Die Begriffe Literatur und Graz gehören zusammen und bilden gemeinsam eine starke Marke. Klaus Kastberger lud drei prominente Vertreter dieser Marke zum Gespräch ins Literaturhaus Graz.
Text: Wolfgang Pauker
Kastberger: Wie beeinflusst die Tatsache, dass Droschl in Graz zu Hause ist, die Arbeit des Verlags?
Knoch: Man muss hier historisch ansetzen, denn Droschl hätte es ohne Graz ja nie gegeben. 1978, als mein Vater den Verlag gründete, hatte die heimliche Literaturhauptstadt, als die Graz damals schon bezeichnet worden ist, keinen wirklich literarischen Verlag. Aus dieser Gründungstatsache heraus sind Graz und Droschl eng miteinander verbunden. Es war in der Entwicklung der Verlagsgeschichte aber auch klar, dass man nicht im Regionalen bleiben kann, weil man ein internationales Umfeld braucht. Aber die Umgebung, in der man lebt, die trägt einen und natürlich ist das literarische Leben in Graz befruchtend für uns.
Kastberger: Max, du hast im Forum Stadtpark die Literatursparte geleitet. Wie steuert sich dieses Zusammenspiel von Lokal und International heute?
Höfler: Dazu würde ich auch gerne historisch ausholen und die Frage stellen, wieso es in einer Provinzstadt wie Graz so etwas wie das Forum Stadtpark überhaupt gibt. Denn dazu bedurfte es Leute wie Alfred Kolleritsch, die es mühsam erkämpft haben, was ein Glücksfall für die Stadt war und ist. In der Gegenwart müssen diese emanzipatorischen Kämpfe nun weitergehen! Man muss weiter fordern und Literatur und Kunst vorantreiben, denn sonst ist die Gesellschaft, sonst ist Graz verloren. Deshalb muss man so viele interessante Leute wie möglich nach Graz bringen, die dann hier wiederum etwas anstoßen können. Gleichzeitig haben wir selbst interessante Leute, die wir ausschicken müssen. Man muss groß denken: aber nicht im wirtschaftlichen Sinn, sondern im aufklärerischen, im künstlerischen, im literarischen Sinn.
Kastberger: Ich vermisse heute literarische Räume der Begegnung, wie sie einst das Literatursymposium des steirischen herbst geboten hat. Die heutigen Autoren sind in einer Verlags-Maschinerie gefangen und haben kaum noch Zeit, sich das Andere anzuschauen und miteinander in Kontakt zu treten.
Kolleritsch: Das Literatursymposium hat enorm viel bewirkt. Es hat damals nur zwei Autoren gegeben, an die man nicht herangekommen ist. Ingeborg Bachmann und Thomas Bernhard. Aber Bernhard war zwei Mal im Forum Stadtpark und ist, auch wenn er nie in den manuskripten veröffentlicht hat, zumindest mit mir im Landhauskeller essen gewesen.
Knoch: Die Zeit des Literatursymposiums war eine ganz andere. Auch medial. Da gab es eine Gier nach Information. In Zeiten des Internet sind die Kanäle natürlich vielseitiger. So etwas zu erzwingen, ist sicherlich schwierig.
Höfler: Dieser Austausch auf der inhaltlichen, theoretischen Ebene, gekoppelt mit persönlichem Austausch, ist unglaublich wichtig, um neue Strategien im Umgang mit den Dingen, die uns heute Kopfzerbrechen bereiten, zu finden. Und das ist Aufgabe der Literatur. Oder besser: müsste sein – denn in der neoliberalen Gesellschaft geht es nur mehr ums Verkaufen.
Kastberger: Alfred, was waren die wichtigsten Punkte in den vergangenen 50 Jahren, die zu dem geführt haben, was was man heute mit „Graz und Literatur“ verbindet.
Kolleritsch: Der zentrale Punkt war natürlich die Gründung des Vereins Forum Stadtpark 1958 durch Günter Waldorf. Er hat mich sofort aufgenommen und mir ermöglicht mitzuarbeiten. 1960 wurde das Forum dann eröffnet und da ist mir der Gedanke gekommen, dass wir Literaten eigentlich überhaupt keinen Beitrag zu diesem gesamten Konzept eingebracht haben. Am Abend vor der Eröffnung habe ich gemeinsam mit einigen Literaten und einer Hektografie-Maschine die Nummer 1 der manuskripte abgezogen. Mit Gedichten, die wir von anwesenden Jungdichtern erbeten haben. Das war der Beginn der manuskripte. Für mich persönlich war noch vor der Gründung des Forum Stadtpark ein Auftritt von Gerhard Rühm wesentlich. Dort habe ich zum ersten Mal gehört, was Literatur sein kann. Ich habe zwar Germanistik studiert, bin aber nie weiter als zum jungen Goethe gekommen.
