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Schauspielhaus Graz: „Was ist das, was in uns hurt, lügt, stiehlt und mordet?“

Foto: Lupi Spuma

Aufklärung, Menschenrechte, Demokratie, Nationalstaatlichkeit: Die Französische Revolution veränderte die Welt. Das Stück „Der Auftrag: Dantons Tod“ beleuchtet ihr Vermächtnis nun unkonventionell und vielschichtig.

Text: Wolfgang Pauker

Die Französische Revolution (1789–1799) sorgte für massive Umwälzungen in Europas Gesellschaft und war Anlass für zwei berühmte Stücke zweier bedeutender deutscher Dramatiker: 1834 stellt ­Georg Büchner die beiden Revolutionshelden Danton und Robespierre einander gegenüber und formuliert damit die Frage, welcher Weg der richtige sei, um revolutionäre Ideen in den Alltag zu überführen; 1980 schildert der große ostdeutsche Dramatiker Heiner Müller, wie drei Republikaner auf verlorenem Posten, weit weg von der Heimat Frankreich, versuchen, den Geist der Revolution nach Jamaica zu bringen und dort die Sklaverei zu beenden. Ihr Ansinnen endet in Verrat, Tod, Depression.

Foto: Lupi Spuma

Geschichte als Metapher

Die beiden hochpolitischen Autoren suchten in der Vergangenheit Spuren ihrer Gegenwart. Büchner, der im Vormärz die politische Lage seines Heimatlandes analysierte, schrieb mit 22 Jahren sein erstes Drama: Dantons Tod. Heiner Müllers Herangehensweise 150 Jahre nach Büchner ist eine gänzlich andere. Der sprachmächtige Geschichtsmetaphoriker leistet in Der ­Auftrag­ poetische Trauerarbeit und zeigt das Scheitern einer Utopie.

Und heute?

Büchners berühmte Frage: „Was ist das, was in uns hurt, lügt, stiehlt und mordet?“ bleibt bestehen, insbesondere angesichts der Situation in den Ländern nach dem Arabischen Frühling, die auch die Kraft und Überzeugungskraft unseres demokratischen Modells infrage stellen. „Puppen sind wir, von unbekannten Gewalten am Draht gezogen; nichts, nichts wir selbst!“, heißt es in Danton. Regisseur Jan-Christoph Gockel nahm dieses Zitat zum Ausgangspunkt, um zusammen mit dem Puppenbauer und -spieler Michael Pietsch die Autoren Büchner und Müller nun am Schauspielhaus zusammenzudenken. Soweit die Ausgangsposition …

Robespierre spricht zum Volk
Foto: Lupi Spuma

Die Revolution als Utopie

Was Regisseur Jan-Christoph Gockel mit diesem Stück auf die Bühne des Schauspielhaus Graz gezaubert hat, ist ganz großes Theater, getragen von hervorragenden Schauspielern. Allen voran einer wieder einmal überwältigenden Julia Gräfner als Debuisson, einem rebellischen Sprössling einer Sklavenhalterfamilie. Ihr zur Seite und um nichts nach stehen Florian Köhler als bretonischer Bauer Galloudec und Komi Mizrajim Togbonou als Sasportas. Gemeinsam wollen sie mit einem rollenden Puppentheater inklusive Ensemble (Raphael Muff und Michael Pietsch) und deren Inszenierung von Georg Büchners Stück „Dantons Tod“ im Gepäck nach Jamaika, um dort eine Revolution anzuzetteln. Die Puppenspieler Pietsch und Muff agieren wortgewaltig, ziehen die Fäden gekonnt, scheren sich aber nichts um die Revolution, sondern fühlen sich einzig ihrem Stück verpflichtet. Doch so einig über ihre Beweggründe sind sich auch die drei Franzosen gar nicht und so kommt es wie es kommen muss – sie scheitern. Und das noch bevor ihr Auftrag mittels Regimewechsel im Heimatland ohnehin nicht mehr existiert.

