Von der Industriestadt zur multikulturellen Vorzeigestadt: Rijeka. Die 250.000 Einwohnerstadt positioniert sich zunehmend als attraktive Urlaubsdestination. Ein Blick auf ihre kulturellen Schätze lohnt sich. Diversität sei eine Facette des Reichtums der Stadt, meint der Bürgermeister Obersnel. Mit der Eröffnung der Moschee 2013 als modernstes Bauwerk Rijekas hat man ein sichtbares Zeichen des Zusammenhalts gesetzt.
Die Sonnenstrahlen der letzte Sommertage erhitzen die Luft. Ich suche mir einen schattigen Terrassenplatz mit Blick auf die Kvarner Bucht und das Velebit-Gebirge. Am Nebentisch sitzt eine Gruppe von Frauen, die in Gespräche vertieft sind, spielende Kinder tänzeln um sie herum. Aus meiner Erasmuszeit in Zagreb weiß ich noch, wie man einen „kava“, also Kaffee, bestellt. Der junge Mann nimmt die Bestellung auf und fragt mich: „Mit oder ohne Milch“ – in guten Deutsch. Anscheinend hat er meinen österreichischen Akzent bemerkt. Eine typische Szene, die aus einem Sommerurlaub in Kroatien stammen könnte. Tut sie aber nicht. Ich befinde mich an einem ganz besonderen Ort, im Café des größten islamischen Zentrums Europas. Eröffnet 2013 in Rijekas Stadtteil Rujevica. Das Investitionsvolumen in der Höhe von 10 Millionen Euro übernahm die islamische Gemeinschaft Kroatiens, größtenteils das Emirat Katar. Das Zentrum beherbergt neben einer Moschee, eine Kongresshalle, Mekteb (islamische Religions-und Erziehungsschule) und Wohnmöglichkeiten für den Imam und seine Gäste . Geplant sind ein Kindergarten und Einkaufsmöglichkeiten. Ich warte auf meinen Interviewpartner, den Imam Hajrudin Mujkanović. Ein blonder Mann mit blauen Augen und freundlicher Ausstrahlung tritt mir gegenüber, in Begleitung eine Dolmetscherin. „Die architektonisch zeitgenössische Interpretation des Zentrums soll zur Identitätsbildung der Stadt beitragen. Es ist ein Zeichen der Toleranz und des interreligiösen Dialogs“, erklärt er. Der Bau sei wichtig, weil Religion Orte braucht, um gelebt zu werden, Menschen unabhängig ihrer Herkunft willkommen zu heißen. Im beinahe zu 90% römisch-katholischen Kroatien, leben rund ein Sechstel aller Muslime des Landes, d.h. 10.000, in der Gespanschaft Primorsko-Goranska, zu der auch Rijeka gehört. Der Großteil stammt aus Bosnien. Mujkanović ist persönlich wichtig, die Schönheit von Religion zu zeigen. Ein architektonisches Juwel ist das Zentrum ohne Zweifel. Nach Plänen des renommierten Bildhauers Dušan Džamonja entworfen, vom Zagreber ADB-Architekturbüro realisiert, erstreckt es sich über eine Fläche von knapp 6.000 m2. Die fünf in Stahl und Glas gehaltenen Kuppeln fügen sich nahtlos ein in die mediterrane Landschaft, der Vorplatz aus Travertinstein erinnert an glitzernden Wüstensand. Bei der Gestaltung der Moschee habe man auf eine moderne, urbane Architektur zurückgegriffen, die in Einklang mit der Landschaft und dem Kulturerbe steht, heißt es in der dreisprachigen Informationsbroschüre zum „Rijeci islamski centar“. Die Erfahrung hat gezeigt, dass der Bau von kleingliedrigen Moscheen nicht dasselbe Zusammengehörigkeitsgefühl schafft, wie ein großer Bau. Die verschiedenen Räumlichkeiten auf den verschiedenen Ebenen, so heißt es weiters, symbolisieren in ihrer Verbundenheit die Vielfalt innerhalb der muslimischen Gemeinschaft an Bosniaken, Arabern, Albanern, als auch Roma, die, alle zusammen, historisch über Generationen hinweg eingebunden, sind in die Region Rijeka, die Gespanschaft Primosrka-Gotar, als auch Kroatien. Das modernste Gebäude Rijekas soll der gesamten Region als religiöses Zentrum dienen und zugleich touristische Attraktion für Menschen aus aller Welt sein. Innerhalb von drei Monaten besichtigten über 2.000 Touristen die Moschee. Viele hatten das eindrucksvoll aus dem Boden ragende Gebäude von der vorbeiführenden Schnellstraße aus gesehen und vom Stadtzentrum aus eine Besichtigung organisiert.