Kastberger: Was da in den 60ern in Graz entstanden ist, ist in den 70er Jahren stark nach außen gedrungen. Spätestens mit dem Band von Jörg Drews „Wie die Grazer auszogen, die Literatur zu erobern“ wurde international wahrgenommen, dass es hier eine Garde von Autoren rund um Kolleritsch, Handke, Bauer, Hoffer, Roth, Hengstler und Frischmuth gab. Wie wird und wurde das von Graz aus wahrgenommen, dass die Stadt quasi über Nacht ins Zentrum der deutschsprachigen Literatur gesetzt wurde?
Höfler: Das Forum und Kolleritsch haben Graz quasi künstlerisch in die Moderne geholt und da gibt es heute unterschiedliche Ebenen der Wahrnehmung. Etwa die der Verklärung – denn natürlich sind das alles Heldengeschichten. Das ist auch gut so, aber die Frage ist, was das für heute bedeutet? Ich glaube, dass sich qualitativ etwas geändert hat, weil das Unangepasste ausstirbt, etwa die Art, Literatur zu verstehen als ein Mittel, mit dem über Gesellschaft – auch polemisch – diskutiert werden kann.
Kolleritsch: Diese innovative Form des Schreibens hat damals sofort eingeschlagen, sowohl bei den Jungen wie auch bei den Älteren mit akademischer Bildung. Irgendwie waren auch die deutschen Autoren süchtig, sich in Graz zu beteiligen. „Wien ist Graz“ titelte einst die Hamburger ZEIT nach Erscheinen einer manuskripte–
Nummer. Aber das wohl Wichtigste damals war für mich rückblickend die Gegnerschaft.
Kastberger: Wie äußerte sich diese und wie steht es darum heute?
Kolleritsch: Als ich selber zu schreiben begann, habe ich an den Ordinarius für Neue Deutsche Literatur geschrieben und ihn zu meiner ersten Lesung im Forum Stadtpark eingeladen. Das Ergebnis war, dass man mich auf der Uni aufgerufen hat und von der Frechheit eines Studenten gesprochen hat, der es wagt, den Professoren eine Einladung zu schicken. Meine zweite Lesung hielt ich dann unter dem Pseudonym Alfred Wegner. Mit panischer Angst, was mir nun wieder passieren wird. Es wurde auch prompt beim Ministerium gegen das Forum interveniert.
Höfler: Es gibt in Österreich und europaweit gerade einen „backroll“ der Rechten, sekundiert von pseudoliberalen Konservativen, die ganz Europa und Graz als kleine Facette davon nachhaltig ins Unglück stürzen. Und eine Linke, die sich aufhält in einer Wohlfühlblase. Ich möchte hier keineswegs Kulturpessimist sein, aber ich sehe es vielmehr als Auftrag, dass Autoren und Künstler wieder unangepasster werden. Leider stirbt das in Graz aus, dieses Anecken. Und es gäbe mehr als genug, über das gestritten werden kann.
Knoch: Das ist völlig richtig, und da fällt mir ein sehr schönes Zitat der ukrainischen Autorin Oksana Sabuschko ein, die hier vor ein paar Jahren als Stadtschreiberin lebte und gesagt hat: Graz ist ein „Cosy Corner of History“.
Kastberger: Von Graz heißt es, hier herrsche seit Langem ein sehr offenes kulturpolitisches Klima. Wie würdet ihr die aktuelle Situation beschreiben?
Knoch: Die Provokation ist jetzt nicht mehr an erster Stelle. Diese Schwab- und Bauer-Figuren, wo man schon wusste, wo man sie wann antreffen konnte – diese gelebte Literatur –, gibt es in dieser Form nicht mehr. Weil überhaupt die ganze Welt sich verändert hat und sich die heute Schreibenden in völlig anderen Vermarktungszusammenhängen sehen. Es ist alles eine Spur glatter geworden, aber Graz hat noch immer einen starken Spirit. Graz hat einen Stadtschreiber, Graz holt Leute aus dem Ausland und ist eine offene Stadt geworden dank dieses damaligen Häufchens von Menschen, die wirklich etwas losgetreten haben.
Höfler: Das angesprochene Problem der sogenannten Professionalisierung des Schreibens – und nicht nur in Graz, sondern im ganzen deutschsprachigen Raum – ist der Untergang der Kunst und der Schriftstellerei und der Möglichkeiten, die Literatur haben kann. Weil Professionalisierung heißt: Was muss ich machen, damit ich veröffentlichen kann, damit ich Geld verdienen kann mit der Literatur. Und das sind keine Fragen, die sich ein Autor primär stellen darf. Die erste Frage muss sein: Wofür brenne ich? Aber das sind die Fragen, die jetzt zurückgestellt werden, weshalb man nur einen Haufen lauwarmer Literatur bekommt.
Kastberger: Wenn ihr die Möglichkeit hättet, einen Wunsch – abgesehen von mehr Subventionen – an die Kulturpolitik zu formulieren, was wäre dieser Wunsch für die Zukunft?
