Opern-Star Elena Pankratova ist Wagner-Spezialistin und wurde für ihre Interpretationen mit Auszeichnungen und Preisen belohnt. Im Interview spricht die Sopranistin über die Wagner-Produktion in diesem Sommer auf der Kasematten-Bühne am Grazer Schloßberg, über ihr Stimmfach und ihre Lieblingsrollen.
Interview: Lydia Bissmann, Stefan Zavernik
Sie werden in diesem Sommer bei der Aufführung „Der Ring an einem Abend (fast) ohne Worte“ in der Rolle der Brünnhilde auf der Bühne stehen. Was macht für Sie den Reiz dieser Produktion aus?
Ich freue mich darauf, Highlights aus Der Ring des Nibelungen zusammen mit meinen wunderbaren Bayreuther Kollegen Michael Volle und Klaus Florian Vogt auf die Bühne zu bringen. Diese großartige Musik ist wie für mich geschrieben – ich liebe den Ring! Darüber hinaus bin ich seit 2015 Wahl-Grazerin, habe hier viele Freunde und Kollegen: manche haben mich bereits in Bayreuth oder Salzburg gehört und die anderen wollen mich jetzt endlich mal live in einer großen Wagnerpartie zu Hause in Graz erleben.
Die Produktion wird auf der Kasematten-Bühne aufgeführt. Was erwarten Sie sich von der Location?
Die Kasematten sind eine tolle historische Location mit viel Atmosphäre. Das Singen im Freien ist immer mit besonderen Gefühlen verbunden: wenn man da rauskommt, in einer lauen Sommernacht, dann ist es etwas ganz Romantisches, unter den Sternen zu singen. Auch das Grazer Publikum bereitet sich sorgfältig auf diese Aufführungen vor: Man sieht elegante Kleidung und Frisuren, in den Pausen hört man Gespräche von Menschen, die Opernmusik kennen und lieben.
Für wen ist die Produktion zugeschnitten, Wagnerianer oder Neulinge?
Für Wagnerianer genauso wie für Neulinge. Wir bringen nur die Highlights und es wird relativ einfach und werkgetreu inszeniert, auch die inspirierenden Kostüme von Isabel Toccafondi helfen die Handlung besser zu verstehen. Im Grunde ist es eine Produktion für alle, die sich für schöne Musik interessieren. Ich würde Neulingen allerdings empfehlen, dass sie sich etwas vorbereiten, zumindest kurz das Libretto lesen, damit sie wissen, worum es da geht, wenn zum Beispiel die drei Rheintöchter anfangen loszutrillern.
Was macht die Musik von Richard Wagner für Sie so einzigartig?
Mich fasziniert in erster Linie das Genie des Komponisten Richard Wagner, der sowohl die Musik als auch die Texte seiner Opern schrieb. Er arbeitete 26 Jahre seines Lebens am Ring und hat schlichtweg Mammutarbeit geleistet. Es ist unglaublich, was für ein feiner Komponist und Dichter er war, welche Wortspiele er verwendete, welche Wörter er sogar selbst erfand und benutzte – so hat man vor 150 Jahren auch nicht auf der Straße gesprochen! Kurzum, er hat seine eigene Welt erschaffen. Ich vergleiche Wagner und den Ring des Nibelungen gerne mit George Lucas, der 100 Jahre nach Wagner mit Star Wars ein Universum schuf, das es vorher auch nicht gab – so ist es ungefähr auch bei Wagner mit dem Ring, die man als erste und bisher einzige grandiose Opern-Miniserie bezeichnen kann. So etwas hat seither im Operngenre niemand mehr geschaffen. In seiner Orchestrierung, den Leitmotiven, seiner Ausdrucksweise war er seiner Zeit wahnsinnig weit voraus, sehr visionär und modern.
In Graz werden Sie als Brünnhilde auf der Bühne stehen – mit welchen Gefühlen blicken Sie dieser Rolle entgegen?
Ich freue mich, natürlich! Was mich an dieser Rolle fasziniert, ist, dass Brünnhilde eine stetige Entwicklung von Oper zu Oper macht: aus einer lebenslustigen Walküre, fast einer Göre, Vaters Liebling wird eine reife Frau. Bereits in der Walküre erlebt sie eine große Wandlung, sie wird erwachsen, wird für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen. Dann erleben wir sie in Siegfried als eine scheue Jungfrau, wenn Siegfried sie wachküsst. Am Anfang der Götterdämmerung sind die beiden schon ein eingespieltes Liebespaar und sie inspiriert ihn zu neuen Heldentaten. Dann erlebt sie Enttäuschung, Verrat, Demütigung, Eifersucht, Verlangen nach Rache und geht letztendlich zusammen mit dem toten Geliebten auf den Scheiterhaufen! Das ist schon eine Reise, die wahnsinnig spannend ist.
Was braucht es aus Ihrer Sicht, um diese Figur im Sinne Wagners zu verkörpern?
