Start Kunst & Kultur steirischer herbst: Empörung und Begeisterung

steirischer herbst: Empörung und Begeisterung

Am 20. September eröffnet der steirische herbst erstmals unter der Leitung von Ekaterina Degot. Wir sprachen mit ihrer Stellvertreterin Henriette Gallus darüber, was neu wird und was es zu erleben gibt.

Text: Stefan Zavernik / Lydia Bißmann

Wirklich genaue Vorstellungen vom Programm schienen lange Zeit ein gut gehütetes Geheimnis. Lediglich die Künstlernamen wurden veröffentlicht, nicht aber ihre Projekte. Aus Kalkül?

Mit beabsichtigter Geheimnistuerei hatte das nichts zu tun. Wenn man sich bestehende Arbeiten holt, weiß man, was man kriegt – bei der nun kommenden Ausgabe des steirischen herbst sind so gut wie alle Produktionen eigens entwickelt worden. Bei Neuproduktionen kann man kaum etwas im Detail voraussehen, denn diese entstehen oft erst kurz vor dem Ausstellungsaufbau. Häufig werden mehrere Entwürfe verworfen, und am Ende kommt etwas ganz anderes heraus. Für jede einzelne Arbeit gab es oftmals einen wochenlangen, monatelangen Austausch zwischen dem Künstler und dem Kuratorenteam. Es kam zu Diskussionen, Durchbrüchen und Planänderungen. Auch das technische Team war eine wichtige Ansprechstelle, an der Wünsche und Realität aufeinandertrafen. Vorstellungen mussten an Vorgaben nachträglich immer wieder angepasst werden. Das ist das Risiko bei Neuproduktionen. Zum Beispiel die Performance des Bread & Puppet Theaters, fest steht nur: es wird eine künstlerische Demonstration. Welche Figuren aber den Umzug begleiten, wird eine Überraschung. Diese entstehen nach Gesprächen und Bestandsaufnahmen erst vor Ort in Graz, im Rahmen von Workshops mit der Grazer Bevölkerung.

Die Eröffnung am 20. September ist bis auf das Konzert von Laibach kostenlos zugänglich. Ein Ansatz, um bewusst breitere Bevölkerungsschichten zu erreichen?

Definitiv. Wir denken viel an die Zukunft des Festivals und möchten neue Besucher­gruppen erschließen. Es ist ja generell schon eine Herausforderung, all jene zu erreichen, die man erreichen möchte, und darüber hinaus all jene, die eventuell interessiert wären. Mit einer großen Eröffnung im öffentlichen Raum erhalten wir zusätzlich die große Chance auf Zufallsbegegnungen. Unzählige Menschen werden den Umzug des Bread & Puppet Theaters sehen und gar nicht wissen, was hier geschieht. Einige davon werden nicht einmal wissen, was der steirische herbst überhaupt ist. Wir wollen hier Neugier schaffen. Leute dazu anstoßen, sich mit dem restlichen Festival auseinanderzusetzen.

Henriette Gallus
Foto: Clara Wildberger

Das Festival soll in Zukunft wesentlich stärker als Gesamtkunstwerk wahrgenommen werden. Wie wurde das Konzept darauf ausgerichtet?

Das Festival ist nun wie eine große Ausstellung angelegt. Diese Ausstellung wird installiert, eröffnet und besteht dann die darauffolgenden vier Wochen. Die Stadt Graz wird auf diese Weise zum musealen Raum und alle darin bespielten Orte zu Ausstellungsteilen. Wie eine Gruppenausstellung die auch Performances einschließt.

Es gibt auch einen neuen Festivalpass, der auf die Gesamtkonzeption abzielt. Welches Angebot erwartet Passbesitzer ab dem 20. September?

