Mit „Strange Allibert“, einer künstlerischen Intervention auf der Baustelle des von Zaha Hadid entworfenen Ersatzes für das abgerissene Kommod-Haus in der Grazer Burggasse, sorgt Markus Wilfling ab 31. Oktober für eine künstlerische Wahrnehmung der in vielerlei Hinsicht spannenden Immobilie und eröffnet dabei auch einen Blick zurück.
Text: Wolfgang Pauker
Der Künstler Markus Wilfling, bekannt unter anderem für die Gestaltung des legendären Uhrturmschattens im Kulturhauptstadtjahr 2003 (heute steht der Schatten-Uhrturm in der SC Seiersberg), wird bald in Zusammenarbeit mit der Steirischen Kulturinitiative die sich in Bau befindliche und von Star-Architektin Zaha Hadid entworfene Immobilie in der Grazer Burggasse 15 bespielen. Seine künstlerische Intervention wird ein Paradebeispiel spontaner Kunst im öffentlichen Raum darstellen und auch den Blick zurück auf die Geschichte des Standortes eröffnen, auf dem einst der Abriss des Kommod-Hauses kontroversielle Diskussionen auslöste.
Der Blick für das Unwesentliche
Wilflings Arbeiten basieren meist auf einer genauen Beobachtung der gegebenen Wirklichkeit, ihrer Erscheinungen und optischen Qualitäten. Dabei wendet er seine Aufmerksamkeit wenig oder nicht beachteten Dingen zu, wie Alltagsgegenständen in ihrer Fähigkeit, Schatten zu werfen oder sich zu spiegeln. In seinen Installationen und Objekten kehrt er triviale Situationen ins Widersprüchliche, sodass sich der automatisierte Wahrnehmungsprozess verlangsamt. „Dabei vermeidet Wilfling bewusst den Anschein des Inszenierten, denn dass Gegenstände Schatten werfen oder sich in einem Spiegel virtuell verdoppeln, entspricht unserer Alltagserfahrung. Die Irritation ergibt sich aus der Substantialisierung des Flüchtigen, also durch die von ihm vorgenommene real-gegenständliche Verdoppelung ausgewählter Objekte, und hier erfolgt eine Transformation gewöhnlicher Verhältnisse in ästhetische. Das Sichtbare verlässt die Welt der natürlichen Erscheinungen und tritt in eine Kunstwelt ein“, so die Grazer Autorin Kerstin Braun zu Wilflings Arbeiten.
Strange Allibert
Als zentrales Objekt seiner neuesten Installation an der Baustellenfassade wählte der 1966 in Innsbruck geborene Künstler nun einen Allibert, also einen klassischen Spiegelschrank, wie er in unzähligen Badezimmern über dem Waschbecken hängt. „Seit über 20 Jahren beschäftige ich mich in meiner bildhauerischen Arbeit unter anderem mit Badezimmerschränken, im Besonderen der Firma Allibert, dessen Markenname später zum Namensgeber dieses Badezimmermöbels wurde“, sagt Wilfling, der insbesondere die Bedeutung des Zusammenwirkens von Design und Funktion dieses in den 1960er Jahren entwickelten und bis in die 1980er Jahren produzierten Objekts hervorhebt. „Später plagiiert und als Billigprodukt in Baumärkten zum Verkauf angeboten, besteht ein Allibert aus einem präzisen Aufbau der Innenstruktur zur Aufbewahrung von Dingen der alltäglichen Körperpflege. Zum anderen ist diese Struktur hinter drei verspiegelten Türen verborgen und durch unterschiedliche Stellungen der geöffneten Türen ist es möglich, verschiedene Betrachtungswinkel zum Gesicht bzw. Kopf einzustellen“, so Wilfling. Die Dreiteilung des Spiegels deutet im weiteren Sinn dabei auch auf eine Weiterentwicklung des weiblich konnotierten Schlafzimmermöbelstücks „Psyche“ hin, jenem Ankleidetisch, der auch aus einem dreigeteilten, beweglichen Spiegel besteht. So erweist sich der Allibert-Spiegelschrank als eine emanzipierte und kompakte Version einer Psyche und kann als Objekt eines alltäglichen und in tausenden Badezimmern stattfindenden Rituals der Körperpflege gedeutet werden. „Ein Gegenstand der Selbstbetrachtung, der Selbsterinnerung, weil über einen längeren Zeitraum hinweg sich in einem privaten und intimen Raum die immer gleichen Gesichter wiederspiegeln“, so der mit dem Förderpreis für bildende Kunst der Stadt Graz ausgezeichnete Künstler, der Bildhauerei bei Bruno Gironcoli an der Akademie der bildenden Künste in Wien studierte und als freischaffender Künstler und Professor an der Meisterschule für Bildhauerei an der Ortweinschule in Graz lebt.
Die stetige Wiederkehr des Allibert
Das Möbelstück scheint Wilflings künstlerischen Weg ostentativ zu kreuzen: „1995 organisierte ich als Teil eines DJ-Kollektivs kleine illegale Raves an besonderen Orten, und auf der Suche nach einem solchen stießen wir auf das leerstehende Grazer Bad zur Sonne, wo sich ein Allibert im Wellness-Bereich befand. An diesem verklebte ich die beweglichen Teile und lackierte diesen schwarz. Weitere wurden mit Ein-Wort-Texten überzogen, beispielsweise als Spirale, um die hypnotische Wirkung des Blicks auf das eigene Spiegelbild zu verdeutlichen“, so Wilfling, der sich eine leichte Obsession für dieses Objekt eingesteht. „Ich erzählte Bekannten und Freunden von meiner Sammelleidenschaft. Auf diese Weise gelangen immer mehr Alliberts, zum Teil mit biografischen Bezügen, in meinen Bestand. Die sich immer wieder wiederholende, mehr oder weniger ähnliche Typologie des Objekts führte zu folgenden Überlegungen: präzise Zerschneidungen der Geometrie zu verursachen, um dysfunktionale neue Oberflächen zu schaffen, die wiederum zerschnittene und verschobene Spiegelungen erzeugten. Die Beziehung des Objekts zum Gesicht, zur Identität der Menschen allgemein, hat schließlich dazu geführt, 2011 den Allibert von der Wand zu lösen, Adaptionen vorzunehmen, um ihn als Maske tragen zu können“, erklärt Markus Wilfling. In Zusammenarbeit mit seiner Lebenspartnerin, der Fotografin Alexandra Gschiel, entstand bis heute die SW-Fotoserie Strange Mister Allibert, zum Teil Akt-Studien an verschiedenen Orten mit unterschiedlichen Bezügen. In den Aufnahmen wird die Selbstbetrachtung zugunsten einer Weltbetrachtung (durch Spion-Spiegel) aufgegeben. Ebenso wird es dem Betrachter nun auch an der Fassade des Zaha-Hadid-Hauses ergehen.
„Strange Allibert“ – Präsentation der Installation: 31. Oktober, 19 Uhr
Burggasse 15, 8010 Graz