Einen guten Dirigenten, der sich mit dem Stück und den Traditionen gut auskennt, der die Tempi gut beherrscht, denn das ist eines der wichtigsten Ausdrucksmittel. Dann braucht man für diese Rolle sehr gute Technik, eine gute Stamina, ein gutes Nervenkostüm und einen zuverlässigen Menschen im Hintergrund, der einem technisch hilft und betreut. Ich habe das Glück, dass mein Mann Vitaly mein Gesangslehrer ist und mich immer unterstützt. Vor allem aber braucht man dazu eine dramatische Stimme. In der Walküre geht die Stimme ganz tief nach unten und bis zum höheren C nach oben. Dafür muss man quasi zwei Stimmen haben. Das Fach, das ich singe – ja, eigentlich jede Rolle, die ich interpretiere –, setzt eine solche Stimme voraus. Das nennt sich hochdramatischer Sopran. Als ich angefangen habe zu studieren, konnte mich niemand in ein bestimmtes Fach einstufen. Meine Stimme ging gut nach oben, aber auch nach unten. Ich habe dann zum Glück Professor Gurevich getroffen, der gesagt hat: Elena, ich möchte dir kein Etikett auf die Stirn kleben – deine Stimme geht über jedes Fach hinaus. Er hat mich dann abwechselnd je eine Woche Sopran-Rollen und eine Woche Mezzosopran-Rollen studieren und singen lassen. Diese „unorthodoxe“ Arbeit hat meine Stimme und meine Möglichkeiten in kurzer Zeit fast verdoppelt – ab da hatte ich keine Angst mehr vor irgendwelchen halsbrecherischen Kadenzen in der Höhe und auch vor der Tiefe und Brustregister-Einsatz. Die Partien, die ich jetzt international singe, verlangen beides.
Wie bereiten sie sich auf eine neue Wagner-Rolle vor?
Immer wenn du eine neue Wagner-Partie ins Repertoire aufnimmst, bedeutet das viel Arbeit: viel lesen, viel denken, viel hören. Um seine Texte zu verstehen und zu lernen, braucht man viel Durchhaltevermögen, Intelligenz und Fleiß. Ich arbeite natürlich auch heute noch mit einem Sprachcoach, obwohl ich Deutsch als meine zweite Muttersprache betrachte und seit über 30 Jahren in Deutschland und jetzt in Österreich lebe. Meine Lieblingssängerin in diesem Repertoire ist Birgit Nilsson, sie war und bleibt unschlagbar! Ein ganz großes Porträt von ihr mit ihrem Autogramm steht in einem silbernen Rahmen in meinem Wohnzimmer. Ich betrachte sie als meine Gesangsmutter. Wenn ich eine neue Partie anfange, überlege ich immer, wie Nilsson das gesungen hat – auch die kleinsten Facetten: Wo hat sie geatmet, wo hat sie verbunden? Ihre Aufnahmen sind wie ein Lehrbuch für mich.
Mit Graz verbindet Sie unter anderem Ihr Engagement als Professorin an der Kunstuniversität Graz seit 9 Jahren. Was motiviert Sie, Ihre Erfahrungen und Ihr Wissen an die nächste Generation von Sängerinnen weiterzugeben?
Ich habe in all den Jahren viele deutsche und italienische Rollen gesungen und habe einen großen Erfahrungsschatz. Ich habe mein ganzes Leben lang gelernt und tue das immer noch. Eine meiner Lieblingslehrerinnen war die große italienische Sopranistin Renata Scotto. Meine italienischen Rollen habe ich mit ihr erarbeitet. Wenn du als Tosca debütieren willst, lernst du auf die präziseste Art und Weise die Partie und fährst dann halt zur Scotto. Als ich meine erste Aida singen sollte, bin ich zur besten Aida-Interpretin des 20. Jahrhunderts nach Italien gefahren, zu Maria Chiara. Irgendwann im Leben kommt der Moment, wo du selbst eine Leitfigur, ein Leuchtturm, wie wir das auf Russisch sagen, für die anderen im Beruf wirst. Ich bin eine ehrliche und strenge Professorin – dafür führen viele meiner Absolventen das gute Leben eines professionellen Musikers als Solisten oder Chorsänger. Dieser Beruf ist nichts für faule oder leichtfertige Menschen, nichts für jene, die denken, jetzt komme ich, öffne meinen Mund, singe laut und mache damit die Karriere. Deswegen sage ich denen, die bei mir bereits studieren oder demnächst studieren möchten: Du selbst, aber auch deine Eltern, deine Familie, deine Freunde – alle müssen wissen, was auf dich zukommt, was es dir abverlangt, diesen besonderen Beruf zu erlernen und auszuüben. Das ist eine spezielle Lebensanschauung, man muss dazu bereit sein, alles zu geben, oder es lassen und sich etwas ganz anderem im Leben widmen.
Sie haben viele ikonische Figuren und Rollen gesungen. Gibt es eine Rolle, die Ihnen besonders am Herzen liegt oder mit der Sie sich am stärksten identifizieren?
Es ist sehr schwer zu sagen. Vor kurzem habe ich wieder die Elektra an der Bayerischen Staatsoper gesungen, das ist eine sehr prägende Rolle für mich, die 2014 in mein Repertoire kam und langsam meine beste Freundin wurde. Ich betrachte meine Partien als Freundinnen: Du weißt ja alles über diese Charaktere – ihre Träume und Not –, deine Gedanken sind ständig mit ihren Problemen beschäftigt, und sie werden zu Menschen, die dir wirklich wichtig sind und nahestehen. Wenn eine Aufführungsreihe zu Ende geht, denke ich oft fast mit Nostalgie an meine Heldin: Na, wann sehen wir uns denn wieder? So auch die Färberin in Die Frau ohne Schatten von R. Strauss – diese Partie hat mich in der ganzen Welt berühmt gemacht, ich habe sie seit 2010 in den größten Häusern der Welt gesungen und singe sie gerne weiterhin. Ich verkörpere sehr oft auch Turandot von G. Puccini und habe heuer mit dieser Partie mein Debüt an der MET in New York gemacht – ich verstehe sie auch sehr gut, kann aber nicht sagen, dass ich diese Figur besonderes liebe, wahrscheinlich, weil Puccini selbst diese Oper nicht zu vollenden wusste. Wenn ich aber als Elektra, Isolde, Kundry oder die Färberin auf die Bühne gehe, dann nicht um zu singen, sondern um die Schicksale dieser Frauen begreiflich zu machen und sie auszuleben – dafür bin ich sehr dankbar!