Cordula Simon hat im Juli mit „Mondkälber“ (Septime Verlag) ihren sechsten Roman vorgelegt, mit dem sie auch auf der Frankfurter Buchmesse 2024 vertreten war. Im Interview spricht die preisgekrönte steirische Autorin mit uns über das Schreiben, Gendern, Katzen und den Krieg in der Ukraine.
Interview: Lydia Bißmann
Dein neuer Roman „Mondkälber“ ist irgendwo zwischen Stefanie Sargnagel und Daniil Charms angesiedelt. Es gibt jede Menge absurde, psychedelische und surreale Situationen. Die bohemianhafte Atmosphäre ohne viel Zeit- und Ortsbezüge wird aber empfindlich gestört, als sich in die verträumt-punkige Welt ein leider nur zu bekanntes Szenario einschleicht. Warum hast du den Krieg in der Ukraine in dein Buch eingebaut? War eigentlich ein anderes Ende geplant?
Rückblickend lässt sich das schwer sagen, ob ein anderes Ende geplant war. Ganz sicher war der Krieg aber eine Zäsur im Schreibprozess. Für mich ist ein Weltbild zusammengebrochen, und das liegt daran, dass ich zuvor nicht wahrhaben wollte, dass so etwas passieren könnte. Was sich leicht sagen lässt, ist, dass wir es alle hätten wissen können, dafür genügt ein Blick auf Putins alte Reden. Ganz sicher ist auch, dass ich den Krieg im Roman mit einem Spiel enden lassen konnte und wollte – ich habe da einen „odessitischen“ Zugang gewählt: Am Ende ist alles nur Fassade und Witz.
Welche Vorbilder hattest du für den Roman „Mondkälber“?
Vorbilder kann man kaum sagen, da ich etwas Neues ausprobieren wollte. Ich habe zur Recherche Verschiedenes gelesen, auch alte Fachbücher zu Wasser, Steinen, Himmelskörpern und dazwischen Science-Fiction oder Horror. Von der feministischen US-Autorin Alice Sheldon, die ihre Science-Fiction-Erzählungen unter dem männlichen Pseudonym James Tiptree Jr. herausgab, gibt es mittlerweile eine Werkausgabe auf Deutsch.
Katzen spielen eine große Rolle im Roman „Mondkälber“, eine Katze ziert auch das Cover deines vorletzten Romans: „Der Neubauer“. Welche Beziehung hast du persönlich zu Samtpfoten?
Meine Eltern hatten immer Katzen – ich bin diesen Tieren ganz schrecklich hörig, mache alles mit und öffne hundertmal die Kühlschranktür.
Im Juni 2024 hast du gemeinsam mit dem Geisteswissenschafter Stefan Auer als Philologin dein erstes Fachbuch „Politische Korrektheit, Wunschdenken und Wissenschaft – Das Versagen der Universitäten im Diskurs um Sprache“ (Westend academics Verlag) veröffentlicht. Darin setzt ihr euch mit dem aktuellen Reizthema Sprache auseinander. Was ist eure eigentlich recht ungewöhnliche These darin?
Ich weiß nicht, ob die These ungewöhnlich ist, sie war auf jeden Fall leicht zu beweisen: durch Quellenarbeit. Es ging schlicht darum, herauszufinden, wie die Mechanismen funktionieren sollen, die dazu führen, dass politisch korrekte Sprechweisen einen positiven Einfluss auf die Welt ausüben. Darauf folgten viele Enttäuschungen, denn wir mussten feststellen, dass seit 1880 immer wieder erfundene Annahmen über Sprache unhinterfragt übernommen, sprachwissenschaftliche Fakten missinterpretiert, Forscher*innen falsch zitiert oder Studien auf ein gewünschtes Ergebnis hingebogen werden. Wir werden mit der politisch korrekten Sprache also leider nicht die Welt retten. Allerdings stellen wir auch fest, dass es ebenso unmöglich sein wird, Sachen wie das Gendern zu verbieten oder zu erzwingen. Die Sprachgemeinschaft setzt sich einfach durch. Wenn man Wert darauf legt, kann man das also weiterhin tun, und wenn man es dann trotzdem einmal vergisst, ist das aber auch nicht so schlimm. Die Universitäten jedenfalls bräuchten Reformen. Ihre Mechanismen, um Wissen zu überprüfen, haben versagt – auch aufgrund der verfahrenen Situation für Leute in einem System aus „publish or perish“, Kettenverträgen, Hamsterrädern, Mangel an Respekt vor Nullergebnissen, ideologischen statt wissensgeleiteten Expertisen und vielem mehr. Wir haben hier auch ein Kapitalismusproblem.
