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Wanderausstellung „Hitlers Exekutive“

Die Ausstellung „Hitlers Exekutive“ ist im Graz Museum zum ersten Mal frei zugänglich zu sehen. Wie es dazu kam und warum die Ausstellung so wichtig ist, erzählen Initiatorin Barbara Stelzl-Marx, Kuratorin und Verfasserin des Katalogs Martina Zerovnik und Direktorin des Graz Museums Sibylle Dienesch.

Interview: Lydia Bißmann

Wie kam es zu der Idee, eine Ausstellung über die Rolle der österreichischen Polizei im Dritten Reich zu machen?

Barbara Stelzl-Marx: Die Ausstellung entstand im Rahmen des vom Innenministerium geförderten Forschungsprojekts zur österreichischen Polizei im Nationalsozialismus, das ab Anfang 2022 an der Universität Graz in Kooperation mit dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, der KZ-Gedenkstätte Mauthausen und dem Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung durchgeführt wurde. Erstmals gelang es, dass die Archive in den Landespolizeidirektionen und im Innenministerium umfassend für externe Expert*innen geöffnet wurden – ein großer Erfolg für das Projekt. Als Resultat entstanden der umfangreiche Sammelband Exekutive der Gewalt und die Wanderausstellung, die zunächst im Innenministerium in Wien und anschließend in der Landespolizeidirektion in Eisenstadt gezeigt wurde. Ich freue mich sehr, dass Hitlers Exekutive nun zum ersten Mal für alle frei zugänglich im Graz Museum zu sehen ist.

Sibylle Dienesch, Martina Zerovnik, Barbara Stelzl-Marx (v. l.)
Foto: Vanessa Bednarek

Sibylle Dienesch: „Stadt und Demokratie“ wird unser nächstes Jahresthema im Graz Museum werden; wir verstehen die Ausstellung als Prolog zu diesem wichtigen Gegenwartsthema. Wir wollen wissen, wie es ab 1945, nach dem Ende des totalitären Regimes, weitergegangen ist. Wie der Weg zu einer Gesellschaft, die sich wieder demokratisiert, bereitet wurde. Dazu gehört, dass man sich anschaut, wie man nach der NS-Zeit mit Akteure*innen aus dieser Zeit umgeht, wer als Täter*in gilt, wer bestraft wird, wie es mit der Entnazifizierung aussieht. Das sind Themen, die auch in der Ausstellung anklingen. Für uns als Graz Museum ist es wichtig, den lokalgeschichtlichen Teil einzufangen, deswegen haben wir die Erweiterung der Ausstellung beauftragt. Für Graz kommen drei zusätzliche Biografien dazu, auf einer interaktiven Karte werden zusätzliche Orte hinzugefügt. Es ist wichtig, beides zu haben – diesen allgemeinen, österreichweiten Teil und die Graz-spezifischen Aspekte.

Was genau wird in der erweiterten Ausgabe der Wanderausstellung zu sehen sein?

Martina Zerovnik: Das Ziel der Ausstellung ist es, einem breiten Publikum einen Überblick über die Polizei im Nationalsozialismus zu geben und dies mit Biografien zu verknüpfen, ohne dabei in Täter-Opfer-Zuschreibungen zu verfallen. Wesentlich war es zu vermitteln, welchen Handlungsrahmen das NS-Regime vorgab und welchen Handlungsspielraum Polizisten hatten. Die Erweiterung in Graz zeigt, wie die Grazer Polizei Teil der nationalsozialistischen Verfolgungs- und Kriegspolitik wurde, welche Aufgaben sie übernahm und wo sich zentrale Einrichtungen in der Stadt befanden. Auch einige neue Biografien wurden ausgearbeitet. Andreas Bolek, der erste nationalsozialistische Polizeipräsident in Graz und verantwortlich für die Gleichschaltung der Polizei, die Sekretärin bei der Gestapo Ilse Killer, die bislang einzige Frau in der Ausstellung, und der Gendarm Karl Ortner, die beide nach Kriegsende in die Sowjetunion verschleppt wurden.

Barbara Stelzl-Marx: Die Ausstellung ist als Wanderausstellung konzipiert, die nun mehr als drei Jahre lang in allen Bundesländern zu sehen sein wird. Für die einzelnen Standorte werden jeweils eigene Erweiterungen erarbeitet, die etwa Biografien oder spezifische Ereignisse oder auch Orte beleuchten. So zeigen wir in Graz etwa das Bild der ehemaligen Gestapo-Zentrale am Parkring 4. Das ist ein Ort des Schreckens, wo fast 47.000 Personen verhaftet wurden. Die Zeichen der Erinnerung an die Opfer dieses zentralen Instruments der NS-Gewaltherrschaft sind allerdings heute nur schwer sichtbar.

Für die Ausstellung Hitlers Exekutive wurden erstmalig Archive geöffnet
Graz Museum-Franziska Schurig

Braucht man für die Ausstellung ein Vorwissen?

