2012 gegründet, ging bereits das Debütalbum „Amore“ (2014) der Wiener Band Wanda durch die Decke. 2015 folgte der zweite Longplayer „Bussi“ und die Leser des Rolling Stone Magazine wählten die Formation zur Band des Jahres. Doch das Ende der Fahnenstange scheint noch nicht erreicht. Die Bühnen werden immer größer, ein neues Live-Album ist am Start und im Rahmen der aktuellen Tour bespielen die Jungs am 3. Dezember die Grazer Stadthalle. Wir sprachen mit Sänger Marco Michael Wanda und Keyboarder Christian Hummer über die gängigen Klischees, die obligatorische Lederjacke und wieso das Glastonbury-Festival nicht außer Reichweite ist.
Text: Wolfgang Pauker
Ihr pflegt das Image der Rock’n’roll-Band – inklusive aller Klischees. Wie viel Sex, Drugs and Rock’n‘Roll steckt wirklich in Wanda?
MW: Sex gibt’s eigentlich kaum mehr, weil das Privatleben „in oasch“ geht. Rock’n’Roll an sich halte ich für einen kapitalistischen Terminus, der einem eine Lebensrealität vorspielt, die es gar nicht gibt.
CH: Rock’n’Roll war in den 50er-Jahren sehr relevant, wo er ein Tool war, um die Rassentrennung zu überwinden. Daher hat er eine große Bedeutung, aber das wird jetzt nicht mehr so gelebt. Das ist sehr schade.
MW: Und Drugs: Ja sicher, warum nicht. Finde ich keine Gründe dagegen (lacht).
Gesellschaftliche Differenzen überwinden wollt aber doch auch ihr?
CH: Ja, aber es ist nicht mehr derart brisant und starr, wie es in den 50er-Jahren war.
MW: Man sollte eher wieder darauf hinweisen, wie frei diese Gesellschaft eigentlich ist und wie viel Potenzial in ihr steckt. Und diese Gesellschaft darf sich auf keinen Fall von der Angst mitreißen lassen, die gerade propagiert wird von Parteien und Politikern.
CH: Ich glaube, dass die Grenzen, die früher gesellschaftlicher und politischer Natur waren, heutzutage vielmehr dadurch spürbar sind, dass die Menschen Angst haben. Wir versuchen eher, die Angst zu nehmen.
Kann Rock’n’Roll Angst nehmen?
MW: Ja natürlich, aber nicht nur der Rock’n’Roll allein, sondern das müssen die Musiker auch selbst forcieren.
Ihr seid aber recht unpolitisch …
MW: Wir werden in Wahrheit selten gefragt.
CH: Wir sind schon Leute mit politischen Meinungen, aber unsere Kunst ist nicht per se eine deklariert politische. Und was politische Künstler betrifft, so kann man das auch schwer verallgemeinern. Da gibt es gute und schlechte. Kunst soll immer auch eine politische Komponente enthalten, insofern sie Missstände und Entwicklungen aufzeigt, bevor das die Politik tut.
Apropos Politik: Ihr spielt am 3. Dezember in Graz. Tags darauf wählt Österreich den Bundespräsidenten. Ihr auch?
CH: Natürlich gehen wir wählen.
Wollt ihr eine Wahlempfehlung abgeben?
MW: Man soll das Richtige wählen. Ich glaube aber, unser Publikum wählt eh das Richtige und weiß das auch. Sagen wir mal so: Man sollte sich an diesem Tag gegen die Angst entscheiden!
Zurück zu eurem Image. Stichwort Inszenierung: Ich habe mal ein Zitat gelesen, wonach Rockmusiker keine Turnschuhe tragen dürfen. Mick Jagger trägt auf der Bühne nur Turnschuhe, Freddy Mercurys Boxerschuhe sind legendär. Wieso verwehrt ihr euch gegen bequemes Schuhwerk?
CH: (lacht und hebt einen Fuß unter dem Tisch, um seine schwarzen Sneakers zu präsentieren).
Gut, das wäre hiermit also widerlegt.
MW: Ich war jünger vor zwei Jahren und alles, was ich von dieser Aussage habe, ist zwei Jahre später ein Haltungsschaden. Ich bin einsichtig. (lacht)
Hingegen scheint die Lederjacke Pflicht zu sein …
MW: Die Lederjacke gibt’s bei mir nicht mehr. Meine ist kaputt, ich brachte sie unlängst zu einem italienischen Schneider, der sie für das Stadthallenkonzert retten konnte, aber darüber hinaus ist es vorbei mit der Lederjacke. Was Kleidung betrifft: Jeder wie er will. Ich habe gelernt und mich als Mensch weiterentwickelt und distanziere mich von verallgemeinernden, freiheitsbeschneidenden Aussagen, die mein vollidiotisches Ich vor ein paar Monaten getätigt hat.
Lemmy Kilmister hat angeblich – egal in welchem Rauschzustand – nie ein Konzert gecancelt. Schaffte es bei euch jemals ein Bandmitglied nicht auf die Bühne?
