Start Interviews 80 Jahre Günter Brus: Kunst und Rebellion

80 Jahre Günter Brus: Kunst und Rebellion

Günter Brus Foto: Nikola Milatovic

Günter Brus, einer der renommiertesten Künstler Österreichs, steht kurz vor seinem 80. Geburtstag. Ein Gespräch über Aktionismus, Staatsfeinde und den Untergang des Abendlandes.

Text: Wolfgang Pauker

Sie werden im September 80 Jahre alt und sind noch immer hochaktiv. Unlängst ist Ihr neues Buch „Von nirgendwo her bis irgendwo hin“ erschienen. Was treibt Sie nach wie vor an?

Nach der Fertigstellung dieses Buches nichts mehr (lacht). Nein, ich arbeite bereits an einem neuen Projekt, über das ich aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht sprechen möchte.

In dem Buch widmen Sie sich in Anekdoten Alltagsgeschichten des Lebens. Früher war die Provokation ein Mittel Ihres künstlerischen Ausdrucks. Wird auch ein Günter Brus altersmilde?

Das hat mit Milde nichts zu tun, das liegt an der Materie, denn das Schreiben ist ja schon von Haus aus eine sanftere Form des Ausdrucks. Die Aktionen waren damals natürlich auffälliger und zum Teil skandalös, aber zu dieser Zeit war ich ja auch jünger und entsprechend noch mit einer gewissen Aggression ausgestattet. Die ist mir mittlerweile abhandengekommen. Das muss heute aber auch gar nicht mehr sein, denn mit 80 Jahren braucht man nicht mehr den Rabauken zu spielen.

Heuer jährt sich die legendäre „Uni-­Aktion“ zum 50. Mal. Würde so eine Aktion auch 2018 so hohe Wellen schlagen?

Nein, weil man so eine Aktion heute gar nicht mehr in so einer Form machen könnte. Es gäbe hierfür auch keinen Anlass. Der Druck war damals so enorm, dass man einen dementsprechenden Gegendruck ausüben musste. Bei mir ist der dann eben sehr hart ausgefallen. Auch wenn das in meinen Augen weniger der Fall war, denn es war auch Teil meiner künstlerischen Entwicklung, die ja die Ausscheidung und die Verletzung beinhaltete. Als Körperkünstler, der diese Bezeichnung ja nun wirklich verdient hat, konnte ich solche Sachen natürlich nicht aussparen. Dass diese Aktion auf der Universität etwas proklamativer und plakativer ausgefallen ist, kann man mir nicht verdenken, weil das Programm ja auch unter der Devise „Kunst und Revolution“ stand. Ich wollte hierfür ja eigentlich „Kunst und Rebellion“, das wurde aber abgelehnt. Mir ging Revolution einen Schritt zu weit. Heute besteht jedenfalls kein Anlass, eine Aktion in dieser Form durchzuführen. Was sie für Auswirkungen hätte, das weiß ich nicht, aber ich denke, sie wäre von Seiten der Strafjustiz schon mäßiger ausgefallen, weil auch die Kunst heute miteinbezogen werden würde. Denn die wurde damals ja gänzlich außer Acht gelassen. Es wurde ja nur als Skandal und nicht als Kunst wahrgenommen.

Sie wurden danach quasi zum Staatsfeind Nr. 1 erklärt …

Staatsfeind Nr. 1 war damals die Gerichtsbarkeit und nicht ich. Denn was sich da abgespielt hat, im Anschluss an die Aktion, das kann man nur schwer nacherzählen. Die Richter waren alle organisiert, einschließlich des Pflichtanwalts, den ich widerwillig annehmen musste. Der Gerichtsgutachter im Prozess war damals der berüchtigte Psychologe Heinrich Gross (Stationsleiter der „Reichsausschuss-Abteilung“ an der Wiener „Euthanasie“-Klinik Am Spiegelgrund; Anm. d. Red.), der lange Zeit von gewissen Kreisen gedeckt wurde. Zum Schluss war dieser Herr nur zu alt, um selbst verurteilt zu werden. Das waren also die eigentlichen Staatsfeinde.

Selbstbemalung, 1964
Foto: L. Hoffenreich

Die Aktion fand im geschichtsträchtigen Jahr 1968 statt. Wie war die Gesellschaft damals, dass man sie so radikal aufbrechen musste?

