Das Greith-Haus präsentiert aktuell eine umfassende Werkschau von Gerhard Haderer. „Achtzig“ nutzte die Gelegenheit, um mit dem bedeutendsten österreichischen Karikaturisten über die Kultur des Ungehorsams, aufgelegte Frisuren und den gar nicht notwendigen Mut, das Richtige zu tun, zu sprechen.
Text: Stefan Zavernik
Der Mensch steht in den Bildern der aktuellen Ausstellung im Mittelpunkt. Wann drängt es Sie dazu, allzu Menschliches aufs Papier zu bringen?
Themen wie Menschen müssen sich mir gegenüber einfach qualifizieren, damit sie für eine Zeichnung in Frage kommen. Wenn ich in einer bestimmten Situation emotionalisiert werde – im positiven wie im negativen Sinn –, ist das schon eine richtige Annäherung für eine zeichnerische Stellungnahme. Oft brauche ich dafür nur in Linz vor die Haustür zu treten, meine „Models“ laufen dort auf und ab und bitten förmlich darum, gezeichnet zu werden. Die Menschen, so scheint es, wissen nicht mehr, was sie ihrer Umwelt mit ihrem Äußeren mitteilen. Sonst würden zum Beispiel all diese in Plastik eingeschweißten Sport-Clowns nicht im Freien herumlaufen, sondern sich aus Scham irgendwo verkriechen. Eventuell wird man diese hochgestylten Freizeit-Figuren in ferner Zukunft einmal als Zeichen unserer Zeit erkennen, heute begegnet man ihnen an jeder Straßenecke. Was ich aber bisher noch nie getan habe, war, mir vorzunehmen, einen bestimmten Menschen nur wegen seiner äußeren Erscheinung in Grund und Boden zu zeichnen, wenn er sich vernünftig verhält. So etwas mache ich nicht.
… bei Politikern machen Sie hier aber schon einmal eine Ausnahme? Zum Beispiel mit Donald Trump.
… ach, wenn ich mir Trumps Frisur vorknöpfe, ist das nicht viel mehr als eine oberflächliche Lockerungsübung. Ihm gegenüber sitzt dann meist der Nordkoreaner, der ja auch einen sehr auffälligen Haarschnitt trägt. Diese Menschen lassen offensichtlich jemanden an ihre Haare, der hauptberuflich etwas anderes tut, als Friseur zu sein. An so etwas habe ich dann etwa 10 Stunden lang meinen Spaß – solange brauche ich für eine Zeichnung – und das war es dann. Dann ertrage ich ohne Weiteres die nächsten Fernsehbeiträge über die beiden.
Die Sehnsucht des Menschen nach der Idylle scheint Sie als Thema schon seit vielen Jahren zu begleiten. Trauen Sie idyllischen Zuständen generell nicht?
Ich selbst lebe zwar das halbe Jahr am idyllischen Attersee, doch der Begriff „Idylle“ als solcher klingt für mich immer etwas gefährlich. Es wäre für mich aber völlig sinnlos, perfekte Idyllen attackieren zu wollen, wenn sie perfekt sind. Das käme nicht in Frage. Handelt es sich aber um idyllische Oberflächen, hinter denen sich andere Themen verstecken, dann erfordert es eben diesen präzisen Blick, um zu erkennen, was darunter verborgen liegt. Das lohnt sich speziell bei Themen wie dem Tourismus oder der Politik.
Kann man jedem Thema mit Humor begegnen?
Das ist wie so vieles eine Frage der Perspektive. Ich denke sehr wohl, dass man sich mit Witz auch Themen widmen kann, die aufs Erste keinen besonderen Heiterkeitsanspruch erheben. Was zu schaffen ist: über Themen einen Joke zu machen, die wirklich schwierig sind. Das kann befreiend sein und das ist Teil meiner Lebensführung. Ich brauche ein Art Ventil in meinem Kopf, mit dem ich Dampf ablassen kann, wenn der Druck zu groß wird. Oft geht es mir nach einer Zeichnung besser als vorher. Bei meinen Bildern halte ich es wie im Umgang mit anderen Menschen, eine freundliche Begrüßung ist nie etwas Schlechtes. Auf den ersten Blick sind meine Arbeiten lustige Cartoons oder Karikaturen, aber auf den zweiten Blick wird man in ihnen Inhalte entdecken, die alles andere als reine Unterhaltung sind.
Sie haben 25 Jahre lang wöchentlich für den Stern gezeichnet. Kennen Sie so etwas wie eine Zeichenblockade?
Eine solche hat es in der 25-jährigen Zusammenarbeit mit dem Stern nur ein einziges Mal gegeben, als ich etwas zum Attentat auf Charlie Hebdo zeichnen wollte. Dazu hat es mir kurzfristig die Sprache verschlagen. Erst mit der nötigen zeitlichen Distanz konnte ich mich dazu äußern, und das war auch gut so. Außerdem gibt es auf der Welt wirklich viele sinnvollere Tätigkeiten, als pausenlos Witze zu zeichnen. Ich habe mir immer vorgenommen, ab dem Augenblick, wo ich merke, dass es anstrengend wird, sofort etwas anderes zu tun.