MW: Nein, noch nie. Mir wollte man einmal einen Blutaustausch machen, aber ich hab es dann auch ohne auf die Bühne geschafft.
CH: Ray (Reinhold „Ray“ Weber, Bassist der Band, Anm. d. Red.) mussten wir in Salzburg buchstäblich auf die Bühne tragen. Das war aber recht lustig. Er hat die ersten 20 Minuten des Konzerts damit verbracht, die Leute in der ersten Reihe mit Handschlag zu begrüßen.
MW: Er war so rührselig. Wie ein Bsuff in einem Beisl so nach dem Motto: Ihr seid alle meine Freund.
Ihr seid ständig mit Zigaretten zu sehen. Üben die abschreckenden Bilder auf den Packungen irgendeinen Einfluss auf euch aus? So geschockt, dass ihr doppelt so viel rauchen müsst?
MW: Ich find’s deppert, weil man könnte das Budget für so eine Kampagne zum Beispiel für eine Kampagne für den Frieden gebrauchen. Oder für Respekt oder gegen Rassismus. Oder für Gender und Feminismus. Schade, dass man das Geld für so einen Scheiß wegschmeißt. Ich glaube, dass die körperliche Gesundheit nur deswegen über die seelische gestellt wird, damit die Menschen weiterhin funktionieren und Kapital erwirtschaften und als Sklaven für den Kapitalismus zu missbrauchen sind. Es wäre aber viel wichtiger, dass man sich der verkommenen Seele dieser Gesellschaft zuwendet. (legt eine Pause ein) Amen!
Wie weit kann man mit deutschsprachiger Rockmusik kommen? Gibt es Pläne, etwas in Englisch zu veröffentlichen? Glastonbury Headliner wird man wahrscheinlich mit deutschsprachigen Texten nur schwer …
MW: Naja, das ist die Frage. Ich glaube, dass man in jeder Sprache auf jedem Festival spielen kann. Und englische Bands spielen ja auch bei uns (lacht), obwohl die meisten im Publikum über das Schul-Englisch hinaus kein Wort verstehen. Ich glaube schon, dass wir mit deutschen Texten am Glastonbury spielen könnten. Und wir haben Blut geleckt! Wir waren jetzt auf Urlaub in London und wir wollen unbedingt in England spielen. Aber auf Deutsch. Weil ich kann ja auch gar nicht gut genug Englisch. Außerdem können die Engländer auch teils ganz gut Deutsch. Und die Toten Hosen sind ja auch riesig in Südamerika. Also das geht sich alles aus, glaub ich.
CH: Englische Texte sind nicht geplant, aber wer weiß schon, was in 30 Jahren passiert. Vielleicht gibt’s dann gar kein Deutsch mehr.
Winziger Tourbus vs. Nightliner – wie viel Spirit geht verloren mit wachsendem Erfolg?
MW: Gar nichts. Wir haben im Tourbus einfach mehr Zeit und mehr Platz, um uns mit uns zu beschäftigen.
CH: Aber das stimmt ja eigentlich auch nicht. Wir sind jetzt halt zu vierzehnt in einem Nightliner für 13 Leute und davor eben zu neunt in einem Neunsitzer.
MW: Aber wir sitzen jetzt zumindest einander zugewandt.
Wann kommen die besten Ideen für neue Songs?
MW: Das ist eine unbeantwortbare Frage. Wir werden es oft gefragt, aber das passiert oder passiert eben nicht und man kann nur da sein, wenn’s passiert. Aber man ist meistens nicht da, wenn’s passiert. Es ist ein Gefühl. Mir passiert oft, dass ich im Kaffeehaus sitze und das Gefühl habe, jetzt könnte ich ein Lied schreiben, aber dann müsste ich nach Hause fahren. Aber dann leb’ ich lieber und bleib’ sitzen und hab’ was zu erzählen. Mein Rat an Schriftsteller jeglicher Art, an schaffende Menschen wäre immer: Viel mehr leben, als man arbeitet. Weil nur dann wird’s irgendwann so dringend, dass man wirklich nach Hause fährt und es zu Papier bringt. Aber sich in der Musik dazu zu zwingen, ist unmöglich. Man kann üben, dazu kann man sich zwingen. Aber man kann nicht schaffen, wenn man sich dazu zwingt.
Helfen Rauschmittel beim Kreativitätsprozess oder hemmen sie? Hemingway meinte ja einst: „Schreib betrunken, aber überarbeite nüchtern.“
MW: Der hat aber auch über weite Strecken in der Früh geschrieben, und dann wohl relativ nüchtern. Ich glaube, dass es hierfür keine eindeutige Strategie gibt. Was mir manchmal hilft, ist ein kleiner Joint mit einem Short-Paper gebaut. Also kein richtiger Kiffer-Joint, weil ich kiffe nicht – aber ein kleiner Joint und ein Radler ist manchmal der größte Rausch, den es gibt. Danach versucht man eh nur künstlich etwas auszudehnen, was schon vorbei ist. Wie der Kreislauf von Drogen halt nun mal ist. Das erste High ist immer das Schönste. So wie in der Liebe.
