Manchmal liegt das Nahe auch in der Ferne. Besucht man die New Yorker Kultur- und Kunstinstitutionen, stößt man auch abseits renommierter Ausstellungshäuser auf zahlreiche Künstler aus Europa. Der Pionier der Nachkriegskunst und Initiator von ZERO, Heinz Mack, ist gleich mehrfach zu sehen. In ehemaligen Garagen, Lagerhallen und unscheinbaren Straßenecken trifft man auf Picasso, Thomas Scheiblitz, Heinz Haacke.
„Sorry, you are not allowed to take pictures at this point of the museum.“ Beim Anblick der architektonisch ansprechenden Ästhetik des Inneren des Solomon R. Guggenheim Museums bleibt der Griff zum Fotoapparat nicht aus. Nur kurze Zeit später ist die fotografische Verlockung zu groß: Die spiralförmige Gliederung der Ausstellungsräumlichkeiten des Architekten Frank Lloyd Wright, die stufen- und etagenlos nach oben führt, muss festgehalten werden. Wie befinden uns nur einen Schritt von jener Stelle entfernt, an der das Verbot ausgesprochen worden ist. Ja, in New York muss man – was die Sicherheitsvorschriften betrifft – unhinterfragt artig sein. Sich einzureihen, scheint akzeptiert zu werden.
Gehorsam will belohnt werden: Die aktuelle Ausstellung „ZERO – Countdown to tomorrow, 1950s-60s“ (bis 7.Jänner) setzt die Pionierleistung jener Künstlergruppe namens ZERO in Szene, die nach dem 2. Weltkrieg einen kunsthistorischen Kurswechsel einläutete und transnational Visionen eines Neubeginns verfolgte. „A zone of silence and of pure possibilities for a new beginning as the countdown when rocket stake off“. Gegründet wurde die international tätige Gruppe 1957 vom Westdeutschen Heinz Mack und von Otto Piene. Die Ausstellung zeigt 30 Künstler, die im Naheverhältnis zu den Anhängern von ZERO und deren Ausrichtung standen, darunter Yves Kleins, Daniel Spoerri, Günther Uecker, Jean Tinguely oder Piero Manzoni. Nicht mehr das Schaffen des Künstlers, sonder das dekonstruktive Moment und das daraus Neu-Entstehende standen im Fokus. Die Reduktion der Farbe wie in Yves Klein monochromen Bildern oder Piero Manzonis „Achrome“ wurde ebenso forciert wie das Experiment mit dem Material, der Struktur. Günther Uecker verwendete in „The Yellow Picture“ Baumaterial – Nägel – als gestaltendes Mittel der Kunst, um mit der Arbeitswelt verbunden zu bleiben. Auf der Suche nach dem Ursprünglichen setzt Otto Piene Feuer ein, um Materie zu reduzieren. Mithilfe des Nebenprodukts Rauch lässt er etwas Neues entstehen, so auch die „Venus von Willendorf“, die mehr oder weniger ein zufälliges Produkt eines solchen reduktiven Aktes ist. Immaterialität, Transformation und Vibration (als Bewegung) sind Schlüsselbegriffe von ZERO. Angelehnt an das Leben sollte Kunst ein Objekt des Wandels bleiben. „transformable art“ wie von Jean Tinguely griff auf Motoren zurück, um Bildelement in Bewegung zu setzen und diese einem ständigen Perspektivenwechsel auszusetzen. Die Ausstellung fordert wie ZERO die Interaktion des Betrachters.
Lower East Side
Eine erstaunliche Dichte an Galerien weist die Lower East Side Manhattans entlang der Bowery Street auf. Dort stößt man, überraschenderweise, auch auf Heinz Mack. Sperone Westwater widmet dem deutschen Künstler zwei ganze Stockwerke und stellt seine großflächigen Werke, darunter auch selten gezeigte Fotografien, aus, die durch organische und grafische Elemente neue Wege des Skulpturalen suchen und über Licht- und Schattenspiele Sinnestäuschungen und Irritationen hervorrufen. Eine Tür weiter, an der Ecke Houston Street, trifft der Blick in der Soho Contemporary Art Galerie auf Werke von vorwiegend amerikanischen Künstlern wie Christopher Wool, Andy Warhol, Keith Haring oder des Briten Rich Simmons. Garis & Hahn – Galerie und Kunsthalle in einem – widmet sich erzählenden Konzepten, dem zeitgenössischen Kunstdiskurs, und versucht damit ein breites Publikum anzusprechen. Im November lud der Musiker und Fotograf Julien Levy mit einem philosophischen Zugang ein, mithilfe einer Lupe der nicht auf Anhieb sichtbaren Schönheit seiner Fotomotive nachzuspüren. Dazu verwendet er in Relation zu den Rahmen miniaturgroße Fotos von attraktiven Frauen in Alltagsposen.
High Line
Die High Line – eine ehemalige Hochbahnlinie – bietet, als Park reorganisiert, eine willkommene Ruheoase inmitten der umtriebigen Stadt. Auch hier stößt man wie nebenbei auf relevante Künstler wie Ed Ruscha, der für einen Wandtext verantwortlich zeichnet: „Honey, I twisted through more damn traffic today“. Im Herbst 2014 stellte ihn die unter der High Line gelegene Gagosian Gallery aus. Noch bis 3. Jänner zeigt diese die Schau mit dem Titel „Picasso & the Camera“. In einer ehemaligen Lagerhalle sind Fotoarbeiten Picassos zu sehen, die größtenteils noch nicht gezeigt wurden und in enger Verbindung zu seinen Gemälden, Zeichnungen, Skulpturen und Filmen stehen. Sie bebildern Entstehungsgeschichten ebenso wie seine Person und sein privates Umfeld. In der gegenüberliegenden Paula Cooper Gallery widmet man sich den Minimalisten am Beginn ihrer Karriere. Sie begleitete unter anderem Donald Judd oder Sol LeWitt. Bis 13. Dezember war der deutsche Konzeptkünstler Hans Haacke mit „Together“ zu sehen, einer raumeinnehmenden Installation, die sich auf sein Werk „Zirkulation“ aus dem Jahre 1969 bezieht. Es beschäftigt sich anhand der Platzierung eines raumeinnehmenden, venenartigen Systems mit der Dynamik von Flüssigkeiten. Es werden Verteilungssysteme und körperliche, biologische sowie soziale Wechselbeziehungen untersucht. „Zirkulation“ befindet sich ebenso wie das aus der frühen Phase Haacks stammende Werk „Kondensationswürfel“ in österreichischer Hand, in der Sammlung Generali Foundation.
Eine besondere Beziehung zum deutschen Künstler Thomas Scheibitz weist die Tanya Bonakdar Gallery auf. In seiner 8. Soloausstellung zeigt er unter dem Titel „Studio Imaginaire“ bis Mitte Dezember neue Zeichnungen und Skulpturen, die sich mit dem Kunstraum auseinandersetzen, dem Atelier als Werkstätte und Utopie. Formen der Kunst abstrahiert er zu geometrischen Formen, die wiederum einen Raum und zumindest Körperlichkeit suggerieren. Seine Werke suchen sich zwischen Stillleben und konzeptueller Kunst ihren Stellenwert. Die Kunst hat in New York scheinbar jede Menge Platz für sich gefunden.
Text: Natalie Resch