VALIE EXPORT zählt zu den international bedeutendsten Pionierinnen der Medien- und Peformancekunst und gilt mit ihren Arbeiten als Wegbereiterin des feministischen Ausdrucks in der Kunst. Der eigene Körper steht im Mittelpunkt ihrer Aktionen, die im wahrsten Sinne des Wortes „unter die Haut“ gehen. Wir trafen die gebürtige Linzerin im Kunsthaus Weiz, wo ihr im Juni 2014 eine große Werkschau gewidmet wurde.
„Die Kunst kann ein Medium unserer Selbstbestimmung sein?“ – Wie viel kann man mit Kunst verändern?
Man kann sehr viel verändern, aber die Veränderungen sind nicht immer dezidiert sichtbar. Kunst hat immer den avantgardistischen, den utopischen Gedanken, die Wahrnehmung zu sensibilisieren – und das ist auch ihre wichtigste Aufgabe. Wenn man daran denkt, was Kunst uns zeigt, dann erkennt man, wie viele soziale und auch kulturelle Strömungen damit verbunden sind, und wenn man hier die Wahrnehmung schärfen kann und durch die Kunst lernt, wird sie auf jeden Fall verändern.
Medienkunst heute – ist es leichter, durch die „Neuen Medien“ ein Publikum zu erreichen und damit etwas zu verändern, oder ist das Publikum eher abgestumpft?
Ich denke, weder noch. Es ist zu einer alltäglichen Sache geworden und die „Social Medias“ beziehen ja jeden mit ein, und damit ergeben sich ganz neue Ausdrucksformen. Es ist ein Zeitausdruck, und wenn man sich genau damit beschäftigt, müsste man eigentlich fragen, was ist die Utopie dieser sogenannten Neuen Medien –, weil so neu sind sie ja nun nicht mehr – und gibt es hier einen utopischen Gedanken? Aber diese Frage wird nicht gestellt …
Indem man die gesamten Zusammenhänge einer politischen, sozialen und kulturellen Gesellschaft analysiert und fragt, wo die einzelnen Träger und Trägerinnen dieser globalen Gesellschaft sind, und umgekehrt: Wie kann es möglich sein, beispielsweise in der Türkei Social Medias abzuschaffen, weil sie jemandem gefährlich werden können.
Sie sind die Grande Dame, die Pionierin der Medienkunst. Sehen Sie sich mit Ihren Arbeiten auch als Wegbereiterin der sexuellen Revolution in Österreich?
(lacht) Das glaube ich nicht, und ich bin mir auch nicht sicher, ob es überhaupt jemals eine sexuelle Revolution in Österreich gegeben hat. Die sexuelle Revolution war ja auch ein Schlagwort, und dieses funktionierte weder früher noch heute. Aber dass wir uns alle mit der Sexualität in der Gesellschaft, auch im kulturellen Sinne, beschäftigt haben, dazu hat sicherlich der künstlerische Ausdruck etwas beigetragen. Sexuelle Revolution wäre die Aufhebung der Genderbarrieren, der Genderdefinitionen im Politischen, Sozialen und Sexuellen.
Ist Kunst und Feminismus heute noch genauso wichtig oder sogar wichtiger als in den 1970ern?
Feminismus als eine soziale und kulturelle Auseinandersetzung war und ist wichtig, aber dass es innerhalb des Feminismus auch künstlerischen Ausdruck gibt, hängt mit künstlerischem Statement zusammen. Feminismus ist heute genauso wichtig wie anno dazumal, und durch die Globalisierung und die kulturellen Öffnungen wird auch sichtbar, dass er noch immer wichtig ist, weil er weit über die Forderung nach Gleichberechtigung und dergleichen hinausgeht.
Empfinden Sie Österreich – was Feminismus oder auch Homosexualität usw. anbelangt – als rückständig?
Man kann gar nicht sagen rückständig, weil es in Österreich ganz einfach nie einen Standpunkt gegeben hat. Egal ob in den 1960er, 70ern oder heute: Österreich hat kein Bewusstsein davon, was die Zeit bietet und fordert – nämlich ein innovatives Denken –, und da gehört natürlich unter anderem auch Homosexualität und Bisexualität dazu.
