Off-Szene zum Beispiel eigene Bühnen mit dem Haus 2 und dem Haus 3. Davon abgesehen geht es beim freien Theater aus meiner Sicht vermehrt um experimentelles Theater, um Stoffe neuer Autorinnen und Autoren.
Wie viele freie Theater gibt es in Graz?
Katharina Dilena: Es sind etwa 25 Theater, die kontinuierlich produzieren. Und dann mindestens genauso viele, die einmal im Jahr ein Projekt machen.
Wie homogen ist das Publikum in Graz?
Katharina Dilena: Alle Befragungen ergeben, dass all jene, die grundsätzlich ins Theater gehen, oft hingehen. Und zwar ins Schauspielhaus genauso wie in die Häuser der freien Szene. Theaterbegeisterung kennt keine Grenzen!
Mit welchen Herausforderungen hat die freie Theaterszene in Graz zu kämpfen?
Andrea Egger-Dörres: Ich würde sagen, Theaterschaffende kämpfen mit den gleichen Herausforderungen wie der Rest der Gesellschaft. In ihrem Fall mit Preissteigerungen, die die Produktionsbedingungen betreffen. Die hohen Lebenshaltungskosten führen dazu, dass das Publikum auch beim Theaterbesuch spart. Die Menschen können sich heute einfach weniger leisten als noch vor drei Jahren.
Günter Riegler: Wir haben uns in der Vergangenheit immer sehr darum bemüht, Inflationsanpassungen vorzunehmen. Auch jetzt für die kommenden Jahre, soll eine solche gelingen. Aktuell arbeiten wir auch an einem Fair-Pay-Abkommen, das jene Lücke schließen soll, die aktuell zwischen dem steht, was tatsächlich gezahlt wird, und dem, was von IGs als Standard empfohlen wird. Wir wissen aus vielen Gesprächen mit Kunstschaffenden, dass Kunst und Kultur leider noch immer sehr prekär stattfinden.
Wo könnten die Rahmenbedingungen für freie Theater in Graz noch weiter verbessert werden?
Andrea Egger-Dörres: In Graz herrschen wirklich gute Bedingungen, um Theater zu machen. Junge Leute können etwa kostenlos das Probenhaus nutzen, um etwas auszuprobieren. Das Kristallwerk bietet die Möglichkeit, kostengünstig Aufführungen auf die Bühne zu bringen. Leider kommt das Kristallwerk mittlerweile in die Jahre, es müssten einige Dinge saniert werden. Aus diesem Grund schauen wir uns mittlerweile auch nach Alternativen um.
Katharina Dilena: Mit dem Sonderbudget, das es im Kulturjahr 2020 unter Kulturstadtrat Günter Riegler gab, war es erstmals möglich, Kulturproduktionen nach dem Fair-Pay-Prinzip zu finanzieren. Ich denke, wir sind bereits auf einem guten Weg; die Inflationsabsicherung und ein Fair-Pay-Zuschuss würden die langfristige Verbesserung der Arbeitsbedingungen bringen, für die wir seit Jahren kämpfen. Mit Günter Riegler haben wir hier aber einen wirklich guten Partner.
Kulturstadtrat Günter Riegler, Katharina Dilena und Andrea Egger-Dörres von der IG „Das andere Theater“