Schuhe, Symbol für Stil und guten Geschmack, gelten als wichtigstes Kleidungsstück des Mannes. In manchen Fällen sind sie mehr als das. In einer kleinen, berühmten Manufaktur in der Wiener Innenstadt werden aus ihnen Kunstobjekte, denen ein Mythos anhaftet. Und zu guter Letzt verwandeln sie ihren Träger in einen anderen Menschen.
Wenn ein Paar Schuhe zum Luxusprodukt wird, kann das teuer werden. Was aber macht Luxus an sich aus? Luxus bezeichnet Verhaltensweisen, Aufwendungen oder Ausstattungen, welche über das übliche bzw. über das in einer Gesellschaft als notwendig oder sinnvoll erachtete Maß hinausgehen. (Definition nach Wikipedia.) Geht es um Marken und Produkte, deren Image durch Marketing und Werbung erzeugt werden, handelt es sich um klassische Statussymbole. Bei vielen davon ist ihrem Preis entsprechende Qualität nur bedingt zu finden. Luxus lässt sich aber auch anderes definieren. Nämlich als Bezeichnung für höchste Qualität hinsichtlich Material und vollendete Kunstfertigkeit in der Herstellung. So mag der Preis eines Paares von Hand gefertigten Maßschuhen des Wiener Nobelschumachers Materna „Neulingen“ zwar Schwellenangst einjagen, zugleich aber auch die Neugier darauf entfachen, was von einem Schuhwerk zu erwarten ist, in dem über 300 von Hand ausgeführte Arbeitsschritte stecken.
Nichts für die Massenproduktion
Martin Dellantonio führt den Betreib seines alten Lehrmeisters Georg Materna weiter. Sein Handwerk ist heiß begehrt. Einladungen für exklusive Schuhanfertigung ereilen ihn aus Monte Carlo, New York oder Dubai. Angebote Geschäfte zu eröffnen oder fertige Schuhe in exklusive Kaufhäuser und Boutiquen zu stellen, erhält er aus der ganzen Welt. Nur Lust darauf verspürt er keine. Seine Schuhe bleiben limitiert, auch in Zukunft. Und wer welche haben möchte, muss dafür in sein kleines, schmuckes Geschäft in der Wiener Mahlerstraße kommen. Nicht aber aus Arroganz oder fehlendem Geschäftssinn. Alleinig deswegen, da seine gebotene Qualität nur auf diese Weise zu gewährleisten ist. Und Qualität ist Herrn Dellantonio selbst, wie auch seinen Kunden, das Wichtigste und Grund dafür, dass man bei seinen Schuhen niemals auf den Gedanken kommt, auch wenn sie ein kleines Vermögen kosten, zu viel bezahlt zu haben. Abgesehen von ihrer Ästhetik, ist ihr Tragekomfort und der damit verbundenen Wohltat für das orthopädische Wohlbefinden mit keinem „Schuh von der Stange“ zu vergleichen. Man spürt die Maßanfertigung wesentlich strenger, der Halt darin ist unvergleichbar kompakt und es bedarf ein paar Tage des Tragens, bis sich die anfängliche Steifheit der Sohle legt. Danach aber wird sich, was die Einstellung zu Schuhen betrifft, die Welt unweigerlich geändert haben. Das Gehen, oder besser gesagt „das Schreiten“, erhält eine neue Dimension, auf die man sein restliches Leben aus freien Stücken kaum mehr verzichten möchte. Ein beruhigender Gedanke, dass Schuhe wie diese uns für ein ganzes Leben und nicht nur für ein oder zwei Saisonen begleiten. Und da es gut möglich ist, dass sich die Füße mit dem Alter ein wenig verändern, erhält man bei Materna eine lebenslange Garantie auf die Passform inklusive. Dass es bei einem Paar bleibt? Der Gedanke, „sich diesen Luxus“ zumindest einmal im Leben zu gönnen, löst sich schnell in Luft auf. Wenn es die finanziellen Möglichkeiten erlauben, wird es ein ganzer Schuhschrank voll.
100 % Handarbeit. Ein Leisten, undendliche Möglichkeiten.
