Start Kunst & Kultur 50 Jahre steirischer herbst im GrazMuseum: Dokumentation einer Provokation

50 Jahre steirischer herbst im GrazMuseum: Dokumentation einer Provokation

steirischer herbst '91

Unter dem Titel „Diese Wildnis hat Kultur. 50 x steirischer herbst“ stöbert das GrazMuseum in der Geschichte des Festivals. Der Name ist Programm.

Text: Julia Braunecker

„Die Steiermark ist schon lange da. Und jedes Jahr wieder trifft sie der Schlag. Er reißt sie aus sich heraus“, schreibt Elfriede Jelinek anlässlich des 50-Jahr-Jubiläums des steirischen herbst. Dieser bricht nun schon seit einem halben Jahrhundert mit gesellschaftlichen Normen und veralteten Traditionen im Lande. Nach 50 Jahren ist es nun an der Zeit, Bilanz zu ziehen, und so wird dem „Gewissen der Steiermark“ heuer erstmals eine zentrale Herbstausstellung im GrazMuseum gewidmet. Das Kuratorenteam setzt sich aus Annette Rainer, Martina Zerovnik, Martin Behr und Direktor Otto Hochreiter zusammen.

Ganz im Zeichen des herbst: die Fassade des GrazMuseums in der Sackstraße
Foto: Schurig

Bunte Wildnis

Die Sonderausstellung im GrazMuseum erzählt, wie sich das Festival von einer „repräsentativen Zusammenfassung der künstlerischen und wissenschaftlichen Kräfte des Landes Steiermark“ (herbst-Gründer Hanns Koren) zu einer internationalen Plattform für zeitgenössische Kunst entwickelte. „Bei der Organisation der Ausstellung standen wir vor zwei großen Fragen“, erzählt Kuratorin Martina Zerovnik. „Wie geht man mit der Fülle an Projekten um und wer erzählt darüber?“. Man habe sich dazu entschieden, die Dokumente der Zeit sprechen und Wegbegleiter des herbst zu Wort kommen zu lassen. Schließlich sei dieser immer von starken Persönlichkeiten geprägt gewesen. „Wir haben die Fülle des Materials ernst genommen. Von 1967 bis 2017 ist jedes Jahr mit einem Projekt und einem Kunstwerk in der Ausstellung vertreten.“ Die ausgesuchten Projekte spiegeln die bunte Vielfalt und die Wirkung des Festivals in der Öffentlichkeit wider, seine Höhen und Tiefen. Unter den Kunstwerken wiederum findet sich Kurioses aus diversen Sammlungen. Hinter einer Glasvitrine etwa ist der Wetterfleck und Gehstock des 1985 verstorbenen herbst-Gründers Hanns Koren zu sehen.

Mit der Aufführung von Gespenster im Forum Stadtpark sorgte Wolfgang Bauer (am Bild bei den Grazer Literaturtagen)1975 für Aufruhr beim steirischen herbst.
Foto: Peter Philipp

Zeitreise durch 50 Jahre

Eigens für die Ausstellung wurden 50 „Dreieckständer“ angefertigt. Darauf wird dokumentiert, was in den letzten fünfzig Jahren an Projekten entstanden ist und wie die Medien darauf reagierten. Ein Streifzug durch die Zeitungsausschnitte gibt Einblick in die polarisierende Wirkkraft des Festivals: Von „Den Grazern schmeckt der steirische herbst wenig“ bis „Der Skandal ist nicht mehr, was er war“ reicht die Bandbreite an Reaktionen. Zusätzlich nehmen Experten aus dem Kulturbereich jedes Festivaljahr kritisch unter die Lupe. Unter das Ausstellungsinterieur mischen sich auch verschiedene Objekte aus dem öffentlichen Raum: darunter etwa eine Litfaßsäule oder eine Telefonzelle. Sie symbolisieren den steirischen herbst als eine Schnittstelle zwischen Kunst und Gesellschaft. Vom Erdgeschoß bis in den zweiten Stock blitzen bunte Plakate von den Wänden. Viele von ihnen wurden anfangs heftig angefeindet. Darunter das Motiv eines Herren, der seine Hose hinauf- und nicht wie vermutet hinunterzieht.

Eine besondere Telefonzelle: Hebt man hier ab, antwortet Wolfgang Bauer.