Martina Zerovnik: Für die Ausstellung braucht es kein demokratisches Wissen. Es werden vielmehr demokratisches Bewusstsein geweckt und demokratische Prinzipien angewendet, indem beispielsweise Fragen einen Dialog mit den Besucher*innen eröffnen. Diese sind bewusst im Präsens gestellt und ebenso für den NS-Kontext wie unsere Gegenwart gültig, beispielsweise „Wie viel Polizeigewalt ist erlaubt?“. Es ist Teil der Demokratie, dass wir das Handeln der Polizei hinterfragen dürfen.

Sibylle Dienesch: Der Ausstellungskatalog von Martin Zerovnik ist bewusst für ein nicht akademisches Publikum geschrieben. Das Thema ist sehr komplex, aber wir versuchen es abzufedern. Wir bieten sehr viel Vermittlung dazu an, sei es in Form von dialogischen Schulführungen oder als Thema bei den Sonntagsführungen. Im Rahmenprogramm präsentieren wir den Sammelband Exekutive der Gewalt, der weiter in die Tiefe geht, zeigen eine ORF-Dokumentation, die dazu entstanden ist, oder beschäftigen uns im Rahmen der Finissage konkret mit der Gestapo-Zentrale in Graz und dem Umgang mit diesem kontaminierten Erbe.

Die oft benutzte Floskel: “Die Polizei, dein Freund und Helfer“ stammt aus dem Dritten Reich. Was genau war damit gemeint?

Barbara Stelzl-Marx: Den Begriff gab es vorher schon, aber er wurde zu einem wichtigen Bestandteil der NS-Propaganda. Man wollte damit ein positives Bild der Polizei erreichen. Die Gestapo in Graz hat etwa mit einem sehr kleinen Personalstab gearbeitet und viel auf Zuträger*innen aus der Bevölkerung zurückgegriffen, die ihnen Informationen zugespielt haben, durch „Vernadern“. Die Frage nach den individuellen Handlungsspielräumen in dem totalitären NS-Regime ist hier ein besonders wichtiges Thema. Viele von diesen „ganz normalen Polizisten“ wurden durch das NS-Regime plötzlich in schwere Kriegsverbrechen verwickelt. Dazu gehören etwa die Massenerschießungen der jüdischen Bevölkerung in Galizien, wo auch Ordnungspolizisten aus Österreich hin versetzt wurden. Die meisten haben mitgemacht, manche davon aus voller Überzeugung, einige wenige haben sich verweigert und dadurch ihr eigenes Leben riskiert. Es war natürlich eine absolute Extremsituation, aber wir fragen, welche Rolle spielt das eigene Gewissen und wie verhält man sich in so einer schwierigen Situation.

Überwachung von zur Auswanderung gezwungenen Juden und Jüdinnen durch Sicherheits- und Ordnungspolizei am Grazer Hauptbahnhof vor der Abfahrt nach Wien und schließlich Palästina

Warum sind die Erkenntnisse der Geschichtsforschung, die die Ausstellung zeigt, so wichtig für unser heutiges Zusammenleben in einer demokratischen Gesellschaft?

Sibylle Dienesch: Es geht um Sensibilisierung dafür, was passiert, wenn sich eine Ausgrenzungsgesellschaft wie unter dem NS-Regime herausbildet und was das insgesamt bedeuten kann. Wir zeigen auf, welche Handlungsspielräume es gibt, auch wenn es nur sehr kleine sind.

Barbara Stelzl-Marx: Ich finde immer besonders interessant, wie die große Geschichte in die ganz private hineinspielt. Deswegen wurde auch der Zugang über die Einzelbiografien gewählt. Makrogeschichte spielt in die Mikrogeschichte, in das ganz individuelle, private Leben hinein. Das zeigt, dass einzelne Personen etwas bewirken können, im Positiven wie im Negativen. Das ist etwas, was man für sich selbst mitnehmen kann.

Martina Zerovnik: Wie typisch für Österreich, so setzte auch in der Institution der Polizei eine kritische Beschäftigung mit der Vergangenheit erst sehr spät ein. Der Blick auf die NS-Zeit war davon geprägt, die Opfer in den eigenen Reihen gleich Helden und Märtyrern hervorzuheben. Die eigene Verantwortung an den nationalsozialistischen Verbrechen wurde verdrängt und bewusst verschwiegen. In der Geschichte der Polizei in Österreich wurde die NS-Zeit als Fremdherrschaft dargestellt oder ganz ausgeklammert. Das geht heute – auch dank der Ausstellung – nicht mehr.         

Hitlers Exekutive
Die österreichische Polizei und der Nationalsozialismus
Zu sehen bis 5.3.2025, 10–18 Uhr
Graz Museum Sackstraße

Die Ausstellung entstand am Institut für Geschichte der Universität Graz in Kooperation mit dem Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung im Rahmen des Forschungsprojekts „Die Polizei in Österreich. Brüche und Kontinuitäten 1938–1945“, initiiert vom Bundesministerium für Inneres.

Rahmenprogramm und Vermittlungsangebote unter www.grazmuseum.at