Die aktuelle Ausstellung arbeitet Bedeutungsverschiebungen auf, die Keramiken erfahren haben, und zeigt, welche Erinnerung in ihnen schlummern.
„Mit siebzehn ging ich vorzeitig von der Schule ab, um bei einem strengen Mann in die Lehre zu gehen, einem Jünger des englischen Töpfers Bernard Leach“, erzählt Edmund de Waal im Bestseller Der Hase mit den Bernsteinaugen von seiner Obsession für Keramik. In der bewegten Geschichte der jüdischen Familie des Professors für Keramik an der University of Westminster spiegelt sich jene des Europas der letzten hundertfünfzig Jahre wider. Dem Kunsthaus Graz stellt er in der Schau Geknetetes Wissen wertvolle Exemplare aus seiner Sammlung und eigene Werke zur Verfügung. Kuratiert von Peter Pakesch liest sie sich ähnlich dem Buch als Geschichte von Besitz, (un-)gewolltem Handel und der Kultur des Erinnerns. „Die Ausstellung kann man politisch lesen. Keramik war immer ‚migrantisches’ Material“, meinte Pakesch in seiner Eröffnungsrede. Es gab ein unstillbares Verlangen nach chinesischem Porzellan. Keramik war Nutzgefäß und Kunstwerk, gestaltetes Wissen und Ausdruck der Zeit, Gegenstand des Kunstgewerbes. De Waal setzt sich – von der Suprematistischen Teekanne von Kazimir Malevich, Lucie Ries Große ovale Schüssel bis zu Meissen-Tassen – mit Erinnerungsformen auseinander und Walter Benjamin ein Denkmal. Ai Weiweis Beschäftigung gilt dem Umgang mit der Wirklichkeit und der Archäologie. In seinen provokativ scharfen Gesten kommentiere er politische und kulturelle Umwerfungen, meint Pakesch. Unterhaltsam, frech, nachdenklich stimmend wirken zum Beispiel die Urne aus der Han Dynasty (ca. 206 v. Chr.) mit dem Coca-Cola-Logo. Und die tausenden abgebrochenen Teekannenschnäbel, die an Knochen erinnern und auf die Bautätigkeit der letzten Jahre im asiatischen Raum – mit unvorhersehbaren Folgen – verweisen.
Geknetetes Wissen. Die Sprache der Keramik
24.9.2016–19.2.2017
Kunsthaus Graz, Lendkai 1, 8020 Graz
www.kunsthausgraz.at
Text: Natalie Resch