Wie jedes Jahr in Venedig stellt sich die Frage, ob die Architekturbiennale für den geübten Laien nicht die spannendere Schau ist. Ob sich gar ein Mehr an Erbauung, Lehrreichem und Nachhaltigem in Geist und Körper einstellt als bei der alternierend stattfindenden Kunstbiennale. Von wegen Öffentlicher Raum, Partizipation, gesellschaftlicher Anspruch und so.
Text: Michael Petrowitsch
Sei dem wie dem ist, die beiden Kuratorinnen Yvonne Farrell und Shelley McNamara haben die Latte auf alle Fälle mal sehr hoch gelegt und bereits im Vorjahr ein fesches Manifest präsentiert, das den Rahmen und die Stoßrichtung vorgibt. So heißt es etwa recht hochtrabend in Bezug auf das Motto: „Freespace encourages review in ways of thinking, new ways of seeing the world, of inventing solutions where architecture provides for the well being and dignity of each citizen of this fragile planet.“ Klingt vielversprechend, und vor allem nach breiter Interpretierbarkeit. So soll es in punkto Massenpublikumsgefälligkeit auch sein. Und ist es auf den ersten Blick und schnellem Scannen wohl auch.
Die beiden Kuratorinnen stellen die Biennale Architettura 2018 unter die Dachmarke „Freespace“, womit sie die „Großzügigkeit des Geistes“ und wohlweislich „Humanität“ als die zentralen Aspekte einer Architekturagenda beschrieben haben wollen. Im kuratorischen Zentrum steht ihrer Meinung nach zudem der gegenseitige Austausch und Einfluss zwischen Architektur, ihren Nutzerinnen und der Natur sowie natürlichen Ressourcen. Mit Betonung auf Austausch. Die oben beschriebenen Ansinnen des Austausches beginnen schon mit den klaren Ansagen des österreichischen Pavillons. Unter Kommissärin Verena Konrad erblüht der Österreich Pavillion innerlich zu neuer Prächtigkeit. Konrad, studierte (Kunst-)historikerin und Theologin, spricht gerne vom Architekten als dem Subjekt, dem eine Schlüsselrolle für den öffentlichen Raum und für das öffentliche Leben zukommen muss. Die intellektuelle Leistung des Architekten ist also wohl keine Dienstleistung sondern vielmehr ein Kraftakt mit ästhetischem Gespür. Das schlägt sich auch in der Verschränkung des Gezeigten im „Ösi-Pavillon“ nieder wiewohl der bekannteste Export, Stefan Sagmeister, so gar kein Architekt im eigentlichen Sinne ist.
Der aus Bregenz gebürtige und in New York lebende Stefan Sagmeister wurde bekannt als Grafikdesigner – etwa durch Arbeiten für die Talking Heads, Lou Reed, HBO, OK Go, BMW und das Guggenheim Museum. Er war sechsmal für den Grammy nominiert, den er zweimal gewann. So steht der Österreichbeitrag „Thoughts Form Matter“ im Kontext der verstärkten Thematisierung von Zwischen- und Freiräumen. Die drei geladenen Teams LAAC, Henke Schreieck und Sagmeister & Walsh deuten in ihren Beiträgen das Generalthema als räumliches und ideelles Konstrukt. Der Pressetext spricht gar von komplex dynamischem System und wandlungsfähiger Sphäre. Drei Rauminstallationen, die teilweise ineinander übergehen, materialisieren bzw. visualisieren Begriffe wie „Abweichung“, „Atmosphäre“ und „Schönheit“.
Sagmeister mag als Garant dafür herhalten, dass der Pavillon den monothematischen Bereich verlässt und zur Querschnittmaterie wird, wie von Kommissärin Konrad angedacht. In seiner mit Jessica Walsh entwickelten Arbeit spielt ein Istgleichzeichen auf verspiegeltem Boden im Pavillon eine große Rolle. Das Zeichen verbindet zwei Blackboxen, in der sich Visuals in typisch Sagmeisterscher Art mit „Beauty“ und „Function“ auseinandersetzen. Konzeptuell strenger mit dem Freespacebegriff halten es in der Nachbarschaft die Ägypter, die das Phänomen der rasch entstehenden Märkte unter freiem Himmel im eigenen Land unter die Lupe nehmen. Eine Landnahme der anderen Art und eine Neudefinition von Freiraum in Metropolen und Ballungsräumen. Noch radikaler versucht es Großbritannien, das seinen Bespielungsort komplett leergeräumt präsentiert und auf das Dach bittet, um den Ausblick zu genießen. Wohl will das Projekt „Island“ auf Nachfrage zum Nachdenken anregen. Ob es um den Brexit geht, will ein Journalist wissen. „Ja, sicherlich auch“ meint eine anwesende Pressedame.
Eindeutig geschichtsträchtig ist das deutsche Haus konfiguriert. Die Zeitgleiche, nämlich jene 28 Jahre zwischen Vereinigung der beiden Deutschlands und dem Bestehen der Berliner Mauer (1961-1989) bietet Anlass zur Ausstellung „Unbuilding Walls“. Konkret wird anhand von architektonischen Beispielen auf dem ehemaligen Grenzstreifen untersucht, was in den letzten 28 Jahren inmitten der Hauptstadt passiert ist. Analog dazu will man neben der deutschen Mauererfahrung aktuelle Barrieren, Zäune und Mauern erlebbar und sichtbar machen. „Vom Todesstreifen zum freien Raum“ mag somit als hellwaches und äußerst berührendes Statement gelten. Als didaktisch klug wiederum bewerten wir den amerikanischen Beitrag, eine Zusammenstellung verschiedener Positionen. So setzt sich etwa das Projekt „In plain Sight“ mit Datenströmen auseinander, die von Regierungen und Satelliten dazu benutzt werden globale Bevölkerungsstrukturen sichtbar zu machen und für ihre Zwecke zu verwenden. Im sinnlich überbordenden Arsenale wiederum sei beispielsweise auf die wunderbare Installation „Conditions“ von Dorte Mandrup hingewiesen oder auf die beeindruckende Arbeit „Levels“ von Obras Architectes etc.pp.
Freespace wünscht man sich grundsätzlich in Venedig mit Blick auf touristische Geister, die man einst gerufen hat und derer man nicht Herr wird. Wem es zu viel wird, dem sei die Miniweinstube „Bacareto da Lele“ empfohlen. Dass es so etwas noch gibt in Venedig…Aber nicht weitersagen…