Unter dem Titel „Volksfronten“ wird der steirische herbst 2018 erstmals unter der Leitung von Ekatarina Degot eröffnet. „Achtzig“ traf die gebürtige Russin zum Interview.
Text: Stefan Zavernik / Vanessa Roi
Sie hatten nun einige Monate Zeit, um sich mit der Grazer Kunst- und Kultur-Szene zu beschäftigen. Genügend, um sich ein Bild zu machen?
Ich kenne Graz und den steirischen herbst schon seit Jahren, da ich häufig als Besucherin in Graz war und über die Jahre mit vielen Institutionen Kontakt hatte. Die Künstlerszene selbst muss ich allerdings noch näher kennenlernen, wobei ich bereits gesehen habe, dass es zahlreiche interessante lokale Künstler in den verschiedensten Sparten gibt. Schade eigentlich, dass bei einem so großen künstlerischen Potenzial in der Stadt kein eigenes Museum für diese Szene existiert. Das würde ich nicht nur als Kunsthistorikerin spannend finden. In einem solchen Haus könnte neben zeitgenössischer Kunst auch ein Blick in die Geschichte der Stadt geworfen werden.
Das Konzept des kommenden Festivals trägt den Titel „Volksfronten“ und macht Ihr Interesse an der Beziehung zwischen Kunst und Politik deutlich. Welche politischen Aufgaben kommen einem Festival wie dem steirischen herbst unter Ihrer Leitung zu?
Ich glaube, die politische Aufgabe eines Künstlers ist es, immer ein Spiegel für die Realität zu sein, indem er oder sie auf verschiedene Art und Weise soziale und politische Geschehnisse reflektiert. Da sich das Festival im öffentlichen Raum präsentiert, steht es immer in einem politischen Rahmen. Für den steirischen herbst, der sich seit 1968 in diesem Kontext sieht, ist das nichts Neues und wir wollen diese Tradition nicht außer Acht lassen.
Kann Kunst heutzutage überhaupt unpolitisch sein?
(Lacht.) Nein, das könnte nie der Fall sein. Man kann entweder direkte Aussagen treffen oder indirekt reflektieren, aber Kunst existiert immer in diesem Kontext.
Wie sehr wird der steirische herbst 18 die aktuellen politischen Entwicklungen Österreichs zum Thema machen?
Nicht nur in Österreich, sondern auch in anderen Ländern, wie Russland, wo ich herstamme, ist in letzter Zeit ein gewisser Rechtsruck und eine Relativierung der diesbezüglichen Sichtweise zu beobachten. Für Kunstschaffende ist dies natürlich etwas, das es zu reflektieren gilt. Das Festival wird sich dieses Jahr auch den Ursachen, der Geschichte und den Grenzen zwischen performativen und politischen Gesten und wie darauf explizit reagiert werden kann, widmen.
Der Begriff „Volksfronten“ ist durch seine Vieldeutigkeit gekennzeichnet. Gibt es dennoch ein Hauptthema für das Programm?
Ich hoffe, dass für die Besucher, wenn sie den Festival-Parcours durchwandern und an Performances und Veranstaltungen, die für sich jeweils verschiedene Geschichten erzählen, teilnehmen, am Schluss eine übergreifende Narration entsteht. Dieses große Gesamtbild kann, wie der Begriff „Volksfronten“ selbst, durchaus widersprüchlich sein, denn es wird durch Konflikte und Allianzen an verschiedenen Orten geformt. Ich würde die Konflikte als das Hauptthema deklarieren. International betrachtet, ist auch die Dreiländer-Biennale trigon mit ihrer spannenden Geschichte im Hintergrund von Bedeutung, weshalb wir in den kommenden Jahren nicht nur Richtung Osteuropa, sondern auch Richtung Italien blicken wollen. Ich könnte mir vorstellen, auf die Suche nach Regionen zu gehen, die ihrerseits eine ähnliche Rolle spielen wie die Steiermark mit ihrer historischen Funktion am Rande eines Landes.
Das Festival soll sich mit jeder Intendanz neu erfinden, heißt es. Dennoch beschäftigt es sich kontinuierlich mit seiner eigenen Geschichte. Auch Sie werden diese Tradition fortsetzen. Steht dieser stete Rückblick einer Neuerfindung nicht auch im Weg?