Sichtbare Zeichen des interreligiösen Dialogs
Dass das islamische Zentrum trotz der Entwicklungen zunehmend radikaler Strömungen im Zusammenhang mit der Terrororganisation IS breite Zustimmung und Unterstützung findet, erklärt sich Rijekas Imam mit der Offenheit des Zentrums und dessen Präsenz in der Öffentlichkeit. Von der Eröffnung mit über 10.000 Gästen, darunter zahlreiche Vertreter aus Politik und Religion, berichtete der öffentlich-rechtliche Rundfunk HRT. „Wir haben die Moschee der ganzen Welt präsentiert. Wir können sagen, dass wir diese Moschee nicht nur für die muslimische Gemeinschaft gebaut haben. Ja, der Gebetsraum ist speziell für sie gemacht, aber alle anderen Räume können und sollen von allen genutzt werden, unabhängig von der religiösen Zugehörigkeit. Wir haben keinen Tag der offenen Tür. Unsere Türen stehen jeden Tag offen.“ Das Zentrum fungiert als interkultureller und -religiöser Ort des Austausches. In diesem Sinne dienten die Kongressräumlichkeiten Mitte Oktober diesen Jahres dem Symposium „Islam und die Medizin“, das gemeinsam mit der Medizinischer Fakultät und dem Bistum organisiert wurde. Das Zentrum würde die Region Rijeka in das Zentrum des „Multikulturalismus“ rücken und als Best-Practice-Gotteshaus dabei helfen, Radikalismus vorzubeugen, meinte Zagrebs Mufti Aziz Hasanović.
Anhand der Historie erklärt sich der emeritierte Dekan Rijekas Theologischer Fakultät, Milan Spehar, den gesellschaftlichen Zusammenhalt. „Schon zu Zeiten Jugoslawiens nannte man Rijeka ‚das kleine Jugoslawien’, weil dort schon frühzeitig Serben, Bosnier und Kroaten und Mazedonier, Gäste aus aller Welt aufeinandertrafen.“ „Probleme gibt es überall, aber radikale Einstellungen gibt es bei uns nur wenige. Die Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert diese nicht.“, meint Bürgermeister Obersnel. Als Grund für Radikalismus führt er die Wirtschaftskrise, die hohe Arbeitslosigkeit, vor allem bei Jugendlichen, an.
Eine Schlüsselfunktion schreibt er dem Erzbischof Ivan Devčić zu. Er initiierte eine ökumenische Kommission, und funktionierte eine im Eigentum der Kirche stehendes Gebäude kurzerhand zur Hospizeinrichtung um, für hilfsbedürftige Menschen unabhängig ihrer Religion. Die Stadt beteiligte sich am Projekt mit der Finanzierung der Inneneinrichtung. Rijekas Stadtregierung unterstützt mit infrastrukturellen Maßnahmen Religionsgemeinschaft dabei, passende Orte für ihre religiöse Praxis zu finden. „All diese Gotteshäuser sind Teil des historischen Erbes. Unserer Unterstützung ist ein Zeichen des Respekts“, betont der Obersnel, der sich als Sprachrohr der Bürger Rijekas empfindet. Der Theologe Spehar spricht sogar von der Pflicht als Katholik anderen Konfessionen in ihrer Sichtbarwerdung zu unterstützen und den ökumenischen Gedanken zu stärken.
Sichtbarkeit & Kommunikation
In der Küstenstadt schafft Sichtbarkeit Toleranz. Dort gehört es zum guten Ton, dass sich der Erzbischof bei nicht kirchlichen Festlichkeiten, mit den Bewohnern feiert, dass der atheistische Bürgermeister bei wichtigen Festtagen – von christlich bis islamisch – anwesend ist und bei politisch aktuellen Fragestellungen Politiker Vertreter der Religionen zur Beratung heranziehen. 1 Mal im findet lädt der Bischof zu einem Treffen in sein Haus. Dort finden sich weniger oft die katholischen Kirchenmitglieder als der Imam ein, erzählt Spehar schmunzelnd. „Er will wissen, was wir Katholiken über die Ehe und die Wirtschaft denken. Der informelle, freundschaftliche Diskurs ist enorm wesentlich.“ Diskutiert wird über aktuelle Probleme wie Arbeitslosigkeit, über gesellschaftliche Entwicklungen wie der Verlust des familiären Zusammenhalts und Identitätslosigkeit. Und man kommuniziert offen, dass die aktuellen Vorkommnisse und die IS, nichts mit dem islamischen Glauben, zu tun hat. Jede Form der Radikalisierung sei ein Schaden für die Religion, meinen Mufti und Erzbischof wie aus einem Munde. „Der IS in Bosnien schließen sich viele an, die gar nicht aus Bosnien kommen, sondern aus dem Ausland. Diese Menschen ruinieren unseren Ruf.“, beklagt Berka Avdic, die rechte Hand des Imams. Sie glaubt, dass Menschen, die sich der IS anschließen an Minderwertigkeitsgefühlen leiden. Religion sei wichtig für die Identität, gäbe Halt und schütze vor Kriminalität, denn Religionszeit sei Familienzeit und die werde weniger, meint Avdic. Das sei eine spürbare Entwicklung, die auch die katholische Kirche beklagt.