Das haben Sie mit Mitte 30 getan. Bevor Sie Karikaturist wurden, waren Sie in einer Werbeagentur tätig. Irgendwann haben Sie sich dazu entschlossen, keine kommerziellen Aufträge mehr anzunehmen. Als Vater von drei Kindern durchaus ein Schritt ins Ungewisse – betrachten Sie sich selbst als mutig?
Ich bin kein wahnsinnig mutiger Mensch. Und ich habe damals auch nicht damit gerechnet, dass ich Karikaturist werden würde. Ich habe nur genau gewusst, was ich nicht mehr machen kann. Nämlich für Geld zu arbeiten, ohne persönlich dazu stehen zu können. Man muss wissen, ob man gewisse Situationen aushält oder nicht. Ich habe dieses Dienen an der Konsumgesellschaft, zu dem ich als Werbegrafiker verpflichtet war, einfach nicht mehr verarbeiten können. Es war für mich eine Frage der Selbstbefreiung, zu sagen: „So, nun mache ich nur mehr das, wofür ich erstens genügend Talent habe und zweitens die nötige Leidenschaft in mir spüre.“ Am Ende waren das dann Bilder, die sich im Bereich zwischen Karikatur und Tragödie bewegten, und diese Bandbreite ist mir bis heute sympathisch geblieben. Vielleicht kann das eine Ermutigung für Menschen sein, die eine ähnliche Situation durchleben wie ich damals: Es ist so einfach, für sich selbst den richtigen Platz zu finden, Mut braucht es dafür keinen.
Haben Sie einen Weg gefunden, Kreativität und Leichtigkeit zu kultivieren?
Ja, sicher! Wenn man sich meine Arbeiten ansieht, ist es spürbar, dass es diese zeichnerische Lust immer noch gibt. Würde diese wegfallen, oder würde ich das Zeichnen als reine Lohnarbeit empfinden, die schlicht und einfach abzuliefern wäre, dann wäre das schrecklich mühsam und es würde genau das fehlen, was für ein gutes Ergebnis notwendig ist. Nämlich mit der nötigen Entspanntheit und mit Lust ans Werk zu gehen.
Wie lange hat es gedauert, um als Zeichner komplett zu werden?
Für komplett halte ich mich noch immer nicht, aber seit ganz kurzer Zeit habe ich so etwas wie einen vorläufigen schöpferischen Höhepunkt erreicht. Die Jahrzehnte davor habe ich eigentlich nichts anderes getan, als Fehler zu vermeiden. Das Allerwichtigste ist, etwas darstellen zu können, ohne dabei an den Akt des Zeichnens zu denken. Wenn der Stift in der Hand nicht mehr spürbar kontrolliert werden muss, befindet man sich in einer paradiesischen Situation, weil man dann fast spielerisch seine Gedanken umsetzen kann. Das ist ein erhebendes Gefühl. Vergessen ist dann das mühevolle Training in all den Jahren zuvor. Wobei das Training, fast wie im Sport, auch notwendig ist. Es macht den Kopf frei und führt zu einer leichtgängigen Handfertigkeit.
Seit einigen Monaten ist Ihre „Schule des Ungehorsams“ in Betrieb, die Sie gemeinsam mit Ihrem Sohn ins Leben gerufen haben: Krankt unsere Gesellschaft an einem Zuviel an Gehorsam?
Ich bin überzeugt davon. In dieser Schule leisten wir uns den Luxus, den Begriff „Ungehorsam“ positiv zu besetzen. Ich kann ohnehin nicht wirklich nachvollziehen, warum die Menschen beim Begriff „Gehorsam“ nicht zusammenzucken. Denn was in der Geschichte unter diesem Titel passiert ist, braucht keine detaillierte Schilderung.
Was wird an der Schule des Ungehorsams gelehrt?
Ungehorsam per se mündet in der Verblödung und kann keine Weltformel sein. Aber die Unzufriedenheit der Menschen mit der Gesellschaft, in der sie leben, zu formulieren, findet heute größtenteils dadurch statt, dass sie auf die Straße laufen, sich irgendwo zusammenrotten – wie in Deutschland die PEGIDA oder wie all diese seltsamen Bewegungen heißen – und Lärm produzieren. Wir meinen, Lärm alleine genügt nicht. Diesen Lärm zu Musik zu machen, das erfordert Kultur und dafür erfordert es eine Schule. Wir sind ein Forum zwischen Kunst und Politik. Es geht uns um einen Austausch zwischen diesen Polen. Ich glaube, dass Künstler eine Sprache haben, und diese kann verantwortungsvoll eingesetzt werden. Wir nehmen die Themen unserer Zeit und versuchen mit unseren Möglichkeiten, die wir Künstler haben, diese Themen an die Menschen heranzutragen.
Wie viel kann Kunst verändern?
Sie kann ein Bewusstsein mitverstärken, das schon vorhanden ist. Meiner Meinung nach aber hat die Kunst nicht die Kraft, ein neues Bewusstsein zu erschaffen. Ich denke aber, dass in unserem Land genügend Bewusstsein für wichtige Themen vorhanden ist. Meine Überzeugung ist nach wie vor, dass die Mehrheit der Österreicher nicht aus Arschlöchern besteht. Das ist zwar gerade heute manchmal schwer zu argumentieren, aber ich glaube daran.