Der Festivalpass ist ein Ticket für die komplette Ausstellung. Das Rund-um-sorglos-Paket, sozusagen. Er ist eine Einladung, um sich vier Wochen lang alles in Ruhe anzusehen. Auch Orte immer wieder zu besuchen, weil man erneut hinmöchte oder es seine Zeit braucht, um erste Eindrücke wirken zu lassen. Wir haben den Pass bewusst leistbar angesetzt. Zum Normalpreis von 29 Euro, ermäßigt für 23 Euro, bieten wir vier Wochen Festival. Bei Performances braucht man nur mehr seine Plätze zu reservieren. Besonders wichtig ist aber zu erwähnen: der Großteil des Programms ist nur mit dem Festivalpass zugänglich. Auch das Laibach-Konzert am Eröffnungswochenende. Es wird ungewöhnlich, laut und hoffentlich im besten Sinne provozierend. Ich hoffe auf Empörung bis hin zur Begeisterung. Das ist ein Programmpunkt, auf den ich mich ganz besonders freue.

Das Programm präsentiert sich ungewöhnlich: Nicht die einzelnen Projekte werden angeführt, sondern Künstler und Orte. Wie stark ist die Wechselwirkung zwischen den beiden Polen?

Unsere These ist, dass Graz und die Steiermark Themen vorgeben, die auf der ganzen Welt virulent sind. Künstler funktionieren als Seismographen, die bei Themen ausschlagen, die in der Luft liegen. Die Orte selbst wurden also bewusst ausgewählt oder vorgegeben und haben an sich schon eine starke Bedeutung. Das war für die Produktion eine Herausforderung: Die Künstler mussten die Orte besuchen und für diese ortsspezifische Arbeiten entwickeln. Diese Arbeiten werden von den Orten inspiriert, müssen aber eine globale Relevanz besitzen. Aus diesem Grund macht es Sinn, das Programm über die Künstler und Orte zu entdecken.

Die Installation „Ökonomien der Verzweiflung“ von Ines Doujak. Zu sehen im Kulturzentrum bei den Minoriten.

Welche Orientierungshilfen gibt es für Festivalbesucher durch das komplexe Programm?

Es gibt drei verschiedene Touren, die unser Vermittlungsteam konzipiert hat.Eine Tour de Force, die über 8 Stunden geht. Sicher nicht für jeden etwas. Eine einstündige Tour, die sich mit einer Arbeit intensiv beschäftigt. Und eine 3-Stunden-Tour, die sich einigen Arbeiten und einer Performance widmet. Für Pass-Besitzer sind diese Angebote inkludiert. Neu ist auch das Guidebook, das sich sehr an den Arbeiten orientiert und den kuratorischen Zugang erklärt, warum dies und das genau so hier gezeigt wird. Das war uns wichtig, dass der Besucher das Buch kostenfrei mit in die Hand bekommt, wenn er einen Pass kauft. Genauso aber ist es möglich, das Festival auf eigene Faust zu erkunden. Nichts ist vorgeschrieben.

Das Festival scheint so politisch wie schon lange nicht mehr. So gut wie jeder Programmpunkt steht vor einem politischen Hintergrund und macht auf politische Verhältnisse aufmerksam.

Das Festival war schon immer sehr politisch. Schon bedingt aus seiner Entstehungsgeschichte. Zu einer Zeit in den 60er Jahren, als das Berufsverbot für Nazis aufgehoben wurde und diese Leute wieder in prominente Positionen kamen, sollte der steirische herbst als Avantgarde-­Festival hier einen Gegenpol schaffen. Gegründet wurde er interessanterweise von Mitgliedern einer konservativen Partei, nicht vom linken Lager. Seine Entstehung gab Hoffnung auf die heilende Funktion der Kunst. Ähnlich wie die documenta in Kassel. Wenn man sich heute ansieht, was für ein Ruck in Europa und in den USA passiert – hier braucht man gar nicht über rechts oder links zu sprechen –, dann gibt die grundsätzliche Bewegung, politisch wie humanitär, Grund zur Sorge. Das Festival war immer schon dazu da, diese Dinge anzusprechen. Unser Antrittsfestival reagiert einfach nur so vehement auf die Dinge, weil sich die Dinge vehement entwickeln. Ich glaube, 2017 und 2018 waren schwierige Jahre, Dinge passierten, die wir vor 5 Jahren nicht vorstellbar fanden. Wir mussten darauf reagieren. Selber politische Arbeit zu leisten, sehe ich allerdings nicht als unsere Aufgabe, ich sehe uns als Kommentatoren. Wenn nur ein Besucher nach dem Erleben des Festivals manche Dinge neu denkt, hätten wir schon viel erreicht. Wenn es gelingen könnte, über Dinge normal zu sprechen. Räume zu öffnen, in den vier Wochen steirischer herbst, um solche Gespräche führen zu können. Das wäre das Ziel.