Religiöse Bildung
Zur Religionsfreiheit meint die Muslimin Berka Avdic: „Du glaubst etwas, ich glaube etwas, so sind wir geboren. Im Koran steht: Du wirst glauben und ich werde glauben“ – das bringen wir auch den Kindern in der Religionsschule bei. Wir sprechen über den Islam ebenso wie über andere Religionen“.
Es sei schwierig, mit jemanden zu argumentieren, der religiös nicht gebildet ist, meint der Imam, der Religion als eine Art Familie empfindet. „Religiöse Bildung in allen Religionen wird in Zukunft noch wichtiger werden. Sie wird der Schlüssel für ein friedliches Zusammenleben in Europa sein“, prognostiziert Obersnel. Der Theologe Spehar wehrt sich aber gegen den allgemeinen politischen Wunsch Religionsunterricht abzuschaffen und an seiner Stelle Ethikunterricht zu setzen. Religiöse Bildung in der eigenen Konfession sei wichtig und in Rijeka aufgrund der gesetzlichen Rahmenbedingungen und der von den Religionsgemeinschaften selbst organisierten Religionsklassen kein Problem. „An der Idee der Ökumene, müssen alle Konfessionen arbeiten. Zuerst muss ich hören, was der andere sagt. Was ich nicht verstehe, muss ich nachfragen. Das ist Dialog“, so Spehar.
Religion als Lösung und Problem
Gespräche mit unterschiedlichen Personen bestätigen die tolerante Grundstimmung in Rijeka. Klar wird aber auch, dass die Meinungen zur Rolle der Herkunft und der Religion auseinanderdriften. Für den kommunikativen Taxifahrer Antonio ist die Moschee ein gutes Zeichen in Hinblick auf ein gemeinsames Europa des Austausches. Die Herkunft ist für ihn keine Frage der Dokumente, sondern der Geburt „Bosnier glauben, dass sie Kroaten sind. Das sind sie aber nur am Papier.“
Ich spreche mit Sora und Mario, einem jungen Paar aus Bosnien, das aktuell in Österreich lebt. Wie viele ihrer Freunde, die aufgrund des Jugoslawienkrieges nach Deutschland oder Österreich geflüchtet sind und nach dem Ende schließlich – aufgrund der wirtschaftlich schlechten Lage Bosniens – in Rijeka gelandet sind, haben sie zwei Reisepässe, einen kroatischen und einen bosnischen. Manchmal verschafft die Doppel-Identität Vor- und Nachteile. Ivan ist Anfang 30. hätte eigentlich eine deutsche Staatsbürgerschaft, denn seine Mutter hat ihn auf der Flucht vor dem Krieg in Windischgarsten zur Welt gebracht. Sechs Jahre hat er in Deutschland gelebt. Die deutsche Staatsbürgerschaft hat er nicht erhalten. Er musste ausreisen. Von Rijeka, die Stadt, die er zu lieben gelernt hat, will er nicht mehr weg. Auf die Frage, was er ist – bezogen auf seine nationale Zugehörigkeit – antwortet er lachend und zugleich ernst: „Was ich bin? Das weiß ich nicht.“ Die Vergangenheit verbinden die drei mit festen religiösen Zuschreibungen und dem starken Einfluss der katholischen Kirchen. Die Gleichsetzung der Religion mit der Nation und der Kultur, wird an der dalmatinischen Küste noch immer stark gelebt, erzählt ein Lehrender am Germanistik-Institut der Universität in Zadar. Viele Entscheidungsträger der alten Riege hätten noch zu viel zu sagen, meint Ivan. Warum die Religion vor dem Krieg ihre Position und ihren Einfluss derart stärken konnte, war der Verlust einer kommunistischen Führung und die Folge Religion als identitätsstiftend zu empfinden, meint Mario. Viele der zweiten Generation wendet sich von der Religion ab, weil sie gesehen haben, was aufgrund religiöser Zuordnung im Krieg geschehen ist. In Bosnien sei diese noch immer vertreten, aber noch viel stärker ausgeprägt bei Bosniern, die im Ausland leben, ergänzt er. Was er sich wünscht: Religion nicht mehr brauchen zu müssen, denn die Werte sind in Gestalt der Moral fest in unserer Gesellschaft verankert. Du sollst nicht töten, nicht als Gebot, sondern als menschliches Grundverständnis von der Welt. Auf keinen Fall soll die Religion zum letzten Ausweg und Rettungsanker werden.
