Paris ist immer eine Reise wert. Etwa für einen Tisch bei Eric Frechon.
Text: Stefan Zavernik
Wer ein erstes Mal das Musée d’Orsay in Paris besucht, um Vincent van Goghs Sternennacht über der Rhône mit eigenen Augen zu sehen, wird angenehm überrascht sein. Man kennt das Gemälde bereits aus zahlreichen Abbildungen und erahnt seine Energie, doch in vollem Ausmaß spürbar wird sie erst, sobald man diesem leibhaftig gegenübertritt. Diese Erkenntnis wirkt wie ein Beweis dafür, dass sich die Magie der Wirklichkeit nie vollends dokumentieren lässt und sich die Reise lohnt, wenn es darum geht, die Welt zu entdecken.
Zu einem ähnlichen Erlebnis kann auch ein Restaurantbesuch führen. Man mag über ein Spitzenrestaurant fulminante Kritiken gelesen haben, doch erst bei Tisch versteht man schlagartig, warum sich Menschen leichten Herzens ins Flugzeug setzen, um für ein Mittagessen eigens nach Paris zu fliegen. Ein solches scheint nur ein kurzweiliges Vergnügen von wenigen Stunden zu sein, kann aber ein Leben lang in Erinnerung bleiben. Womöglich ist dies auch der springende Punkt, wenn es darum geht, den Wert eines internationalen Spitzenrestaurants festzulegen. Gerade einmal zehn von ihnen sind aktuell in Paris mit drei Sternen ausgezeichnet. Das Epicure ist eines von ihnen. Es liegt im mondänen Hotel Le Bristol in der Rue du Faubourg-Saint-Honoré, nur wenige Schritte vom Elysée-Palast entfernt. Die Legende besagt, dass man kaum sonst wo in Paris so erlesen speisen könne wie hier. Diesen Ruf verdankt das Haus seinem Chefkoch. Nikolas Sarkozy, Frankreichs ehemaliger Staatspräsident, konnte der Versuchung seiner Küche selten widerstehen. Als überzeugter Stammgast ernannte er Eric Frechon im Jahre 2008 zum Mitglied der Französischen Ehrenlegion.
Frechon wurde im Jahre 1963 in Corbie geboren. Als junger Koch lernte er sein Handwerk in geschichtsträchtigen Pariser Gourmet-Institutionen wie dem Taillevent oder dem La Tour d’Argent. Als er 1999 das Angebot erhielt, Küchenchef im Le Bristol zu werden, zögerte er keine Sekunde. Seine neue Wirkungsstätte ermöglichte ihm nahezu märchenhafte Rahmenbedingungen. Im Hintergrund steht bis heute die Oetker Collection, eine „Privatsammlung“ exklusiver Luxushotels auf der ganzen Welt. Schon im ersten Jahr erkochte Frechon für das Epicure den ersten Stern, 2001 folgte der zweite.
Im Jahr 2009 zeichnete ihn der Guide Michelin mit dem dritten Stern aus und das Magazin Le Chef ernannte ihn zum Koch des Jahres in Frankreich. Seither zählt er offiziell zu den besten Köchen der Welt. „Es geht darum zu verstehen, was ein Topprodukt ausmacht. Und es geht darum, sein Handwerk als junger Koch bei den Besten zu erlernen. Dafür braucht es Talent, Kreativität und vor allem Leidenschaft. Schlussendlich ist ein Küchenchef auch immer ein Dirigent. Er leitet sein Küchenteam wie ein Operndirigent sein Orchester“, so Frechon. Wer in seinem Restaurant Platz nimmt, taucht in eine Welt voller Luxus ein. Auf Hochglanz polierter weißer Marmorfußboden, Tische und Stühle im Louis-XVI-Stil. Hohe Glastüren mit dem Blick in die großzügige Gartenanlage des Hotels. Am Tisch funkelndes Silberbesteck und schwere Kristallwassergläser. Schon alleine der Haptik des perfekt aufgebügelten Tischtuches gelingt es eine freudige Erwartungshaltung beim Gast zu erzeugen. Das Setting gleicht einer kulinarischen Opernbühne.
