André Doehring leitet seit rund einem Jahr das Institut für Jazzforschung. Im Interview mit „Achtzig“ gibt er einen Vorgeschmack auf die bevorstehende Tagung an der Kunstuni und erklärt, warum es wichtig ist, außerhalb von Grenzen zu denken.
Text: Julia Braunecker
Die Gründung des Instituts für Jazzforschung geht auf das Jahr 1971 zurück. Weshalb ist es wichtig, sich wissenschaftlich mit Jazz auseinanderzusetzen?
Musik zu machen und darüber zu forschen ist nicht dasselbe. In der Musikwissenschaft wurde die Jazz- und Popularmusikforschung lange Zeit vernachlässigt. Jazz benötigt aber, wie auch die klassische Musik, eine gewisse Lehrpraxis und ein bestimmtes Wissen. „Jazz Studies“ beziehungsweise „Popular Music Studies“ arbeiten transdisziplinär und versuchen, ihren Forschungsgegenstand aus möglichst vielen Perspektiven zu betrachten.
Was ist die Aufgabe eines Musikwissenschaftlers?
Ich als Forscher versuche zu beobachten, wie die Musik als Kulturpraxis funktioniert. Die Idee, dass es ein „richtiges Hören“ gibt, existiert nicht mehr. Die populäre Musik wurde lange ignoriert, weil sie als kunstlos galt. Man darf die sogenannte „Musik der 95 %“ aber nicht ausschließen. Junge Leute interessieren sich oft wenig für klassische Musik. Als Musikwissenschaftler versuchen wir zu verstehen, warum das so ist. Wir gehen in Rezeptionskontexte und fragen sie: Was mögt ihr an der populären Musik? Warum tanzt ihr dazu? Was bedeutet Groove? Es ist der Versuch zu verstehen, was die Menschen an dieser Musik wahrnehmen.
Warum bevorzugen Menschen „leichte“ Musik?
Musik hat nicht nur die Kunstfunktion. Vielen Hörern geht es um eine Transzendenz des Alltags, sie wollen Erfahrungen machen, die im realen Leben oft nicht möglich sind. Ein anderer Grund ist Eskapismus, der Wunsch abzuschalten. Kinder brauchen diese Musik zur Identitätskonstruktion. Wenn ein 13-jähriger Junge „Gangster Rap“ hört, kann er sich spielerisch in eine Machtposition versetzen, ohne Konsequenzen. Hier spielt auch der Tanz eine wichtige Rolle. Und natürlich versucht auch der Musikmarkt, uns zu beeinflussen. Der Markt ist immer schon ein Bestandteil des Musikschaffens.
Was reizte Sie an der Grazer Professur?
Das Grazer Institut für Jazzforschung ist eines der ältesten und bekanntesten Jazzforschungsinstitute weltweit. Die Publikationsreihen des Instituts, welche in Kooperation mit der Internationalen Gesellschaft für Jazzforschung herausgegeben werden, zählen zu den am längsten durchgehend publizierten Jazzzeitschriften weltweit. Das spricht für die Geschichte des Instituts. Mich reizte der ganzheitliche Aspekt. Sowohl Jazz- als auch Popularmusikforschung innerhalb einer Professur innezuhaben ist selten, in Österreich einzigartig. Beide getrennten Studiengänge können davon profitieren, wenn sie erkennen, was sie miteinander teilen. Das ist die Chance, die sich aus dieser Professur ergibt.
Ist es das, was Sie unter Entgrenzung verstehen?
Entgrenzung bedeutet für mich zu erkennen, dass der Jazz nicht in der einen Ecke steht und der Pop in der anderen. Es geht um gemeinsame Schnittmengen. Das bezieht sich auch auf Forschungsprojekte, wo Praktiker und Wissenschaftler zusammenarbeiten sollen.
Gängige Vorurteile lauten: Jazz ist komplex, Mainstream-Pop einfach und gleichförmig. Haben die beiden Musikrichtungen wirklich so wenig gemeinsam?
Menschen brauchen Kategorien aller Art, um die Welt zu ordnen. Die Musik bildet da keine Ausnahme, Klassik verbinden wir etwa sofort mit Geigen. Jazz ist nicht gleich Pop. Aber vom Jazz können wir zum Beispiel das Miteinander lernen. Bei der Improvisation müssen Individuen ihre eigene musikalische Persönlichkeit miteinbringen und daraus etwas Gemeinsames kreieren. In der Popularmusikforschung beschäftigt man sich wiederum mit der Bedeutung der Musik, welche die meisten von uns tagtäglich umgibt. Im Idealzustand befruchten sich Musiker und Wissenschaftler gegenseitig.
