Am 11. Juni präsentiert die Kunst-Uni Graz mit dem Stück „The Turn of the Screw“ ihre diesjährige Opernproduktion. Ein Gespräch mit Regisseur Roman Hovenbitzer und Dirigent Bernhard Steiner über eine Oper, die als geniales Rätsel viele Fragen aufwirft.
Was hat den Ausschlag gegeben, eine Oper zu wählen, in der es um Geister geht?
Roman Hovenbitzer: Es war uns wichtig, ein Stück zu wählen, das gut zu unseren Studierenden passt, welches sie nicht nur musikalisch bewältigen, sondern das sie auch leben, sich einverleiben müssen. „The Turn of the Screw“ handelt letztlich auch von den Geistern in uns selbst. Dabei müssen sich die Studierenden selbst in Frage stellen und können – durchaus auch lustvoll! – mit ihren eigenen Träumen, Fantasien und Ängsten umgehen. So wie manchmal auch in ihrem Studium. Des Weiteren wollten wir uns nach der „Zauberflöte“ im letzten Jahr nun der klassischen Moderne widmen. Und nicht zuletzt lässt es diese Oper nicht zu, sich in der Aufführung in Konventionen oder zu Altvertrautes zu flüchten. Das macht die Auseinandersetzung mit dem Stück ebenfalls spannend.
Als Universität eine Opernproduktion zu bewältigen, stellt eine riesige Herausforderung dar. Was bedeutet diese Chance für die Studierenden? Und wie intensiv sind die Proben?
Bernhard Steiner: Es ist eine besondere Chance, bei einer kompletten Opernproduktion, von der ersten bis zur letzten Minute, mit dabei zu sein. Das ist natürlich auch viel mehr als Unterricht. Was wir machen, ist im Grunde ein normaler Theaterbetrieb. Es gibt den Studierenden zum ersten Mal in ihrem Leben die Möglichkeit, den Opernbetrieb, auf den ja alle hinarbeiten, kennenzulernen. Wir proben 11 Mal die Woche, jeweils 3 Stunden. In diesem Fall ist die Musik kompliziert. Das ist schon eine große Herausforderung für die Studierenden, die ja auch noch ihr Studium parallel dazu bewältigen müssen.
Roman Hovenbitzer: Den Studierenden kann nichts Besseres passieren als die Simulation des Ernstfalles einer Produktion. Das ist neben einer soliden Grundausbildung eine unschätzbare Erfahrung.
Welche Voraussetzungen sind von Seiten der Universität gegeben, um eine Opernproduktion wie diese zu realisieren?
Roman Hovenbitzer: Die Bedingungen im Mumuth sind optimal. Wenn ich sie mit manch anderen Hochschulen vergleiche, sind sie sogar regelrecht luxuriös. Alleine schon was die Technik oder die Budgetierung, vor allem aber was die Wertschätzung innerhalb der KUG und den leidenschaftlichen Support durch die Dozenten betrifft. Nach längerer Zeit wird es im Ligeti-Saal wieder eine eigens konzipierte Raumbühne geben; das Publikum sitzt zu zwei Seiten der Bühne gegenüber. Der Saal ist lang geschnitten, da hat sich diese eher offene Lösung für dieses musikalische Kammerspiel gut angeboten.
Wo liegt der große Unterschied in der Arbeit mit Studierenden im Vergleich zu jener in einem professionellen Theaterbetrieb?
Roman Hovenbitzer: Auch in der Opernproduktion wollen wir in der Arbeit mit unseren Studierenden darauf achten, dass sie wesentliche Dinge, die für ihr späteres Dasein auf der Musikbühne wichtig sind, in Ruhe für sich entdecken und verinnerlichen können. Und eben diese Momente, wenn die jungen Künstler etwas für sich gefunden oder Neues bei sich zugelassen haben, sind für den Lehrenden sehr beglückend. Diese Momente sind im normalen Theaterbetrieb natürlich seltener.
Bernhard Steiner: Das Schöne bei Studierenden ist, dass sie hungrig sind. Sie sind begierig darauf, zu singen und zu spielen. Im professionellen Betrieb hat man das nicht immer. Unsere Aufgabe ist es ja, in erster Linie als Motivatoren aufzutreten. Das ist hier besonders leicht und eine sehr schöne Arbeit!
Inhaltlich gleicht die Geschichte von Henry James einem Rätsel, konnte es im Rahmen der Produktion entschlüsselt werden?