In der Werkstatt des Schuhmachers in der Mahlerstraße ist alles, was produziert wird, auch das kleinste Detail, Handarbeit. Dies ist auch der größte Unterschied zu rahmengenähten Schuhen von der Stange, die von berühmten Marken wie „Reiter“ oder „Church“ zwar über eine gute Qualität verfügen, aber zum Teil maschinell hergestellt werden und dadurch eine lange, aber eben keine so lange Lebenszeit wie komplett handgefertigte Produkte erreichen. Das Schuhmachen beginnt mit dem Maßnehmen des Fußes um einen Leisten herzustellen, der der Fußform des Trägers entspricht. In Maternas Leistenlager liegt österreichische Geschichte. Berühmte Persönlichkeiten aus Kunst, Kultur, Wirtschaft und Politik haben ihre „Fußspuren“ bei Wiens renommiertestem Schuhmacher gelassen – auch der europäische Hochadel ist seit Jahrzehnten treuer Kunde. Der Leisten bleibt im Besitz des Handwerksbetriebes und wird aus diesem Grund auch nicht verrechnet. (Dabei handelt es sich jedoch um eine Ausnahme, denn dessen Anfertigung wird in Wien bei den wenigen anderen Luxusschuhmachern mit bis zu 1.500 Euro verrechnet). Danach wird der Schnitt und das Muster des Oberteils entworfen, hier sind dem Geschmack des Kunden kaum Grenzen gesetzt. Alles ist möglich. Lagernd sind verschiedenfarbige, naturgegerbte Leder vom Boxkalb, Rind, Elefanten (gezüchtet, nicht wild geschossen), Strauß, Eidechse, Krokodil und Alligator. Beim Schnitt wählt man zwischen Oxford (very british), Derby (klassisch), Loafer (Schlüpfer) oder dem extravaganten Plattschnitt, bei dem der Schuh aus einem Stück Leder besteht und dessen Herstellung besonders aufwendig ist. Auch Kombinationen sind möglich. Wie dick und wie hoch soll der Absatz sein? Welche Musterung soll das Leder besitzen? Schnürsenkel oder Schnalle? Je mehr Gedanken man sich über „sein“ Paar Schuhe macht, umso mehr Details tauchen auf, die ausschlaggebend werden. Und die 6 Wochen Wartezeit, bis man seine Anfertigung zum ersten Mal anprobieren darf, wird zur gefühlten Ewigkeit.
Handwerk auf diesem Niveau im Aussterben begriffen
Der Maßschuhmacher auf diesem Niveau ist mehr Berufung als Beruf. „Erst kürzlich hatte ich eine Anfrage von einem Zahnarzt, der sich als Spätberufener Maßschuhmacher entpuppte und bei mir anfragte ob ich ihn als Lehrling nehme“, erzählt Dellantonio in seiner Werkstatt. Schuhe können zur Besessenheit führen. Was aber normal oder nicht normal ist, ist immer Ansichtssache. Dass es zum Beispiel einige Kunden gibt, die über 120 Paar Materna-Schuhe ihr Eigen nennen, sei zwar außergewöhnlich, aber im Grunde nachvollziehbar. „Man kann eben nie genug Schuhe haben. Und wer mehrere Wohnsitze hat, der hat eben auch mehrere Schuhschränke.“ Der Durchschnittskunde hat in seinem Schuhschrank zwischen 20 und 30 Paar stehen. „Grundausstattung“ sind drei Paar, alleine schon deswegen, da ein Schuh nach dem Tragen „24 Stunden am Holzspanner benötigt, um die Feuchtigkeit abzugeben und sich zu entspannen. Nur so erhält er seine Passform,“ erklärt uns Herr Schwarzel, die rechte Hand des Meisters. Handgefertigte Maßschuhe haben seit Jahrhunderten Kult-Charakter. Ihre zeitlose Eleganz ist nur bedingt modischen Trends unterworfen, die klassischen Schnitte wird es auch noch in 100 Jahren geben.
Materna – Schuhe / Mahlerstrasse 5 / 1010 Wien / www.materna-schuhe.at