Furchtbar. Bezeichnend war, dass wir mehrmals im Zusammenhang mit unserer Kunst mit der Justiz zu tun hatten. Otto Mühl und Hermann Nitsch vor allem, aber auch ich, waren mehrmals für mehrere Tage oder sogar Wochen im Gefängnis. Die Gefängnisorgie ging ja nicht erst mit der Uni-Aktion los, die ist ja vorher schon eingeleitet worden. Anfang der 60er Jahre, als unsere Kunst für diese Leute ein krimineller Vorfall war.

Heute hofiert Sie das offizielle Österreich für Ihre Kunst. Eine Genugtuung?

Genugtuung habe ich schon länger erfahren. Und das Hofieren, das mir jetzt wiederfährt, bleibt halt nicht aus, wenn man qualitativ hochwertige Kunst liefert. Wo auch immer das dann ist, ob in Dänemark oder Portugal, ist eigentlich egal. Ich bin jetzt bald 80 und es ist bei mir nicht unähnlich wie bei Kokoschka, von dem in meiner Studienzeit in Wien noch ziemlich abwegig gesprochen wurde. Er sollte in der Alten Universität eine Decke ausmalen und es wurde abgelehnt. Man hat auch zwei Gebäude von Otto Wagner niedergerissen, die heute beliebtes Postkartenmotiv sind. Es ist also der Lauf der Dinge und ich empfinde es nicht als Hofieren, sondern als Bestätigung.

Ihre Arbeiten sind in sämtlichen maßgebenden Museen der Welt vertreten. Wollten Sie da eigentlich hin, in den Olymp der Kunst?

Das ist maßlos übertrieben. Ich habe einige Museen, die mehrere Werke von mir besitzen, wie das MoMa in New York, die Tate Gallery in London oder das Centre Pompidou in Paris …

… aber die darf man doch getrost als Olymp bezeichnen. War Erfolg also jemals eine Triebfeder?

Nein. Das hat sich im Laufe der Zeit so ergeben und nach und nach haben die einzelnen Museen angekauft. Den Erfolg habe ich vielleicht unbewusst angestrebt, aber wegen Erfolg habe ich nie gearbeitet, diese Kategorie hat mich nie angetrieben.

Sie haben den Aktionismus miterfunden. Eine Kunstform, die heute teils skurrile Blüten treibt. Fürchten Sie, diese Disziplin könnte zu bloßem Entertainment verkommen?

Wenn sie das nicht schon ist. Die Performance, wie sie heute heißt, denn den Begriff gab es zu unserer Zeit noch nicht, treibt wirklich manchmal seltsame Blüten und ist würdig, in Boutiquen vorgeführt zu werden. Es gibt hier aber auch ein paar Ausnahmen, qualitativ hochwertige Künstlerinnen und Künstler. Soweit ich das überblicken kann, denn man muss schon klar unterscheiden, dass man Qualität nicht einfach von Fotos ablesen kann, sondern dabei gewesen sein muss. Insgesamt macht die Performance den Fehler, dass sie ihre Herkunft weitgehend verschweigt. Nämlich aus den Aktionen oder aus dem Happening, wie es die Amerikaner sagen.

Trotz des gewaltigen Echos, das Ihre Aktionen hervorriefen, haben Sie damit aufgehört. Wieso?

Ich habe nicht aus taktischen Gründen aufgehört, sondern aus der Tatsache heraus, dass es vor allem in den letzten Aktionen, insbesondere in der Zerreißprobe, körperlich so gefährlich wurde, dass ich mich entschlossen habe, damit aufzuhören. Denn man konnte die Verletzungen nicht weiter steigern. Und wenn doch, ist man einfach ein Trottel.

Der helle Wahnsinn, 1968

Es folgte in Ihrem Œuvre mit den Bild-Dichtungen ein gewaltiger Output an grafischem Werk. Wie entwickelte sich diese Form des Ausdrucks?

Die Bild-Dichtungen sind nicht von heute auf morgen entstanden. Im Grunde sogar missverständlich, denn sie entstanden aufgrund einer Anfrage eines Frankfurter Verlages, der wollte, dass ich über meine Aktionen ein Buch mache und darin die Aktionen analysiere und dokumentiere. Ich habe das auch angenommen und schon das Titelblatt war eine Zeichnung. Meine erste Lieferung nach Frankfurt war neben Fotos ebenfalls versehen mit Zeichnungen und Texten und der Verlag hat mich klugerweise aufgefordert, ich solle doch bei der Dokumentation gleich auf Fotos verzichten. Das war ganz in meinem Sinne, denn ich wollte keine Kunst dokumentieren, sondern neue Kunst machen.