Fachtagung „Prävention durch Dialog“
Mitte Oktober veranstaltete das Afro-Asiatische Institut im Grazer Rathaus eine eintägige interreligiösen Fachtagung zum Thema „Prävention durch Dialog – Religionen im Einsatz für gesellschaftlichen Zusammenhalt“. Vertreter der Stadt, Glaubensgemeinschaften und De-Radikalisierungsexperten diskutierten über die Verantwortung und Chancen der Religionen über den Dialog ein friedliches Zusammenleben zu ermöglichen. Das Resümee der theoretischen Ansätze als auch Best-Practice-Beispiele aus ganz Europa liest sich wie eine Beschreibung des Alltags der Religionsgemeinschaften in Rijeka. Wesentlich sei religiöse Bildung. Religionswissenschaftler Ladstäter bringt es folgendermaßen auf den Punkt: „Fragmente eines Glaubens werden rausgeholt, aber nur in der Form, in der man sie brauchen kann und verstehen will. Da treffen dann radikal ausgelebter Glaube auf radikal gelebten Nationalismus.“ Religiöser Analphabetismus begünstige die Entwicklung der IS. Dabei könne gerade Religion in einer Identitätskrise kräftigend wirken, ist sich Asker Bassem sicher. Die Förderung kultureller Vielfalt einer Stadt und die Wahrnehmung von Unterschieden als Gemeinsames, sind wesentlich für ein friedvolles Zusammenleben. „Dialog ist harte Arbeit. Es heißt in Kontakt zu bleiben. Und den Selbstwert der Einzelnen durch (Selbst-)Bildung zu stärken“, formuliert es Neuhold von der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Graz. Superintendant der Diözese Graz-Seckau fordert mehr interkulturelle Veranstaltungen und verstärkt den gemeinsamen Auftritt bei formellen wie informellen Ereignissen. Anstelle in Hubschrauber zur Überwachung zu investieren, soll religiöse Bildung gefördert werden. „Das wichtigste Tool ist sozialer Zusammenhalt“, ist sich Extremismus-Experte Mouss Al-Hassan Diaw sicher. Und Kelly Simcock von RAN (Radicalization Awareness Netzwerkes der Europäischen Kommission) äußert sich klar: „Der Fokus der Gesellschaft darf nicht auf dem Sicherheitsgedanken liegen, sondern auf der Heranbildung von selbstbewussten, kritisch denkenden jungen Menschen“
Graz hat Entwicklungspotential
In Graz entsteht ein neuer Stadtteil mit enormem Entwicklungspotential. Nicht auszuschließen ist, dass ein unter Denkmal stehendes Gebäude als Stätte für ein neues interreligiöses Zentrum genutzt wird. Folgt man Radkovic einleitenden Worten – als Wille der Stadt artikuliert – bei der Eröffnung der Fachtagung, dann wird das auch von der Stadt unterstützt: „Religion soll sichtbar sein, soll dem Heil dienen und nicht der Spaltung“. Eines, das es in dieser Form in Graz noch nicht gibt und zum Treffpunkt für unterschiedliche Religionen wird. Architektur als sichtbares Zeichen für einen interreligiösen Dialog. Denn „Dialog ist Vertrauens- und Beziehungsarbeit“, meint die Koordinatorin der Fachtagung Nicola Baloch. Das braucht Zeit und vor allem Orte, an denen sie stattfinden kann; sichtbar und offen.
Sichtbare Räume des kritischen Denkens und der Begegnung schaffen, das scheint die Antwort auf die aktuelle Entwicklung radikaler Tendenzen zu sein. – wo keine Begegnungen stattfinden, sind die Ängste am größten. 2020 könnte Rijeka als besonderer Ort der Begegnung werden: Mit dem Thema „Unterschiede“ hat sich die Stadt um die Kulturhauptstadt beworben. Den Zuschlag hätte sich die Küstenstadt verdient.
Natalie Resch
Die Recherchen zu diesem Artikel wurde durch das Programm „eurotours 2015“ (Bundespressedienst im Bundeskanzleramt) ermöglicht. In dessen Rahmen sind 27 österreichische Journalisten in den EU-Mitgliedsstaat zu untersuchen, wie es gelingen kann Radikalisierungstendenzen entgegenzuwirken, Prävention zu betreiben und bei Massenüberwachungen die Grundrechte der Bürger zu wahren. Mehr dazu unter: www.zukunfteuropa.at oder auf EUROTOURS-Facebook