Roman Hovenbitzer: Wer versucht, in „The Turn of the Screw“ von Henry James alles zu entschlüsseln, tötet womöglich das Stück. Die Novelle ist mannigfaltig interpretierbar. Das ist ja auch das Geniale daran. Es wird nie klar, ob es die Geister wirklich gibt oder ob sie der Einbildung der jungen Governess entspringen. In dieser Schwebe bleibt auch die Oper. Das Stück besteht vornehmlich aus Rätseln. Das Einzige, was eindeutig ist, ist die Uneindeutigkeit. Aber so viel sei verraten: Die Geister werden auf der Bühne zu sehen sein. Man kann ja Studierende schwerlich die Partien singen lassen, ihnen aber vorenthalten, diese auf der Bühne darzustellen. Letzten Endes versuchen wir, verschiedene interpretatorische Fährten zu legen. Es werden viele Fragen aufgeworfen, die aber hoffentlich alle direkt mit uns selber zu tun haben.
Was verkörpern die Geister?
Roman Hovenbitzer: Die Geister verstehen wir als Verführer. Im Hinblick auf die beiden Kinder auch als Verführer zur Eigenständigkeit oder zum Anderssein. Diese Verführung wirkt in der Oper zumeist eher angenehm sinnlich, an anderen Stellen aber auch bedrohlich. Zwischen diesen Polen, der Lust und der Gefahr, pendeln unsere Geister. Das, was wir durch Konventionen, Erziehung und Einschränkung unter den „bürgerlichen Teppich“ zu kehren versuchen, bricht irgendwann einmal fast naturgegeben durch – bei Heranwachsenden wie bei Erwachsenen. In der Viktorianischen Zeit, in der das Stück spielt und die wir in unserer Umsetzung beibehalten, war dies besonders stark wahrzunehmen. Aber die Thematik ist natürlich auch heute noch aktuell.
Nicht nur der Inhalt des Stückes ist spannend. Auch die Musik. Worin liegt ihre Genialität?
Bernhard Steiner: Die Musik ist ein Stück ihrer Zeit. Sie wurde nach dem 2. Weltkrieg komponiert, die Komponisten dieser Zeit waren mit Identitätsfindung beschäftigt. Es war klar, dass etwas Neues geschaffen werden musste. Um eine neue Ästhetik zu entwickeln. Benjamin Britten ging seinen eigenen Weg. Er hat seine ganz persönliche Tonsprache entwickelt. Rücksichtslos gegenüber dem Zeitgeist. Er ist meines Erachtens einer der herausragendsten Komponisten der gesamten Musikgeschichte. Die Musik ist natürlich nicht ganz einfach. Aber wie die Proben zeigen, werden die Studierenden die Herausforderung stemmen.
Ist die Musik ebenso rätselhaft wie die Story?
Bernhard Steiner: Die Musik ist nicht rätselhaft. Sie ist im Gegenteil extrem genau konzipiert und dennoch von hoher Inspiration.
Roman Hovenbitzer: Ich finde es spannend, dass es auf der einen Seite eine große dramaturgische Offenheit gibt und aufseiten der Komposition hingegen die vollkommene Determination.
Bernhard Steiner: Mit einem simplen Bausatz hat er eine enorme Bandbreite erschaffen. Es ist eine Art 12-Ton-Musik, die den Schrecken, den der Begriff in sich trägt, nicht besitzt.
Was macht die 12-Ton-Musik zum Schrecken der Zuhörer?
Bernhard Steiner: Es ist Musik, die überhaupt keine tonalen Bezüge hat, was dem Hörer in der Regel das Leben schwer macht. Für ein normales Publikum, ohne musikalische Vorbildung, ist sie schwer erschließbar. Unter normaler tonale Musik, verstehen wir alles, was bis zur 12-Ton-Musik entstanden ist. Zum Beispiel Mozart: Man weiß, ohne die Musik zu kennen, wohin die Reise – im Wesentlichen – geht. Aber auch hier kommt Benjamin Britten dem Zuhörer entgegen. Die Oper wird für die Besucher wirklich eine spannende Produktion werden. Dass die KUG es einem Studierenden ermöglicht, so eine Produktion zu dirigieren, ist ebenfalls eine Besonderheit, die man nicht hoch genug schätzen kann.
The Turn of the Screw
In Benjamin Brittens Oper greift das Grauen Raum – und am Ende, so viel ist sicher, ist eine Person tot. Studierende des Instituts Musiktheater, Opernorchester der KUG, Bernhard STEINER – Musikalische Leitung, Roman HOVENBITZER – Inszenierung, Silvija OSTIR – Ausstattung
11., 13., 15., 17. & 19.6.2016, jeweils 19 Uhr
MUMUTH, György-Ligeti-Saal, Lichtenfelsgasse 14