Wie gesagt, für mich ist Kunst eine Reflexion unserer Wirklichkeit und diese Wirklichkeit hat auch eine Geschichte. Das ist nicht nur meine Sichtweise als Kunsthistorikerin, die in der Sowjetunion studiert hat, sondern auch die vieler unserer Kuratoren, was nicht heißt, dass wir konservativ sind. Meiner Meinung nach kann man nur in die Zukunft blicken, wenn man sowohl die Gegenwart als auch die Vergangenheit verstanden und ins Bild gebracht hat. Selbstverständlich gibt es auch völlig von der Geschichte unabhängige Projekte, was vor allem für zeitgenössische Medien in unserer schnelllebigen Zeit, in der die Geschichte die Gesellschaft kaum noch beeinflusst, der Fall ist. Ich finde es jedoch spannender, die gesamte Linie von der Vergangenheit über die Gegenwart bis hin in die Zukunft abzubilden.
Lange Zeit galt der steirische herbst als Avantgarde-Festival. Ist er es in Ihren Augen noch immer?
Ich würde weder sagen, die Avantgarde sei vorüber, noch dass wir die Avantgarde von heute seien. Die Frage nach dem heutigen Sinn dieses Begriffs steht also noch offen im Raum und bietet vielleicht einen neuen Horizont für das Festival.
Das Festival wird als eine große Ausstellung programmiert sein, in der unterschiedliche Kunstsparten miteinander verschmelzen. Welche Rolle kommt darin der bildenden Kunst zu?
Für mich zählen zur zeitgenössischen bildenden Kunst auch Formen wie Installationen, Filme, Theater oder Performances, was im Englischen als „visual arts“ bezeichnet wird. Unter dieser Perspektive kann man durchaus sagen, dass die bildende Kunst eine Hauptrolle spielen wird.
Ihr erstes von fünf Festivals, das Sie in den nächsten Jahren programmieren werden, ist als Prolog angelegt. Wird man dennoch schon klar und deutlich Ihre persönliche Handschrift erkennen?
Ich würde sagen: Ja! Als Kuratorin möchte ich durch meine Arbeit wie eine Autorin Geschichten erzählen und Programmpunkte entlang unseres Parcours miteinander verknüpfen.
Neben dem Konzept „Volksfronten“ wird das Festival-Programm auch aus einer Reihe von Kooperationen mit Grazer Kunstinstitutionen bestehen. Diese sollen unter anderem der lokalen Kunstszene eine Bühne bieten. Gibt es hierfür Vorgaben oder eine Leitidee, nach denen sich die einzelnen Häuser auszurichten haben?
Dieses Partnerprogramm gab es schon immer. Ich sehe meine Rolle nicht darin, diese Institutionen zu kuratieren oder mit einem Leitmotiv einzuengen. Nichtsdestotrotz kann es in einzelnen Fällen auch zur Zusammenarbeit kommen, bei der das Konzept von Anfang an gemeinsam ausgearbeitet wird.
Sie wollen das Festival frecher und frischer werden lassen. In welchen Bereichen soll das spürbar werden?
Man spricht immer über den steirischen herbst und Skandale. An solchen bin ich natürlich nicht per se interessiert, aber es ist reizvoll, Konfliktzonen in der Gesellschaft zu erkennen und damit zu arbeiten, anstatt sie zu ignorieren. Vielleicht können wir solche Aspekte authentisch in Kunstwerke oder Diskussionen im öffentlichen Raum einfließen lassen.
Welchen Stellenwert nehmen Unterhaltung und Party in Ihrem Gesamtkonzept ein?
Es wird wieder eine herbst-Bar geben. Für mich ist diese mehr als nur ein Ort zum Feiern, sondern eine Gelegenheit, bei der sich Menschen über Kunst und vieles darüber hinaus unterhalten können. Meine Wunschvorstellung ist, dass unsere Programmpunkte zum Denken anregen.
Der steirische herbst gilt international als das Aushängeschild der Steiermark, wenn es um zeitgenössische Kunst geht. Gibt es Bestrebungen, in Zukunft bei der heimischen Bevölkerung noch mehr Menschen anzusprechen?
Das ist natürlich ein großes Ziel von uns. Wir wollen vor allem noch mehr junge Menschen erreichen. Anders als in den 80er und frühen 90er Jahren ist es heute schwieriger, den Besuchern neue Welten zu eröffnen und so für große Begeisterung zu sorgen, da die alltäglichen Informationsmöglichkeiten enorm zugenommen haben.
Gibt es eine Möglichkeit für lokale Künstler, ihre Ideen und Projekte direkt beim Festival einzureichen?
Einige Künstler schreiben uns direkt an, um uns ihre Projekte mitzuteilen und wir versuchen, alles zu lesen. Außerdem haben wir jetzt eine Menge neuer Kuratoren in unserem Team, die die Stadt erkunden werden. Als neu zusammengestellte Gruppe sind wir besonders interessiert daran, lokale Künstler und die Grazer Szene kennenzulernen.