Große Oper bei Tisch
Frechon fühlt sich der klassischen französischen Hochküche verbunden. Er interpretiert diese zeitgenössisch und verleiht ihr eine unsagbare Leichtigkeit. Selbst nach mehreren Gängen hat man nicht das Gefühl, zu viel gegessen zu haben. Jeder Bissen überrascht dabei als hochkonzentriertes Geschmackserlebnis. Nie mehr als drei Komponenten kommen für ein einzelnes Gericht zum Einsatz. Vermutlich kann nur eine reduzierte Küche wie diese dermaßen tiefgründig sein. Und dem idealen Geschmack einer Delikatesse in solch strahlender Klarheit Ausdruck verschaffen. Sie wollen etwa wissen, wie gut ein Seeigel schmecken kann? Seine Vorspeise Châtaignes de Mer liefert die endgültige Antwort: Serviert wird das Meisterwerk in einer Porzellanschale, darin Seeigelzungen, umhüllt im eigenen Schaum, überzogen von einem nahezu schwebenden Mousse, das alleine schon mit seiner Farbe jedem Seeigel-Connaisseur die Freudentränen in die Augen treibt. Als optionale Ergänzung ein Streifen hauchdünnes, knusprig gebackenes Brot für zusätzliche Textur und etwas Algenbutter für weitere maritime Aromen. Mit dem kleinen Löffel genügt schon eine erste Kostprobe, um den perfekten Geschmack des ultimativen Seeigels für den Rest des Lebens im Kopf zu behalten. Eine Vorspeise entpuppt sich auf diese Weise als langfristige Investition. Goethe hatte zweifellos recht. Jener Eindruck, den Genuss imstande ist zu hinterlassen, währt ewig.
Und an Eindrücken mangelt es nach einem dreistündigen Mittagessen im Epicure keinesfalls. Die Châtaignes de Mer sind nur eines von vielen Gerichten des Küchenchefs, die bereits als moderne Klassiker zählen. Wie etwa sein Caviar de Sologne oder die Artichauts de Provence. Ebenso sein formidables Bresse-Huhn, in einer Schweineblase gegart, am Tisch filetiert und schlussendlich in zwei Gängen serviert. Gleichfalls auf der Karte: Merlan, Steinbutt oder Jakobsmuscheln. Taube, Lamm oder Hase, inszeniert als Lièvre à la royale. Auch der Weinkeller hat das Potenzial für bleibende Eindrücke, mehr als 60.000 Flaschen liegen bereit. Darunter das Beste und Teuerste, was die Welt zu bieten hat. Es bleibt festzuhalten: In diesem Restaurant ist kulinarisch alles möglich, was sich ein ernstzunehmender Gourmet in seiner kühnsten Fantasie auszumalen bereit ist. Und: Mehrere Stunden im Freudentaumel über die Kunst französischer Drei-Sterne-Küche beeinträchtigen definitiv die Zeitwahrnehmung. Stunden verfliegen im Sekundentakt. Irgendwann, nachdem auch die grandios gereiften Käsesorten, für Frechon „ein wichtiger Übergang in der Menüabfolge“, und die fabelhafte Welt der Desserts hinter einem liegen, heißt es sich vom Tisch zu erheben. Gäste des Hotels tun dies mit einem lachenden Auge. Auch das Frühstück wird im Epicure serviert.
Ein Hotel mit Geschichte
Die Geschichte des Le Bristol beginnt im Jahre 1923. Ein junger Mann namens Hippolyte Jammet erwirbt ein geschichtsträchtiges Gebäude aus dem 18. Jahrhundert in der Rue du Faubourg-Saint-Honoré 112. Die dafür nötigen finanziellen Mittel bescheren ihm glückliche Immobiliengeschäfte. Schon seit vielen Jahren trägt er die Vision eines Grand Hotels mit sich, das zu den besten der Welt zählen solle. Nun sieht er seine Chance gekommen. Zwei ganze Jahre investiert er in den Umbau und in die Umsetzung seiner Ideen. Jedes einzelne Zimmer wird vor ultramodernem Komfort strotzen und mit antiken Möbeln wie teuren Kunstwerken ausgestattet sein. Als Jammet das Le Bristol im Jahre 1925 eröffnet, beeindruckt es die Gäste nicht nur durch seine mondäne Ausstattung und seine prunkvolle Architektur. Vor allem die Servicequalität und die Gastfreundschaft des Hotels setzen neue Standards. In nur wenigen Jahren wird es zur Anlaufstelle für reiche Aristokraten, Künstler, Diplomaten und Staatsoberhäupter. Doch es ist mehr als eine Luxusherberge, für einige seiner Gäste wird es zur zweiten Heimat. Wie für den jüdischen Architekten Lerman. Von 1942 an versteckte Jammet den geheimen Gast während der Besatzung durch Nazi-Deutschland in einem Mitarbeiterzimmer. Lerman nutzte die Zeit im Le Bristol und leitete persönlich anfällige Renovierungsarbeiten. Eine spezielle Erinnerung an ihn ist der heute noch im Einsatz befindliche hölzerne Lift des Hotels, für den er das Gittertor gestaltete.
