Die Steirische Kulturinitiative bringt drei türkische Künstler in die Grazer Öffentlichkeit und geht in der Ausstellung im ehem. Palais Dietrichstein der Frage nach, wie Kunstproduktion in einem politisch repressiven Staat möglich ist.
Drei türkische Künstlerinnen und Künstler treten an die Grazer Öffentlichkeit zu einer Zeit, in der die Türkei von Europa bzw. Europa von der Türkei wegdriftet. Dabei steht nicht mehr die Frage im Vordergrund, wer welchen Illusionen mehr Raum gab. Aber die geopolitische Lage der Türkei und ihre wirtschaftliche Potenz sind Glückskarten in einem inhumanen Spiel. Die innenpolitische Situation im Staat an der Grenze Europas und Asiens wurde inzwischen stahlhart.
Künstlerische Intervention
Die Ausstellung ist absichtlich in keinem Museum, sondern in einem öffentlichen Gebäude zu sehen. Das hat zwar kunsthistorische Bedeutung, steht der heutigen Kunst jedoch kaum nahe. In diesem Haus suchen Menschen, auch Flüchtlinge, Hilfe für menschenwürdiges Wohnen. Künstlerisch kann man also von einer Intervention sprechen. Sie erfolgt mit menschlicher Stimme und künstlerischen Antworten zur Erfahrung einer Zeugenschaft des Unaussprechbaren in einer Zeit des Schweigens, noch mehr: der zum Schweigen Gebrachten. Im Speziellen geht es um individuelles, politisches und künstlerisches Ringen in der heutigen Politszene der Türkei – in gefährlicher Nähe zur Diktatur. Wollte man das Wort hybrid verwenden, erführe es eine bisher damit nicht verbundene Schärfe. Die Werke von Didem Erk, Berat Isik und Zeyno Pekünlü, die aus verschiedenen Landesteilen kommen, wurden von der türkischen Kuratorin Isin Önol ausgewählt, um mit Michael Petrowitsch in eine konkrete Raumsituation eingebunden zu werden.
Kunst in einem repressiven System
In Krisenzeiten folgt der Kulturbetrieb speziellen Mustern. Vordergründig und an der Oberfläche ist vor allen Dingen Folgendes auszumachen: Bezeichnend in der Analyse ist die Schere, die sich auftut zwischen einem Zurückziehen in Biedermeier-ähnliche Strukturen und einem Vorpreschen (systemkonform vs. systemkritisch). Im Hintergrund spielen sich naturgemäß weitaus subtilere Dinge ab. Die Positionen dieser Schau gehen daher auch der Frage nach, wie Kunstproduktion in Zeiten der Veränderung möglich ist und welche Algorithmen man als Künstler bedienen kann/muss, um in einem repressiven System zu überleben und weiter effektiv arbeiten zu können. Wenn wir davon ausgehen, dass eine (der vielen Wahrheiten) im Auge des Betrachters entsteht und Künstlern im Kontext der politischen Veränderungen in der Türkei lebend und arbeitend genau für dieses Auge produzieren, merken wir Folgendes: Kunst mit gesellschaftspolitischem Anspruch kommt nicht mit dem Zeigefinger, sondern vielmehr als rhizomartiges Wesen daher, das versucht, eine komplexe Situation einzufangen. Darüber wollen die Positionen in dieser Ausstellung (auch) sprechen.
Die Künstler und ihre Positionen
Isin Önol arbeitet seit 2009 als unabhängige Kuratorin in Österreich und in der Türkei. Von 2006–2009 leitete sie das Elgiz Museum of Contemporary Art in Istanbul. Derzeit ist sie auch Gastprofessorin am Center for the Study of Social Difference an der Columbia University und als Gastkuratorin an der Wiener Universität für angewandte Kunst (Social Design – Art as Urban Innovation).
Michael Petrowitsch war Mitbegründer und langjähriger Leiter des Pavelhauses (Laafeld/Radkersburg), Referent zweier Kultur-Landesräte in der Stmk. Landesregierung und ist als Künstler und freier Kurator von Graz aus tätig.
Didem Erk: The End of a Dream, Performative Installation (2017). Erk lebt in Datça, einer kleinen Stadt in der Provinz Mugˇla im Südwesten der Türkei. Sie studierte an der Sabancı Universität „Visual Arts and Communication Design”.
Berat Isik: What does it say? (Soundinstallation). Isik lebt in Diyarbakir, wo er Malerei an der Dicle-Universität studierte. In dieser Region haben sich die Lebensumstände dramatisch geändert und damit Einfluss auf die künstlerische Produktion genommen.
Zeyno Pekünlü: At the “edge of all possible”, Lecture/Performance. Lebt und arbeitet als Lehrende an der Kültür University in Istanbul, hat Malerei an der Mimar Sinan Universität in Istanbul sowie an der Universität in Barcelona „Artistic Production and Research“ studiert.
Are you still Alive? – Voices of Conscience at a Time of Silencing
Mit Didem Erk, Berat Isik und Zeyno Pekünlü (Türkei)
Kuratiert von: Isin Önol (Istanbul, Wien) und Michael Petrowitsch (Graz)
Freitag, 24. März, 19 Uhr
Zu sehen bis 21. April im ehem. Palais Dietrichstein / Burggasse 9 / 8010 Graz
Die Steirische Kulturinitiative entdeckt und forciert Projekte, mit denen KünstlerInnen die Weiterentwicklung ihrer Arbeit in der und für die Steiermark realisieren können. Sie versteht sich als Ergänzung zu öffentlichen und privatwirtschaftlich punzierten Einrichtungen, die mit der künstlerischen Potenz im Lande nicht mithalten können.
Karl Heinz Herper, Vorsitzender
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