Provokation einst und heute

„Ich wusste gar nicht, wie provokant der steirische herbst einmal war“, zeigt sich eine Ausstellungsbesucherin überrascht. Sie steht vor dem Jahr 1971. Am 9. Oktober 1971 wurde Handke von der Polizei wegen tätlicher Ehrenbeleidigung abgeführt, als er zu seiner eigenen Lesung in einen überfüllten, abgeriegelten Hörsaal gehen wollte. Der aufgebrachte Autor attackierte den zur Vermittlung herbeigeeilten damaligen Kulturlandesrat Kurt Jungwirth mit einer Zeitung. 4 Jahre später, 1975, unterzeichneten 21.900 Grazer auf dem Hauptplatz eine Unterschriftenaktion gegen das „Avantgarde-Festival“. Doch der herbst ließ sich nicht einschüchtern und produzierte weiterhin Jahr für Jahr neue Skandale, wie etwa jenen aus dem Jahr 1979, als Peter Pakesch und Peter Weibel Schaufenster in der Innenstadt von Künstlern gestalten ließen. Weibel selbst versah ein Geschäft mit Naziparolen, Judensternen und der Aufschrift „Deutsche, kauft nicht bei Juden“. Die Konfrontation mit der dunklen Vergangenheit löste in der Bevölkerung eine Welle der Empörung aus. Das Plakat von 1987 zeigt Hermann Nitsch, der auf den Kasematten seine 85. Aktion „Brudermord“ veranstaltete. Teilnehmer ließen sich mit Tierblut überschütten, Holzkreuze, Gedärme und tote Tiere waren Teil des Gesamtkunstwerks. Während einer Stunde bekam das Publikum Einblick in das von ihm kreierte blutige Orgien-Mysterien-Theater, das normalerweise sechs Tage andauerte. „Kampf dem Sandlertreff! Aktionist erklärt Graz den Krieg!“, so lauteten die Reaktionen der Grazer Medien auf Christoph Schlingensiefs Obdachlosenprojekt „7 Tage Entsorgung für Graz“ im Jahr 1998. Der Künstler rief Graz zur „Sandlerhochburg“ aus und lud Obdachlose aus ganz Europa zum öffentlichen Pfahlsitzen beim Eisernen Tor ein. Am Boden protestierten aufgebrachte Grazer, die sich auf die Geldscheine stürzten, die von Schlingensief verteilt wurden. Was waren das für Zeiten!

Installationsansicht

Wo bleibt der Aufschrei?

Und heute? „Where are we now“ lautet das Motto des diesjährigen steirischen herbst. In den fünfzig Jahren seines Bestehens wurde das Festival in regelmäßigen Abständen totgesagt, bereits 1972 prophezeite man das baldige Ende des Festivals. Doch der steirische herbst erfand sich immer wieder neu, von Intendanz zu Intendanz. Aber „wen erreichen wir mit unserem Tun?“, fragt die derzeitige Intendantin Veronica Kaup-Hasler bei der Eröffnungsrede des 50. steirischen herbst. Ähnliche Fragen drängen sich auch nach der Ausstellungsbesichtigung auf. Man staunt über die bewegte Geschichte eines Festivals, das in den Umbruchzeiten der wilden 60er-Jahre geboren wurde und sich heute noch mit Mut und Wildheit brüstet. Was ist aus den großen Skandalen von einst geworden? Wo bleibt der Aufschrei der Medien? Heutzutage ist es mit der Provokation nicht mehr so einfach. Tagtäglich sieht man sich einer enormen Nachrichtenflut ausgesetzt, durch die (politische) Realität scheint die Kunst in ihrer Obszönität und ihres Skandalons abgelöst, und das Verständnis vom öffentlichen Raum ändert sich im digitalen Zeitalter grundlegend.

Diese Ausstellung gibt zu denken

Mit der Fülle an ausgestellten Projekten und Kunstwerken macht das GrazMuseum die Leistungen des steirischen herbst sichtbar. Der Rückblick auf die Festivalgeschichte ist aber ein kritischer. Verglichen mit den aufsehenerregenden Aktionen der vergangenen Jahrzehnte fällt so manchem Besucher auf, dass der Aufschrei heutzutage leiser geworden ist. Ein gesellschaftskritisches zeitgenössisches Kulturfestival, das sich 50 Jahre lang bewährt hat, ist angehalten sich nun (wieder) neu zu erfinden und Wirkungsbereiche für sich einzunehmen, stets der Frage nach gesellschaftlicher Relevanz verpflichtet.

50 Jahre Musikprotokoll

Mit insgesamt über 2.000 Aufführungen und Musik weit jenseits des Mainstreams trägt das musikprotokoll seit 1968 zum Gelingen des steirischen herbst bei. Eine Auswahl davon ist im Rahmen der Jubiläumsausstellung im Offenen Museum im Erdgeschoß bei freiem Eintritt zu hören.

Musikprotokoll

 

Vermittlungs- und Rahmenprogramm

Immer wieder sonntags: jeweils 15 Uhr, Dialogführung

„50 x steirischer herbst im Rückblick“

 

Spezialführung „Where are we now?“ mit steirischer herbst-Intendantin Veronica Kaup-Hasler

Do, 19. Oktober 2017, 18.30 Uhr

Zum Abschluss des diesjährigen Festivals wirft Veronica Kaup-Hasler noch einen ganz persönlichen Blick auf dessen Geschichte, die sie die letzten 12 Jahre mitgeschrieben hat.

Konfrontationen: Montags, 13., 20. und 27. November 2017, jeweils 18 Uhr.

Der steirische herbst polarisiert. Das war schon vor 50 Jahren so und das ist es noch heute. Den Mitstreitern der ersten Stunde steht eine neue Generation an FestivalbesucherInnen und NichtbesucherInnen gegenüber – und jeder hat eine eigene Meinung über den steirischen herbst. Unterschiedliche Positionen treffen im Gespräch aufeinander! Konfrontationen in bestem Sinne.

Finissage der Ausstellung „Diese Wildnis hat Kultur. 50 x steirischer herbst “

Montag, 8. Jänner 2018, 18 Uhr

 

Diese Wildnis hat Kultur – 50 × steirischer Herbst

noch bis zum 8. Jänner 2018 (Öffnungszeiten: täglich außer dienstags 10–17 Uhr)

GrazMuseum, Sackstraße 18

www.grazmuseum.at