„Was die Menschen eint, sind die Geschäfte.“
Foto: Lupi Spuma

Klingt kompliziert – ist es keineswegs

Der Plot mag auf der ersten Blick ein wenig trocken klingen und die Verknüpfung dieser beiden Klassiker, auch wenn die Idee bereits im „Auftrag“ vorgegeben ist, ein wenig intellektuell. Das Ergebnis ist aber ein ganz anderes. Das Stück ist frisch, strotzt vor großartiger Sprache und lässt an den richtigen Stellen auch die nötige Portion Humor keineswegs vermissen. Die Puppenspielsequenzen in diesem knapp dreistündigen Schauspiel werden nie langweilig, sind pointiert und leben auch vom großen Können ihres Erbauers Michael Pietsch. Das Bühnenbild von Julia Kurzweg passt zu den teils halsbrecherischen Szenen. Ein Geländewagen wird durch den Match gejagt, ohrenbetäubende Salven werden abgefeuert und spätestens wenn das Publikum mit „Geht nicht ins Theater, geht auf die Straße!“ direkt angesprochen wird, ist dem letzten im Saal klar, dass es sich hier auch um uns dreht. Um die aktuelle Gesellschaft. Um das hier und jetzt.

Komi Mizrajim Togbonou, Florian Köhler, Julia Gräfner, Raphael Muff.
Foto: Lupi Spuma

 


 

Regisseur Jan-Christoph Gockel im Interview

Büchners Frage: „Was ist das, was in uns hurt, lügt, stiehlt und mordet?“ – können Sie sie beantworten?

Zum Glück kann man diese Frage nicht beantworten, da Büchner damit eigentlich die Zerrissenheit des Individuums beschreibt. In seinen Stücken, in „Danton“ ganz besonders,  schreibt er davon, dass Figuren ihr Handeln in Frage stellen. In einem Brief schreibt Büchner: „Es herrscht eine unabwendbare Gewalt, Allen und Keinem verliehen“. Dieser “Büchnersche Widerspruch” zeigt sich genau im „Danton“, weil er das Stück in der Revolutionszeit spielen lässt.

Jan-Christoph Gockel
Foto: Andreas Etter

Was blieb von liberté, égalité, fraternité (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit), angesichts von hochgezogenen Grenzzäunen und neu aufkeimender Fremdenfeindlichkeit?

Das Interessante ist, dass Heiner Müller diese Frage schon in der 70ern in seinem Stück „Der Auftrag“ stellte: Was sind unsere großen Europäischen Werte noch wert, wenn unter ihrem Deckmantel in vielen Teilen der Welt zu Ausbeutung, Sklaverei und Unterwerfung möglich war? Die zentrale Frage, die sich heute stellt, ist, ob wir uns tatsächlich auf diese Werte zurückbesinnen wollen oder ob es nicht sinnvoller wäre, in Richtung Zukunft zu denken? Diese drei Begriffe waren nie Begriffe, die ohne Gewalt auskamen – es waren immer Kampfbegriffe. Unsere Welt braucht Werte, aber es stellt sich die Frage, ob es die alten sind oder ob wir uns als Europäer neue erdenken sollten, ohne dabei die Geschichte verleugnen zu müssen. Müller schreibt: „Tausend Jahre ist gelacht worden über unsre drei Geliebten. In allen Gossen haben sie sich gewälzt, alle Rinnsteine der Welt sind sie hinabgeschwommen, geschleift durch alle Bordelle, unsre Hure die Freiheit, unsre Hure die Gleichheit, unsre Hure die Brüderlichkeit.“

Angst scheint in Zeiten wie diesen der größte Feind der Aufklärung zu sein. Und Medien befeuern sie gefällig. Wie gegensteuern?

Mit Aufklärung! Das sagt Julian Assange und er bezieht sich dabei auf das digitale Zeitalter, in dem wir leben. Er meint, wir haben uns von vielen Dingen, die wir eigentlich alltäglich benutzen und von Umständen, in denen wir leben, entfremdet. Der Schrei nach einfachen Lösungen für komplizierte Probleme wird laut. Ich würde hier nicht mit einer Medienkritik ansetzen, sondern mit einer Kritik der Vereinfachung. Wir alle wissen, dass jeder von uns vierzig bis sechzig Sklaven auf der Welt beschäftigt, um seinen ,,normalen” Lebensstil aufrecht zu erhalten: Kleidung, Nahrung, digitale Geräte … Aus diesem Zirkel der Abhängigkeiten auszubrechen, persönlich, gesellschaftlich und politisch, das muss das Ziel sein. Müller fragt diesbezüglich, ob es möglich ist „auf dieser Welt glücklich zu sein“.

Die Demokratie wird zusehends untergraben. Legitimiert durch Wahlen werden autoritäre Regime installiert. Steuert die Welt wieder auf einen großen Krieg zu, wie es Gorbatschow unlängst in der „Time“ reklamierte?