Du hast immer wieder in Odessa gelebt, was man in deinen Büchern auch merkt, und hattest Stipendien in verschiedenen deutschen Städten wie Gotha, Edenkoben und warst sogar in Sri Lanka als Writer in Residence. Wie ist es für dich, wieder in der Steiermark zu wohnen?
Natürlich vermisse ich Odessa, finde es im Großen und Ganzen aber gut, nun Graz als Basis zu haben, gerade weil hier literarisch viel passiert, interessante Texte, Menschen und Projekte zirkulieren.
„Mondkälber“ ist dein sechster Roman – Autor*in zu sein, ist für viele Menschen ein Traum. Wie sieht die Wirklichkeit aus? Lebst du deinen Traum?
Der Traum hat selbstverständlich auch herausfordernde Seiten. Was Altersarmut, Versicherungen und allgemein die soziale Sicherheit anbelangt, ist es in der Kunst als Beruf immer noch schwierig. Für jene mit Kindern ist das noch problematischer. Vom großen Reichtum kann hier nicht die Rede sein. Jedoch: Ich wollte immer schreiben und genug Geld mit Schreiben verdienen, um noch mehr schreiben zu können. Das ist sicher mein Traum – wer nicht gerne lange über Wörtern sitzt, müsste das wohl als Albtraum empfinden.
Du hast 2023 das Literaturstipendium der Stadt Graz bekommen, 2024 das Literaturstipendium des Landes Steiermark. Wie ist es für dich, in Graz als erfolgreiche und gefeierte Nachwuchsautorin zu leben und zu arbeiten?
Erfolgreich, das ist so ein komischer Begriff, der an der Außenwahrnehmung hängt. Innen ist das anders: Das Gefühl von Erfolg ist für mich, wenn ich alles schaffe, was ich an einem Tag auf der Liste hatte. Wenn das nicht klappt: weniger auf die Liste schreiben!
Wie und wo schreibst du gewöhnlich? Musst du dich zwingen oder geht es dir leicht von der Hand? Wie sieht deine Schreibroutine aus?
Ich muss mich nicht zwingen zu schreiben, ich muss nur alle anderen Sachen aus dem Weg schaffen, die wichtig und dringend sind. Dann ist der Kopf bereit, und die Zeit vergeht wie im Flug.
Auf der Frankfurter Buchmesse hat sich Lettland als das Land der Introvertierten gefeiert, es gab auch eine Cocktailbar für Introvertierte. Du bist eine exzellente Netzwerkerin, gehst offen auf Menschen zu und hast wenig Probleme mit Kommunikation. Welche Tipps hast du für etwas weniger kontaktfreudige Menschen im Literaturbetrieb?
Das ist lieb, mich eine exzellente Netzwerkerin zu nennen, weil ich nämlich ganz schrecklich vergesslich mit Namen und Gesichtern bin. Dafür erinnere ich mich leichter an Begriffe, Ideen, auf welcher Seite in welchem Buch etwas stand und vor allem: ob ich mit jemandem eine gute Unterhaltung hatte. Die kann dann auch genau da weitergehen. Tatsächlich tun sich ja nicht nur die introvertierten, sondern auch die extrovertierten Menschen, die gerne schreiben, schwer mit dem Networking, weil wir Autor*innen in der Regel vor Menschen mehr Unsicherheiten haben als vor Papier. Ob man da überkompensiert oder sich zurücknimmt: einfach danebenstellen, wir sind ohnehin alle im gleichen Boot. Da werden auch die Extrovertierten irgendwann ein wenig ruhiger.
Wovon wird dein nächster Roman handeln? Gibt es schon eine Idee?
Da ist einiges in der Pipeline. Was als Nächstes fertig wird, ist schwer zu sagen. Jetzt sind ja erstmal die Mondkälber dran, und die Mondkälber an den Universitäten.