Banksy bediente sich einmal bei Picasso und sprayte: the bad artists imitate, the great artists steal. Bei wem stiehlt Wanda?
MW: Wir stehlen nur bei Leuten, die auch schon bei jemandem gestohlen haben – womit’s für uns moralisch gerechtfertigt ist (lacht). Aber es ist einfach zu viel, ums eindeutig zu beantworten. Wir bedienen uns so viel an Versatzstücken, die aber auch weit über Musik hinausgehen. Mich begeistert die bildende Kunst eines Mark Rothko genauso wie die Literatur eines Hemingway. Hauptsächlich nimmt man sich, glaube ich, Menschen zum Vorbild, die konzentriert und hart an ihrer Kunst gearbeitet haben. Das ist genug. Das reicht schon völlig, um inspiriert zu sein.
Wie harte Arbeit ist Kunst?
MW: Ich glaube, es ist viel harte Arbeit. Es passiert nicht von alleine.
CH: Ich finde auch, dass ernst gemeinte Kunst sehr harte Arbeit ist. Nicht körperlich hart, aber durch diesen Prozess der Ungewissheit und des ständigen Wartens, in den man sich da begibt, ist das sehr anstrengend.
MW: Gerade in einer Zeit, in der einem eingeredet wird, dass alles einen Zweck haben muss. Zweckrationalität als Schlagwort unserer Gegenwart. Und meistens ist man als Künstler über weite Strecken arbeitslos, beschäftigungslos und kann niemandem sagen „Ich treffe dich nicht auf einen Kaffee, weil ich muss arbeiten“. Und dann kommt die Frage „Was arbeitest du“ und dann sagt man „Ich schreibe ein Lied“ und das wird dann aber nicht als Arbeit bewertet von der Gesellschaft. Und diesen Kreislauf anzunehmen und damit umzugehen, ist für jeden Menschen schwierig am Anfang. Mittlerweile sind wir aber Ende 20 und verdienen unser Geld damit. Aber es war am Anfang schwierig.
CH: Das Leben als Künstler ist einfach ein unregelmäßiges Leben und das ist auch sehr anstrengend.
Betätigt ihr euch auch in anderen Kunstdisziplinen?
MW: Ich schreibe und ich male.
CH: Ich male und zeichne.
Gibt es den Impetus, das auch öffentlich zu machen?
MW: Wenn mir das Geld als Musiker ausgeht, mache ich eine Ausstellung. Damit fahre ich dann nach London, wo ich mir wahrscheinlich einen Monat Miete leisten kann, und schaue weiter.
Angst davor, die Kreativität zu verlieren?
MW: Ja, immer wieder. Ich glaube, mit Durststrecken umzugehen, ist etwas, was man nicht lernen kann. Man glaubt immer wieder, wenn man einen Monat lang kein Lied geschrieben hat, dass es nicht mehr funktioniert. Das wird immer so sein. Das kann das Gehirn offensichtlich nicht lernen. Oder das ist bei mir zumindest so. Geht aber auch vielen Kollegen so, die ich kenne. Der Einzige, der unermüdlich arbeiten kann, ist der Nino aus Wien.
Apropos Kollegen: Andreas Gabalier spielt unplugged auf MTV – was würdet ihr antworten, wenn er euch zu einem Gastauftritt bittet?
CH: Nein, danke.
MW: Genau. Ich würde ihm aber sagen wollen, dass ich „Amoi seg’ ma uns wieder“ für ein großartiges Lied halte.
Was verbindet euch eigentlich mit Graz und was verbindet ihr mit Graz?
MW: Ich weiß, dass Soap and Skin aus dieser Gegend hier kommen. Ich weiß, dass Graz die Lieblingsstadt vom Nino aus Wien ist. Und ich weiß, dass die Konzerte, dir wir bisher hier gespielt haben, für mich zu den schönsten gehören, an die ich mich erinnern kann. Irgendetwas ist am Grazer Publikum sehr besonders.
Am Nuke Festival 2015 habt ihr mit Verspätung angefangen und trotzdem auf den Punkt aufgehört. Das war schon ein bisschen frech.
CH: Das mit der Verspätung lag nicht an uns, sondern an einem technischen Problem und wir mussten den relativ strikten Zeitplan des Festivals einhalten.
MW: Was aber schon stimmt und was man aus der Frage ableiten kann: Wir sind eine Band, die es manchmal gut sein lässt, selbst wenn noch vier Minuten Zeit wäre. Wir haben immer, egal, wann wir aufhören, das Gefühl, es ist jetzt genug und wir hätten genug gegeben. Wir fühlen uns nie schuldig, so, als müssten wir noch etwas künstlich hinauszögern. Dazu haben wir zu viele Drogen genommen und zu viel schlechte Erfahrungen damit gemacht. Wenn etwas gut ist, ist es gut – und aus. Dann muss man aufhören.
Gutes Schlusswort.