Das sind zwei Fragen, bei denen ich vorsichtig wäre, sie miteinander zu vermischen. Autoritär heißt nicht gleich Krieg. Zum Thema Krieg:  Ich bin in einer Zeit groß geworden, in der es das Schlagwort vom „Ende der Geschichte“ gab – und zwar nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Doch es ist das Gegenteil passiert. Die Spaltung zwischen Arm und Reich, zwischen Ausgebeuteten und Profitierenden ist sehr groß. Die Diskrepanz ist so massiv, dass man sich einen Krieg durchaus wieder vorstellen kann. Zu den autoritären Regimen: Den „Schrei nach dem starken Mann“ gibt es in vielen Ländern. In unserer Probenzeit zu „Der Auftrag: Dantons Tod“ trat beispielsweise Donald Trump sein Amt an. Die katastrophalen Konsequenzen, die dieser Amtsantritt  bereits innerhalb einer Woche hatte, wurden sofort spürbar. Dieser Schrei nach einer starken Hand ist für uns auch in dem Stück “Der Auftrag” interessant: Es gibt ja die drei französischen Emissäre in Jamaika, die einen Sklavenaufstand auslösen sollen. Das Hauptproblem dabei ist jedoch genau dieser „starke Mann“ – in unserem Fall Napoleon. Der Auftrag der europäischen “Demokratie-Heilsbringer” scheitert schlussendlich nämlich daran, dass zuhause der neue „starke Mann“ alles umstrukturiert. Da schuf Müller eine sehr interessante historische Parallele: Der „starke Mann“, der alles neu ordnet. Das einzig gute, was ich der aktuellen Situation abgewinnen kann: jetzt müssen wir uns aufraffen, weil wir jetzt wissen, was auf dem Spiel steht.

Foto: Lupi Spuma

Im Stück kommen Puppen zum Einsatz. Auch eine Parabel auf die Gesellschaft, in der die Herrschenden am Gängelband der Wirtschaft scheinen?

Nein, es ist eigentlich eine Büchnersche Metapher. Die Puppen werden nicht von der Wirtschaft gezogen, sondern von unbekannten Gewalten. Ein Bild, das in sehr vielen Büchner-Stücken vorkommt. Das ist der Büchnersche „Geschichts-Fatalismus“: Wir handeln, wir bewegen uns in dieser Revolution, sind aber von größeren Kräften bestimmt, die man nicht identifizieren kann. Es gibt diese übergeordnete Instanz nicht, es gibt keinen Gott. Es gibt niemanden, der steuert und trotzdem kann der zentrale Akteur die Geschichte nicht beeinflussen. Zu den Puppen lässt sich in unserer Inszenierung noch sagen, dass hauptsächlich Büchners „Dantons Tod“ mit Puppen gespielt wird. „Der Auftrag“ von Heiner Müller ist quasi die Rahmenhandlung. Wir erzählen die Geschichte der drei französischen Emissäre, die die Revolution auslösen sollen. Sie fahren los mit einem Theaterstück „im Gepäck“ und wollen einen Kulturauftrag durchführen: Sie möchten „Dantons Tod“ zeigen, um die Leute über die blutige Vergangenheit der europäischen Werte aufzuklären. Erst später kommt dann der Müllersche „Auftrag“ dazu mit der Botschaft: Wir benutzen hier nicht Kultur, sondern Waffengewalt, um die Kolonialisten zu stürzen.

Welche Antworten kann das Theater auf die brennenden aktuellen Problemstellungen geben?

Ich war 2014 mit einem Theatergastspiel in Burkina Faso. Zu dieser Zeit ereignete sich vor Ort eine Revolution und unsere Premiere am 31. Oktober 2014 konnte nicht stattfinden, da der Präsident an diesem Tag aus dem Amt gejagt und eine Ausgangssperre verhängt wurde. Dennoch war es ein Tag der Befreiung in Burkina Faso. Das erzählte ich dem Leiter von CHIALA, dem Verein für Afrikanische Kultur in Graz, mit dem wir kürzlich ein interessantes Treffen hatten und der meinte, dass Burkina Faso ein tolles Beispiel ist. Er gab außerdem ein vehementes Statement zu diesem Thema ab, er meinte: „Revolution und Veränderung ist nie durch Waffen möglich, weil das die Gräben verstärkt – aber durch Kultur ist das möglich.“

Foto: Lupi Spuma

Der Auftrag: Dantons Tod

Zu sehen am 17. März sowie am 5., 13., 26., 29. April um 19.30 Uhr, HAUS EINS

www.schauspielhaus-graz.at