Die neue Opernsaison startet mit einem großen italienischen Opern-Doppelabend in die nächste Runde. „Cavalleria rusticana“ und „Pagliacci“ verleihen dem kommenden Spieljahr einen gebührenden Auftakt. „Achtzig“ sprach mit dem Regisseur Lorenzo Fioroni über Liebe, Wahrheit und Fiktion.
Text: Bettina Leitner
„Cavalleria rusticana“ wird gemeinsam an einem Abend mit „Pagliacci“ aufgeführt. Was führt Sie zur Entscheidung, diese beiden Opern miteinander zu kombinieren? Wie verbinden Sie die beiden Opern bzw. gibt es ein durchgehendes Thema, Motiv, Gefühl?
Seit im Jahr 1893 die New Yorker Met diese beiden Opern verknüpfte, gehören sie unweigerlich zusammen, und wenn man sie nicht gemeinsam aufführt, dann ist es auch eine bewusste Entscheidung gegen das jeweils andere. Ich finde diese Kombination sehr sinnvoll, zumal Ruggero Leoncavallo Pagliacci als Reaktion auf Cavalleria rusticana schrieb. Es geht in beiden um verletzte Ehre, rachesuchenden Stolz und religiöse Rituale, die nur mehr als leere Hülle das Geschehen einkleiden.
Die Oper „Cavalleria rusticana“ wurde im Jahr 1890 uraufgeführt und spielt in einem sizilianischen Dorf zu Ostern, dem höchsten Fest der Christen. Zugleich ist das Stück aufgeladen mit „anrüchigen“ Emotionen wie Hass oder Eifersucht, und auch Affären kommen vor. Wie lassen sich diese so konträren Elemente verbinden und wie arbeiten Sie mit dieser Spannung?
Ich empfinde diese beiden Welten nicht als konträr; ganz im Gegenteil, sie bedingen und nähren sich wechselseitig. Das Miteinander im Dorf wird durch Rituale sowie gewisse Dogmen bestimmt und die Protagonisten der Oper empfinden dies als normal, sind sich dieser Spannung gar nicht bewusst und hinterfragen dies auch nicht. Ein gewisser Automatismus beherrscht das Zusammenleben. Wenn man keinen Begriff davon hat, wie eine Gesellschaft gestaltet sein sollte und wenn man darüber nicht reflektiert, so ist man einzig auf sich selbst zurückgeworfen. Darin sind diese Menschen dann berührend, sie machen uns traurig, weil sie in dieser Situation gefangen bleiben. Die Emotionen brechen heraus und der strenge Rahmen aller Rituale vermag es nicht mehr, diese zu decken.
Im zweiten Stück „Pagliacci“ vermischen sich die ernste und die heitere Ebene wie auch die dargestellte Realität mit Fiktion. Wie werden das Ineinander-verwoben-Sein und der Wechsel vom Publikum wahrgenommen? Wie wird der offensichtliche Bruch zwischen Wahrheit und Fiktion inszeniert?
Wenn in Pagliacci zwischen Wahrheit und Fiktion unterschieden wird, ist das ein Widerspruch in sich, denn auch diese Wahrheit ist eine fiktive, die mithilfe von Theatermitteln erzeugt wird. Gleichzeitig ist diese Wahrheit nicht die des Sängerdarstellers, sondern die des Autors. Und in unserem Fall ist die Wahrheit von Leoncavallo eine zum Teil erlogene, also wieder fiktive. Leoncavallo behauptete immer, dass die Geschehnisse von Pagliacci auf eine Jugenderfahrung zurückgehen, doch es gab auch eine andere, wichtigere Quelle, nämlich das Schauspiel La femme de Tabarin. Plagiat also. Wir greifen dieses Spiel zwischen Wirklichkeit und Fake auf und treiben es weiter, spitzen es zu: Da, wo man denkt, es wäre Realität, mag es gespielt wirken und umgekehrt.
Durch einen Frauenschrei wird schließlich verkündet, dass Turridu tot sei. Gibt es am Schluss neben einer verbalen auch eine emotionale Auflösung? Inwieweit spielt hier die Moral eine Rolle, da der Fremdgänger für sein Vergehen mit dem Tod büßen musste?
Das Packende an dieser Oper ist gerade das Fehlen einer solchen Auflösung. Ein Schrei verkündet: „Man hat Turridu getötet!“ – interessanterweise wird hier nicht der Nebenbuhler Alfio genannt, sondern das Kollektiv steht für den Totschlag. Und zur Frage der Moral sei gesagt, dass die Rituale, Verbote, Gesetze den Rahmen vorgeben sollen, damit moralisches Verhalten gewährleistet ist, doch das wird vom ersten Ton der Oper negiert. Nicht umsonst singt Turridu bereits zu Beginn von Blut, das vom Türrahmen tropft. Die Moral ist eine bloße Erinnerung, Fiktion. Wenn sich der Vorhang hebt, bekommen wir als Zuschauer nur mehr die Konsequenzen einer Handlung gezeigt, die selbst längst abgelaufen ist. Die Figuren können den Emotionen nicht entkommen, die Rituale übernehmen die Handlung. Diese Oper erhebt dabei keinen moralischen Zeigefinger oder beantwortet die Frage von Schuld, stattdessen zoomt sie in ein Dorf und zeigt die Möglichkeit eines Sterbens.
Premiere: Sa., 29. September, 19.30 Uhr