Kolleritsch: Mein Wunsch wäre, dass die Kulturpolitiker der Parteien näher zusammenrücken. Das Übel der Zeit ist, dass viele Akteure sich dauernd ablösen und eigentlich nur Schatten sind. Unten hält es oft besser zusammen, wenn auch nur durch Feindseligkeiten, aber oben, wo das Geld herkommt, da gibt es zu viele unterschiedliche Meinungen.
Knoch: Jenseits von Budgetfragen finde ich im Rahmen der Kulturpolitik zwei Begriffe notwendig: das eine ist die Offenheit, das andere die Begegnung auf Augenhöhe.
Höfler: Strukturen und Freiräume brauchen Geld. Und wir brauchen Freiräume, um Gesellschaft denken und verändern zu können in einem aufklärerischen Sinn. Und wenn dafür Geld zur Verfügung gestellt wird, dann darf keine Bedingung dran geknüpft werden. Die Kuratoren müssen freie Hand haben. Das wäre mein Wunsch.
Jubiläums-Programm am 4. Mai
jeweils 15 Uhr:
Vier Stadtführungen
Andrea Stift-Laube: Geidorfs versteckte Poesie / Treffpunkt: Literaturhaus (Tour zu Fuß)
Günter Eichberger: Die legendären Lokaltouren der Grazer Gruppe / Treffpunkt: Literaturhaus (Tour zu Fuß)
Bodo Hell, Heinz Trenczak: Zur Jakob- Lorber-Quelle / Treffpunkt: Literaturhaus (Bustour)
Tomer Gardi, Werner Halbedl, Britta Wedam: Das erste Grazer Gerschon-Schoffmann-Fest / Treffpunkt Südtirolerplatz (Tour mit der Straßenbahn und zu Fuß)
Teilnahme kostenlos. Anmeldungen zu den Stadtführungen und der Führung „Geheimnisse des Archivs“ unbedingt erforderlich unter: elisabeth.loibner@uni-graz.at.
Die vier Stadttouren enden um 17.30 Uhr im Literaturhaus.
15.30 Uhr: BOOKOLINO-Lesung, ab 7 Jahren
Willy Puchner: Übers Reisen, über Prinzessinnen und sonstige Fabeltiere / bookolino-Lesezimmer
16 Uhr: Führung und Gespräch
Geheimnisse des Archivs: Daniela Bartens und Gerhard Fuchs zeigen ausgewählte Objekte (Vitrinenschau); Anschließend Gesprächsrunde mit Barbara Frischmuth, Reinhard P. Gruber und Klaus Hoffer
Treffpunkt Lounge
14–18 Uhr: Rahmen-Programm
Cooks of Grind / Chill-out-Zone mit Eintopf in der Lounge, bei Schönwetter auch im Garten
Bookolino-Lesezimmer, bookoCafé und bookoBörse für kleine LeserInnen, Kaffee und Kuchen genießen, in Büchern schmökern und welche zum Tauschen mitbringen
19 Uhr: 15 Jahre. 1 Fest
Literatur h aus Rap: Kulturhauptstadtjahr 2003, nachhaltiges Projekt, Qualität, Vielfalt, Offenheit, Gegenwartsbezug, pro Jahr: mehr als 100 Veranstaltungen, pro Jahr: mehr als 8.000 Besucherinnen, pro Jahr: zusätzlich 60 Tage freie Szene; Gespräche, Vorträge, Diskussionen, Performances; ein offenes Haus, mit und ohne Wasserglas; Best of Debüts, Lyrik, Kinder- und Jugendliteratur, bookolino; Grazer Vorlesungen zur Kunst des Schreibens, Nachwuchs; die plattform, heimische Szene; ein offenes Haus; alles, was in Österreich Rang und Namen hat; internationale Highlights, Frankreich, Italien, ein Schwerpunkt Südosteuropa; neue Diskussionsreihe: Zur Sache, ein offenes Haus, zahlreiche Kooperationen, Salon Gender, Grundbücher, Klassiker revisited, ein sehr lebendiges Haus, literarisches Vollprogramm, das ganze Jahr hindurch, wir scheuen keinen Vergleich, Dank an, Dank an, Dank an (aus dem Begrüßungstext von Klaus Kastberger)
Grußworte von Stadtrat Günter Riegler, Vizedekanin Ineke Mennen
Drei Statements zur Frage „Was kann Literatur?“
Josef Winkler: Wortgrenzen, Sprachgrenzen
Julya Rabinowich: Der gnadenlose Spiegel
Franz Schuh: Was ein Philosoph über „die Literatur“ sagen könnte
Mieze Medusa & Markus Köhle / Heimliche Hauptstadt. Ein Word-Rap
Eintritt frei, anschließend Buffet. Anmeldung zur Festveranstaltung und zur Lesung von Willy Puchner unbedingt erforderlich über die Homepage direkt beim Termin im Veranstaltungskalender! Reservierte Karten sind spätestens 30 Minuten vor Veranstaltungsbeginn an der Abendkassa abzuholen.
Literaturhaus Graz, Elisabethstraße 30, 8010 Graz