Jammet führte das Hotel bis zu seinem Tod im Jahre 1964, danach leitete sein Sohn Pierre das Unternehmen. Erbstreitigkeiten führten im Laufe der Zeit dazu, dass das Hotel im Jahre 1973 an den deutschen Unternehmer Rudolf Oetker verkauft wurde. Für das mittlerweile zur Institution gewordene Haus letzten Endes ein Glücksfall. Oetker hatte, wie einst Hippolyte Jammet, eine Vision. Er investierte in den darauf folgenden Jahren über 100 Millionen Euro in das legendäre Gebäude und setzte damit neue Maßstäbe in der weltweiten Luxus-Hotellerie. Neben zahlreichen neuen Zimmern und Suiten wurde ein 1.200 m2 großer französischer Garten im Innenhof angelegt. Auch ein überdachter Swimmingpool am Dach des Hotels wurde verwirklicht. Entworfen wurde dieser von Cäsar Pinnau, jenem Mann, der schon für milliardenschwere griechische Reeder wie Aristoteles Onassis oder Stavros Niarchos als Architekt zum Zug kam. Die Idee hinter dem exzentrischen Schwimmbad mit Blick über die Skyline von Paris verkörpert ein Teakholz-Vorderdeck eines Segelschiffs der 1920er Jahre. Am Ende der hollywoodesken Schwimmhalle zieht ein riesiges Wandgemälde die Blicke auf sich. Darauf zu sehen, das Cap-d‘Antibes in Südfrankreich mit der Silhouette des Eden Roc, einem weiteren Hotel der Oetker-Gruppe. Ob Lobby, Bar, Restaurant, Suiten oder Pool: An Inspirationsquellen mangelt es kaum. Vor wenigen Jahren diente das Le Bristol als Drehort für Midnight in Paris von Woody Allen. Der Hauptfigur des Films, Gil, gelingt es, durch einen Zeitsprung in das Paris der 20er Jahre einzutauchen, wo er auf rauschenden Partys Bekanntschaft mit Pablo Picasso, Salvador Dalí oder Ernest Hemingway schließt. Auch wenn der Celebrity-Faktor des Le Bristol enorm ist, Zeitsprünge sind für normale Gäste keine möglich. Doch wer den großen Stars der Kunstgeschichte nahe sein möchte, findet andere Möglichkeiten. Das Hotel liegt im 8. Arrondissement von Paris, viele Museen und Sehenswürdigkeiten liegen in unmittelbarer Nähe, etwa der weltberühmte Louvre und der Jardin des Tuileries; oder das Grand Palais, ein architektonischer Geniestreich aus der Belle Epoque, heute geöffnet für Ausstellungen; oder das Musée d’Orsay, eines der wohl schönsten Museen der Welt, eingebettet in einen ehemaligen Bahnhof aus der Jahrhundertwende am Ufer der Seine, mit seiner weltweit einzigartigen Sammlung französischer Impressionisten. Vieles ist möglich an einem Wochenende in Paris. Das sogenannte Savoir-vivre, die Kunst, das Leben zu genießen, ist in Frankreich erfunden worden, am Königshof in Versailles. En Vogue ist sie heute noch.