 

„Achtzig“ empfiehlt aus dem Programm 2018

 

Eröffnung mit Parade und Laibachs „Sound of Music“

Das Bread & Puppet Theater wird die Besucher mit Riesenpuppen am 20.9. um 17 Uhr vom Bahnhof zum Schloßbergplatz leiten. Auf die Performance Putsch von Roman ­Osminkin folgt das musikalische Auftragswerk von Laibach auf den Kasematten, die sich über das Alpenkitschmusical Sound of Music hergemacht haben.

Laibach
Foto: Luca K.

Our Little Fascisms

Am 28. und 29.9. finden im Orpheum Diskussionen mit Publikumsbeteiligung statt, über Fragen wie z. B.: Ist Europa Geisel einer postfaschistischen Ära oder was entsteht gerade, in dieser seltsamen Mischung aus Gemeinschaftsgeist und Gleichgültigkeit? Es diskutieren u. a. die Philosophin Oxana Timofeeva, der Regisseur Tobias Ginsburg und der Medienkünstler Lars Cuzner.

Fiston Mwanza Mujila – Tram 83

Die diesjährige Herbst-Schauspielhaus-Kooperation Tram 83 lässt in einem afrikanischen Nachtclub moralische Welten aufeinanderprallen: Hier treffen sich Prostituierte, Musiker, Organhändler und Entwicklungshelfer. Der mehrfach ausgezeichnete Roman wurde von Dominic Friedel für die Bühne bearbeitet. Zu sehen am 21.9., 27.9. und 2.10. im Schauspielhaus Graz.

Fiston Mwanza Mujila

Kafka for Kids and More

Die Verwandlung von Kafka ist Storyline für die brutal surreale Pilotsendung einer Kinderfernsehserie, die von Roee Rosens mit Elementen aus Comic-Drama-Fiktion, Dokumentarfilm und Musical im Orpheum am 22.9. auf die Bühne gebracht wird. Danach gibt es einen Vortrag des Künstlers und ein Konzert von Igor Krutogolovs Spielzeug-Orchester.

Fotografie XXI: Die Gewalt der Bilder

Das Symposion lässt die langjährige Zusammenarbeit zwischen Camera Austria und steirischer herbst wieder aufleben. Am 5. und 6.10. stellen sich Theoretiker und Künstler wie Christine Frisinghelli, Tom Holert oder Ines Schaber die Frage, welche Rolle Bilder in der Darstellung von Gewalt einnehmen und welche Gewalt von ihnen selbst ausgeht.

Foto: Helmut Tezak

Schnee von gestern, Installation

Schnell sein muss man, möchte man die überdimensionalen Installationen der Moskauer Künstlerin Irina Korina sehen. Ihre Arbeiten sind nur von 21.9. bis 30.9. in der Helmut-List-Halle ausgestellt. Sie mixt amüsant-ironisch liebliche Figuren der Heimatpoesie Peter Roseggers mit unerfreulichen Nebenerscheinungen der modernen Gesellschaft.

Büro der offenen Fragen

Drei Tourformate führen Herbst-Besucher, die es genauer wissen wollen, beim Büro der offenen Fragen durch das Festival. Anhand von 100 offenen Fragen kann bei den Touren „Im Fokus”, „Allianzen” und „Landschaften” mit Experten, Künstlern und Kuratoren des steirischen herbst diskutiert werden. Manche Touren dauern nur eine, andere acht Stunden. 20.9. bis 9.10.

Foto: Buchmasser