War Ihre Kunst früher noch politisch, nahmen sich die Bild-Dichtungen da weitgehend zurück. Wieso?

Meine Kunst war nur zeitweilig, von 1967 bis 1968, zum Teil politisch orientiert. Aber es gab zu dieser Zeit auch Aktionen mit meiner Tochter, die mit Politik gar nichts zu tun hatten. In etlichen Aktionen ging es nur um Schönheit. Um Schönheit in meinem Sinne. Zusammengefasst war die Uni-Aktion die absolut politischste.

Hat Kunst überhaupt die Aufgabe, sich politisch einzumischen?

Das ist immer eine Frage der Gegenwart und der Gegebenheiten. Ob Künstler sich bemüßigt fühlen, gesellschaftlich einzugreifen, ist nicht in jeder Epoche unbedingt gleich der Fall. Die Expressionisten in ihrer Zeit, siehe George Grosz, oder auch die Dadaisten haben den Staat, die Kirche und die Gesellschaft attackiert. Das ist zurzeit aber nicht unbedingt der Fall.

Sie wünschen sich von Ihren KünstlerInnen-Nachfolgegenerationen also kein entschiedeneres Auftreten gegen Obrigkeiten?

Nein. Wenn die Studenten zum Beispiel heute offensichtlich nichts an den Universitäten stört, wie es damals 1968 der Fall war, dann ist das ihre Sache. Ich könnte mir vorstellen, aber ich weiß es nicht, dass in den Universitäten auch nicht alles in Ordnung ist. Aber das ist nur eine Vermutung. Wenn man nichts als störend empfindet, dann soll man das Maul halten. Wenn ja, dann soll man dagegen auftreten. Ich bin aber auch nicht wirklich begeistert von Straßenaufmärschen jedweder Art, aber wenn sie berechtigt sind, dann bin ich dafür. Wir müssen froh sein, dass wir hier nicht so viele Anlässe haben, um auf die Straße zu gehen.

Günter Brus: „Mit 80 Jahren braucht man nicht mehr den Rabauken zu spielen“
Foto: Nikola Milatovic

Überwachung, Fremdenfeindlichkeit und nationalistische Tendenzen machen Ihnen keine Sorgen?

Die totale Überwachung der Bürger sehe ich heute gar nicht so sehr, vielleicht eine Ouvertüre hierfür. Und auch die Fremdenfeindlichkeit insbesondere in der aktuellen Flüchtlingsfrage ist eine sehr komplizierte, die nicht so einfach zu lösen ist. Aber natürlich läuft hier einiges schief. Österreich ist so reich, dass man diese Anzahl an Flüchtlingen, die ja noch dazu deutlich und überdeutlich abgenommen hat, nicht großreden sollte. Aber das tut man leider und bauscht es auf, als würde der Untergang des Abendlandes bevorstehen.

Ich habe in einem Interview gelesen, dass Sie nochmals ins Exil gehen würden, sollte Österreich aus der EU austreten.

Ja, das habe ich einmal spontan so ausgesprochen. Ich stehe auch nach wie vor dazu, obwohl es absurd ist, mit 80 nochmal ins Exil zu gehen. Aber wenn der Fall eintreten würde, und damit mildere ich es ein bisschen ab, würde ich mir auf jeden Fall überlegen, wie und welche Schritte ich in diese Richtung setzen würde.

 

Günter Brus Ausstellungen in der Steiermark

 

Obsession Zeichnen
noch bis 2. September 2018

BRUSEUM, Joanneumsviertel, 8010 Graz

 

Retrospektive anlässlich des 80. Geburtstags von Günter Brus.

Von 19. September bis 20. Oktober 2018

Galerie Kunst & Handel, Bürgergasse 5, 8010 Graz

 

Wie mit dem Skalpell. Die Aktionszeichnungen von Günter Brus.

Von 28. September 2018 bis 17. Februar 2019

BRUSEUM, Joanneumsviertel, 8010 Graz