Kunst und Küche in Paris
Savoir-vivre à la parisienne
Le Taillevent
Das Taillevent ist ein Stück Pariser Gourmet-Geschichte. Eröffnet im Jahre 1946 von André Vinart, kochte sich das Restaurant über die Jahrzehnte in den Olymp der Pariser Sterneküche und bekam im Jahre 1973 unter Küchenchef Claude Deligne seinen dritten Michelin-Stern verliehen. Auch heute noch zählt es zu den besten Restaurants Frankreichs. Seine Stammgäste schätzen es wegen seiner klassischen Küchenlinie. Experimentiert wird hier wenig, und das ist gut so. Küchenchef Alain Solivérès hat sich der traditionellen französischen Haute Cuisine verschrieben. Seine Vorliebe für alte Rezepte, die er mit viel Fingerspitzengefühl neu interpretiert, zieht einen gigantischen Aufwand in ihrer Umsetzung nach sich. Mehr als 48 Leute sind in der Küche beschäftigt. Zu den kulinarischen Aushängeschildern zählen Gerichte wie die Boudin de Homard Bleu, eine Art mondäner Hummer-Weißwurst.
Es handelt sich hierbei um das älteste Rezept des Restaurants, bei dem die Wurst mit einer opulenten Hummersauce überzogen wird, um ihre ganze Klasse auszuspielen. Ein Besuch des Taillevent ist eine einmalige Gelegenheit, um die großen Klassiker der französischen Küche in vollendeter Ausführung zu verspeisen. Etwa gebratene Froschschenkel. Oder prunkvolle Tournedos de Boeuf Rossini. Bei diesem Evergreen thront ein gegrilltes Stück Fois Gras auf einem innen nahezu rohem Filetsteak; dieses wiederum ist auf einem getoasteten Weißbrot platziert, darunter ein Spiegel aus Perigord-Trüffel-Sauce. Als Beilage serviert man Pomme de Terre Anna, außen sind die Kartoffeln unglaublich knusprig, innen sagenhaft cremig. Auch wenn nur Beilage: eine Offenbarung. Neben seiner Küche und seinem Service unter der Leitung von Jean-Marie Ancher ist das Restaurant für seinen gut bestückten Weinkeller berüchtigt. Mehrmals schon wurde es für diesen von internationalen Weinmagazinen ausgezeichnet, auch mit der penibel abgestimmten Weinbegleitung wurden Preise gewonnen. Wer französische Hochküche in ihrer klassischsten Form erleben möchte, sollte hier einen Tisch reservieren.
Café de Flore
Das 1887 eröffnete und nach der Göttin Flora benannte Etablissement nur als berühmtes Café anzupreisen, wäre zu kurz gegriffen. Es ist eine Institution, die zum Ausdruck des Pariser Lebensgefühls geworden ist. Seit Jahrzehnten übt es eine magische Anziehungskraft auf Intellektuelle und Künstler aus. Zu seinen Stammgästen zählten Kunststars wie Pablo Picasso, Alberto Giacometti, Jean Cocteau oder Jean Paul-Sartre, der hier 1964 seine Pressekonferenz zur Ausschlagung des Literatur-Nobelpreises abhielt. Die Literatur spielt heute nach wie vor eine wichtige Rolle für das Haus. Der Schriftsteller Frédéric Beigbeder rief 1994 den Prix de Flore ins Leben, der seither jährlich vergeben wird und das Werk junger, französischsprachiger Autoren auszeichnet. Seine Gewinner erhalten einen Check über 6.100 Euro und ein Glas Pouilly Fumé mit eingraviertem Namen, das während eines Jahres beliebig oft nachgefüllt werden kann. Das Café de Flore ist die ideale Adresse für ein unkompliziertes Mittagessen oder einen entspannten Nachmittag. Der Trubel des Hauses versetzt seine Gäste schlagartig in eine andere Welt, in der nur der Moment zählt.
Huitrerie Regis
Die kleine Austernbar in Saint-Germain des-Prés hat sich über die Jahre zu einer Art Kultadresse für Austernfans entwickelt. Das Lokal bietet nur wenigen Tischen Platz und nimmt keine Reservierungen entgegen. Es empfiehlt sich aus diesem Grund, relativ früh oder relativ spät sein Glück zu versuchen, um unterzukommen. Doch das etwaige Warten lohnt sich allemal. Der Großteil der angebotenen Austern stammt aus der Region Marenne-Oléron, deren Vorzüge schon Sonnenkönig Louis XIV. zu schätzen wusste. Darüber hinaus gibt es immer wieder saisonale Austern-Spezialitäten. Ermunternde Weißweine ergänzen das maritime Angebot auf beglückende Weise. Austernfans möchten sich diese Gelegenheit bei einem Pariswochenende nicht entgehen lassen.