Start Kunst & Kultur Kulturzentrum bei den Minoriten: Wir, hier?

Kulturzentrum bei den Minoriten: Wir, hier?

Reinhild Gerum Die Blumen der Anderen

Wir, hier, anno 2016: Massen auf der Flucht, neue Grenzen. Das Kulturzentrum bei den Minoriten versucht mit zwei Ausstellungen, den Blick zu schärfen und eine Haltung einzunehmen.

GIOM/Guillaume Bruère – Das Gesicht des Anderen

Im Dezember 2015 erlebte Guillaume Bruère bei einem Spaziergang mit seinen Kindern in Berlin das, was man als Einbruch der Realität in den heilen Alltag bezeichnen könnte. Die Turnhalle in unmittelbarer Nähe seiner Wohnung war zu einer Notunterkunft für Flüchtlinge aus den Konflikt- und Kriegsgebieten des Nahen Ostens umfunktioniert worden. Guillaume Bruère wurde das erste Mal real mit den Menschen aus den Nachrichten konfrontiert und hat versucht, die medialen Bilder mit den realen Menschen in Einklang zu bringen. In Bruère, der sich in den letzten Jahren international einen Namen als herausragender Zeichner erworben hat, erwuchs das Vorhaben, zumindest jene Flüchtlinge seiner nächsten Umgebung, jene Weitgereisten, die temporär hier gestrandet sind, zeichnerisch zu verewigen, bevor sie weiterziehen oder zurückgezogen werden. Das Genre des Porträts bietet sich für den prekären Status der Asylsuchenden geradezu paradigmatisch an, repräsentiert es doch per definitionem die Anwesenheit eines Abwesenden.

GIOM/GUILLAUME BRUÈRE: Flüchtlingsportrait
GIOM/GUILLAUME BRUÈRE: Flüchtlingsportrait

Im März kam der Künstler nach Österreich, um sein Projekt der Flüchtlingsporträts in der Steiermark fortzusetzen. Er sah sich ein Flüchtlingslager in Rothleiten an und setzte seine zeichnerische Bestandsaufnahme der An- und Untergekommenen, seine künstlerische Annäherung an das Gesicht des Anderen fort. Seine steirischen Bildnisse werden mit den Berliner Porträts in der Ausstellung im Kulturzentrum bei den Minoriten zusammengeführt.

Das Projekt , das in enger Kooperation mit der Steirischen Gesellschaft für Kulturpolitik entsteht, soll in einer Plakataktion, bei der ausgewählte Porträts von Flüchtlingen in der Steiermark landesweit affichiert werden, seinen abschließenden Höhepunkt finden.

Ausstellungsdauer: bis 8. Mai 2016

 

Reinhild Gerum – Die Blumen der Anderen

Ausgangspunkt der raumgreifenden Arbeiten von Reinhild Gerum sind Gedächtnisprotokolle von Gesprächen mit Menschen in existenzieller Not, die sie künstlerisch präzise und ohne jegliche Melodramatik handschriftlich in installative Räume überträgt und ihnen damit eine Form gibt. Es handelt sich um radikale Fragestellungen, die einem die eigene Unversehrtheit bewusst werden lassen. Die Münchener Künstlerin hat die Diskrepanz zwischen unserer Wohnzimmerwirklichkeit und der tatsächlichen Not schon lange vor der aktuellen Flüchtlingskrise thematisiert. Die Zeit, sich am Sofa davonzustehlen, scheint vorbei zu sein. Das Werk von Gerum zeichnet sich dadurch aus, dass die Künstlerin seit vielen Jahren mit Menschen arbeitet, die verwundet sind – verwundet vor allem in der Seele, im Schicksal, in ihrer Geschichte und Biografie.

Reinhild Gerum Blume 1, 2015 Stoff, Draht, Kurzwaren 50 x 20 cm (Durchmesser)
Reinhild Gerum
Blume 1, 2015

Schon 2009 ging Reinhild Gerum ins bayrische „Auffanglager“ in Zirndorf, um mit den dort lebenden Asylsuchenden, die ja vor allem eines tun: nämlich warten, einer „sinnvollen“ Beschäftigung nachzugehen. Sinnvoll? Was bringt man in „unserem Kulturkreis“ als Gast mit, wenn man eingeladen wird? Blumen. Gerum machte also mit diesen Menschen Blumen. Doch es gibt auch Blumen, die man nicht oder schwer annehmen kann. Es gibt Menschen, denen man keine Blumen schenken will und kann. Wenn das Menschen aus dem nächsten Beziehungskreis sind (nur sie können es sein), schmerzt das in der Seele. Wenn es beispielsweise die Mutter, der Vater, die Tochter ist. Gerum stellt nun im Westtrakt des Kulturzentrums bei den Minoriten einige solcher „Blumen“ aus. Sie sind spitz, unangenehm, verletzend: Der Schmerz ist, ausgehend von den frohen Gesichtern der Asylanten mit ihren gebastelten Papierblumen für das Gastland, in dieser Ausstellung im eigenen Ich angekommen.

Ausstellungsdauer: bis 8. Mai 2016

Kulturzentrum bei den Minoriten / Mariahilferplatz 3 / 8020 Graz

www.kultum.at