Wie verhält es sich mit den Berufsaussichten nach dem Studium der Musikologie?
Eines ist klar: Die Aufgabe der Uni ist es nicht, eine Berufsausbildung zu leisten. Wer einen Beruf erlernen will, muss eine Lehre machen. In der Medizin ist das Berufsbild klar, in den künstlerischen Bereichen sowie in den Geistes- und Sozialwissenschaften weniger. Wer Musikologie studiert, kann vieles machen, aber die wenigsten werden Musikwissenschaftler. Was man den Studierenden aber beibringen kann, ist das Recherchieren von Informationen und das Verdichten zu eigenen Fragestellungen. Diese typischen geisteswissenschaftlichen Kompetenzen werden überall gebraucht. Außerdem verlangen die Menschen heute nach einer Orientierungsfunktion im Musikbereich, weil so ein Übermaß an Angeboten da ist: Nach welchen Algorithmen sucht etwa Spotify seine Empfehlungen aus? Welche Rolle spielt der Markt?
Vom 17. bis zum 19. November leiten Sie gemeinsam mit Christian Utz die Tagung „Populäre Musik und ihre Theorien“. Was ist geplant?
Es wird um populäre Musik in ihrer gesamten Bandbreite gehen: vom Schlager bis zum Metal. Uns interessiert, was Menschen gerne hören. Das kann und muss zum Gegenstand der Forschung gemacht werden. Das Besondere dieser Tagung ist die Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Musiktheorie. Ich bin im Beirat der Gesellschaft für Popularmusikforschung, Christian Utz ist Mitglied in der Gesellschaft für Musiktheorie. Diese Tagung ist die Gelegenheit, beide Fachwelten zusammenzubringen, Wissen zu erweitern und Vorurteile abzubauen. Es wird 77 Vorträge in vier verschiedenen Räumen geben. Wir konnten renommierte Keynote Speakers gewinnen, unter anderem Catherine Tackley von der University of Liverpool. Sie wird über Austauschprozesse in der englisch-amerikanischen Seefahrt erzählen. Welche Musik spielte man damals an Bord? Was nahmen die Seefahrer aus Amerika mit und brachten nach England zurück?
Im Rahmen der Tagung findet auch das Konzert „Populäre Musik und ihre Theorien. Begegnungen – Perspektivwechsel – Transfers“ statt. Welche Musik wird es an diesem Abend zu hören geben?
Die Komponisten werden in erster Linie nicht mit populärer Musik assoziiert.
Sie kommen aus dem Bereich der Neuen Musik. Beide Musikrichtungen werden aufeinandertreffen.
Worum handelt es sich bei dem Research Round Table?
Bei dieser Veranstaltung halten junge Menschen Gastvorträge aus der aktuellen Forschung. Es handelt sich dabei um kein steifes Vortragsformat! Durch die Idee des runden Tisches sollen die Menschen miteinander ins Gespräch kommen. Im Anschluss wird südsteirischer Wein verkostet. Der Eintritt ist frei, eine Anmeldung nicht notwendig. Am 29. November ist Loes Rusch zu Gast. Sie erzählt über die Jazzmusikerinnen in den Niederlanden. Diese tauchen in der Jazzgeschichte kaum auf und wenn doch, dann gutbürgerlich am Klavier. Die Aufgabe der Jazzforschung ist es zu zeigen, wie viele Musikerinnen es gab, und das Licht auch auf die Frauen im Jazz zu werfen.
Institut 16 – Jazzforschung, Leonhardstraße 15, 2. Stock / jazzforschung.kug.ac.at
Kommende Veranstaltungen:
Kongress und Arbeitstagung: Populäre Musik und ihre Theorien: Begegnungen – Perspektivwechsel – Transfers / Fr, 17. bis So, 19. November 2017 / Palais Meran, Florentinersaal/Kleiner Saal/Raum 221, Brandhofgasse 21,
Kongressleitung: André Doehring, Institut 16: Jazzforschung, Christian Utz, Institut 1: Komposition, Musiktheorie, Musikgeschichte und Dirigieren
Konzert: Populäre Musik und ihre Theorien: Sa, 18. November 2017, 20 Uhr
Proberaum im MUMUTH, Lichtenfelsgasse 14
Research Round Table: (Female) Jazz Professionals During the Interbellum Period
Mo, 29. November 2017, 18 Uhr, Institut 16 Jazzforschung, Kleiner Saal
Gastdozentin: Loes Rusch (Amsterdam)