Jürg Laederach hat sich nie einer bestimmten Sache verschrieben. Er war und ist unter anderem Autor, Musiker und Übersetzer. Mit Graz verbindet den gebürtigen Schweizer vor allem seine langjährige Freundschaft zu Alfred Kolleritsch, der ihm anlässlich seines 70. Geburtstages die 210. Ausgabe der Manuskripte widmete. „Achtzig“ hat die beiden zum Interview getroffen.
Nach 210 Ausgaben und Jahrzehnten als Herausgeber, hat man da immer noch Visionen?
Kolleritsch: Visionen sind eine Art Hoffnung. Und die muss man haben, sonst kann man weder selber schreiben noch andere veröffentlichen.
Laederach: Ich finde auch, dass ein Heft eine Vision darstellt. Aber man muss dann auch weitergehen und diese Vision definieren. Das All-Inclusive-Prinzip ist schlecht für Literatur. Der Fokus muss verengt werden, damit eine Charakteristik zum Vorschein kommt. Bei den Manuskripten gelingt das sehr gut. Sie erschaffen sich gewissermaßen von selbst.
Wie sehr haben sich Ihre Einstellung und Ihre Anforderungen an Autoren im Laufe der Jahrzehnte gewandelt?
Kolleritsch: Ich habe nie Anforderungen gestellt, sondern das ausgewählt, was mir gefällt. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
Aber sind Sie strenger geworden bei der Auswahl?
Kolleritsch: Insofern strenger, als viel, viel mehr ins Haus kommt als früher.
Laederach: Es gibt natürlich dutzende Literaturzeitschriften, die eigentlich mit der Präsentation ihrer Texte Mühe haben. Und auch mit dem Anlegen der Kriterien, welchen Text sie nehmen sollen oder nicht. Da sind die Manuskripte doch sehr elegant und schnell durch diese ganzen Stromschnellen hindurchgeschwommen.
Sie haben viele Talente und haben diese im Laufe Ihres Lebens kultiviert. Aber warum sind Sie nie bei einer Sache geblieben?
Laederach: Ich denke, das ist ein Nachteil, den man mir vorwerfen kann: Ich habe mich nie entschieden. Ich habe eben alles gleichmäßig interessant gefunden. Es ist sicher ein Stück Pragmatismus, dass man einfach sagt: Anstatt dass ich das alles bekämpfe oder schlecht finde, interessiere ich mich dafür!
Als Autor sind Sie für Ihre experimentellen Prosatexte, Dramen und Hörspiele bekannt. Haben Sie diese Genres bewusst gewählt?
Laederach: Ich weiß nur einen Entschluss von mir und es tut mir leid, das vor Alfred Kolleritsch zu sagen: Ich wollte nie ein Gedicht schreiben. Also musste ich das nehmen, was noch übrig blieb.
Zu Ihrer Rolle als Übersetzter. Wie sehr sehen Sie Übersetzungen als eigene Texte an?
Laederach: Werke von Autoren, die ich persönlich kannte, habe ich im Gegensatz zu einfachen Auftragsarbeiten – die mich natürlich auch interessierten – immer ästhetisch ausgelesen.
In Graz haben Sie auch „Poetikvorlesungen“ gehalten. Aber kann man Poesie unterrichten?
Kolleritsch: Das ist eine Streitfrage. Ich glaube allerdings schon, dass man sich mit dem, was Poesie will, auseinandersetzen kann. Aber weniger in Hinblick auf die Zukunft und in Form einer Belehrung, sondern in Gestalt von vergleichenden Betrachtungen.
Laederach: Die wirkliche Dichtung kann nicht gelehrt werden, wohl aber können ein paar Stücke auf dem Weg dorthin mitgegeben werden.
Wie betrachten Sie das Interesse an Literatur generell?
Laederach: Es braucht immer kleine Anstöße. Die müssen auch nicht besonders auffällig sein. Ich denke, je auffälliger sie sein wollen, umso mehr schrecken sie ab.
Das heißt Sie sind gegen die „Eventisierung“ von Literatur?
Laederach: Nun, die hat es immer schon gegeben. Wir haben eine andere Sicht auf die Gegenwart als auf die Vergangenheit, weil wir uns die Vergangenheit zurechtschnipseln. Und dafür gibt es ja auch strenge Regeln. Die ganze Germanistik ist nichts anderes, oder zum großen Teil nichts anderes, als eine Vergangenheitspräparatorin.
Was schätzen Sie an Graz?
Laederach: Graz ist eine sehr eigenwillige, eigensinnige Stadt. Man könnte auch von einer „Vergrazung“ sprechen. Aber was das genau ist, weiß ich nicht. Sie wurde wissenschaftlich noch nicht entdeckt.
Text: Barbara Jerney