Österreich war Ihnen im Zuge Ihrer Karriere lange Zeit nicht wirklich freundlich gesinnt. Wieso leben Sie trotzdem noch immer in diesem Land? Oder anders gefragt: Können Sie mit dem Begriff „Heimat“ etwas anfangen?
Heimat ist dort, wo ich bin! Was mich mit Österreich verbindet, ist das sogenannte „alte Österreich“, das Österreich der Intelligenz, wo es enormes Potential gibt. Aber mit diesem Potential konnte Österreich auch lange Zeit nicht umgehen. Die klügsten Köpfe mussten, wie man ja weiß, emigrieren, aber von dieser Intelligenz gibt es zum Glück auch heute noch Spuren.
Wie sehen Sie Österreich allgemein als Land für Kunstschaffende?
Wenn man es mit so manch anderen Ländern vergleicht, dann ist es hier schon sehr in Ordnung! Kunstschaffende haben hier vielleicht finanziell nicht so viele Chancen wie in anderen Ländern, sie haben aber hier eine freie Meinungsbildung und einen freien Meinungsausdruck. Ob dieser dann gefördert wird oder nicht, ob man ihn negiert oder nicht negiert, das ist eine andere Geschichte, eine Mentalitätsfrage, und hier muss man als Künstler eben lernen, sich durchzusetzen.
Sie haben an internationalen Hochschulen gelehrt. Kann man Kunst „lernen“?
Nein, Kunst kann man auch nicht lehren. Kunst kann man nur selbst erfahren. Man kann Kunstgeschichte und Kunstästhetik lehren, Kunstbegriffe in einen Zusammenhang setzen und dadurch etwas vermitteln, aber wie das die zukünftigen Künstler beeinflusst, das ist ihre eigene Sache, ihre eigene Kraft.
Wie stehen Sie dem heutigen Kunstbetrieb im allgemeinen gegenüber? Monetärer Gewinn scheint die oberste Devise zu sein …
Das ist natürlich richtig, und man sieht immer mehr, wie Kunst zur Ware wird. Das ist sehr gefährlich, weil Kunst nun ein weiterer Bestandteil unserer Warengesellschaft ist.
Wie lässt sich gegensteuern?
Das hängt mit dem Bewusstsein der jungen Menschen zusammen, die aufstehen müssen und sagen: Ich bin nicht Ware, und mein Ausdruck und meine Fähigkeiten sind auch keine Ware.
Wie stehen Sie staatlichen Subventionen gegenüber?
Der Staat hat ganz klar die Aufgabe, Kunst als einen Teil des sozialen Ausdruckes zu sehen und die Strukturen zu bieten, dass das passieren kann. Das gilt auch für die Wissenschaft und zählt für mich zu den essenziellen Aufgaben eines Staates. Kunst hat das Recht, als kultureller Teil eines Staates gesehen zu werden. Fördern und Unterstützen sind hier die falschen Wörter, denn das klingt mir zu sehr nach Almosen. Vielmehr muss das Bewusstsein da sein, dass Kunst ein Teil des Staates ist und sie genauso behandelt werden muss wie etwa die Wirtschaft.
Sie waren mit Ihrer Kunst sowohl sich selbst als auch Ihrem Publikum gegenüber nicht gerade zimperlich. Ihre Kunst geht im wahrsten Sinne „unter die Haut“. Bereuen Sie rückblickend irgend eine Aktion?
Es gibt doch keine Reue! Was künstlerische Aktionen betrifft sowieso nicht. Ich kann hier nur mit einem klaren NEIN antworten.
Was kann man sich von Ihrer Ausstellung im Kunsthaus Weiz erwarten?
Diese Schau wird einen tiefen Einblick in meine Werkgeschichte geben. Es werden Stationen meines künstlerischen Lebenslaufes ausgestellt, und man kann durch beigefügte Texte wichtige Zusammenhänge erkennen.
Text: Wolfgang Pauker