Unter dem Motto BRÜCKEN:BAUEN setzt Michael Nemeth in seiner zehnten Spielzeit 2018/2019 Schwerpunkte, die Genres, Gattungen und Generationen dramaturgisch verbinden. Im Interview spricht er über Höhepunkte, Zukunftswünsche und Gelungenes der kommenden Saison.
Text: Lydia Bißmann / Stefan Zavernik
Sie sind seit einer Dekade Generalsekretär und künstlerischer Leiter des Musikvereins, vor allem um den Zugang der Jugend zur klassischen Musik haben Sie sich stetig bemüht. Gibt es weiterhin Visionen?
Michael Nemeth: In unserem Job muss es Visionen geben, sonst brauchen wir gar nicht weiterzuarbeiten. Der Musikverein ist eine Institution, die es schon seit 203 Jahren gibt. Tradition ist somit naturgemäß wichtig, aber unsere Aufgabe ist es, das Rad weiter in die Zukunft zu drehen. In den nächsten Jahren werden wir auch weiterhin das Tor zur internationalen Musikwelt offenhalten. Aber wir wollen auch eine wichtige Plattform sein, um junge Talente zu präsentieren. Weiters möchten wir noch mehr Jugendliche für die Klassik begeistern oder ihnen zumindest die Schwellenangst vor klassischen Konzerten nehmen. Wir merken an den verkauften Restkarten für Studierende und Schüler, dass zunehmendes Interesse besteht. Das war, als ich begonnen hatte, noch nicht so.
Der Musikverein ist auch für das regelmäßige Engagement von Weltstars berühmt. Wie schwierig ist es, Größen wie Anna Netrebko an Land zu ziehen?
Es ist gar nicht schwierig, es ist die Belohnung unserer Arbeit. Ich besuche regelmäßig Konzerte und suche danach das persönliche Gespräch mit den Künstlern. Man muss die Künstler auf Graz neugierig machen. Wir haben zwar keine Salzburger Festspiele oder Bundestheater hier, brauchen uns aber nicht zu verstecken. Der Stefaniensaal mit seiner wunderbaren Architektur und Akustik und die gute Betreuung ist ein großes Aushängeschild für uns. Das spricht sich herum. In den letzten zehn Jahren konnten wir unsere Reputation weiter ausbauen. Dieser Kreis an weltbekannten Künstlern trifft sich regelmäßig bei großen Produktionen oder Festivals. Da wird auch beim Abendessen miteinander gesprochen. Wenn einer noch nicht im Stefaniensaal war, fragt er nach. Bekommt er dann die Auskunft „schöne Stadt, toller Raum, super Akustik, tolles Publikum“, hilft uns das weiter.
Gibt es in diesen Künstlerkreisen Personen, die Sie noch gerne nach Graz bringen möchten?
In den letzten Jahren ist tatsächlich das Who is Who der klassischen Musik in Graz aufgetreten. Ein großer Wunsch von mir wäre, öfters internationale Orchester einzuladen, aber da scheitert es an der Finanzierung. Ich würde sehr gerne das Bayerische Rundfunkorchester einladen oder die Berliner Philharmoniker. Das ist aber nur mit intensivem Zusatzsponsoring oder extrem teuren Karten möglich – beides ist schwierig. Ich bin kein Freund von teuren Karten.
Neben dem Kartenverkauf sind es vor allem Sponsoren aus der Wirtschaft, die die Tätigkeit des Musikvereins ermöglichen. Bei Ihrem Amtsantritt haben Sie sich sehr darum bemüht, die Steiermärkische Sparkasse als Hauptsponsor zu gewinnen. Was ist das Besondere an dieser Zusammenarbeit?
Die Steiermärkische Sparkasse war durch den Stefaniensaal, der wie das Opernhaus durch sie errichtet worden ist, von Anbeginn an mit im Boot. Durch die geografische Nähe und die Verwurzelung in der Historie liegt es nahe, dass man nicht österreichweit nach einem Großsponsor sucht. Es geht nicht nur ums Geld, es geht auch um logistische Angelegenheiten, wie das Mieten des Kassenlokals gegenüber.
Was sind die Rosinen und Geheimtipps im Programm der 204. Saison des Musikvereins?
Die Highlights nächstes Jahr sind natürlich Anna Netrebko, Elina Garancˇa, Juan Diego Flórez, Leo Nucci. Aber es gibt noch ungefähr 35 andere Programme, die ganz speziell sind. Zu Saisonbeginn setzen wir ein wichtiges Zeichen für Menschenrechte und Jugend. Eines der wichtigsten Festkonzerte ist das Konzert für Menschenrechte mit dem von Oksana Lyniv gegründeten Jugendsinfonieorchester der Ukraine. Die Jugendlichen stammen aus den östlichen und westlichen Teilen der Ukraine – viele davon kommen aus dem Kriegsgebiet.
Orchester gehören zu einem wichtigen Fixpunkt der Programmzyklen des Musikvereins. Worauf dürfen sich Orchesterfreunde in den nächsten Monaten freuen?
Im Orchesterkonzert-Zyklus spielt die junge, engagierte Chefdirigentin Oksana Lyniv, deren Stern europaweit soeben im Aufsteigen ist, eine große Rolle. Im Juni wird sie mit den Grazer Philharmonikern Werke des russischen Komponisten Alexander Skrjabin aufführen. Die Prometheus-Sinfonie mit einer Lichtorgel ist für mich ein Highlight im Abonnement. Klänge in Lichtstimmungen zu übertragen ist für uns heutzutage durch Computer selbstverständlich. Damals musste man dafür ein eigenes Lichtklavier entwickeln. Wir versuchen, dieses Farbenklavier zu rekonstruieren. Ebenfalls ums Licht geht es bei der Kooperation mit der Kunstuniversität Graz im März. Begonnen wird mit einem Chorstück von Gyögry Ligeti im Dunkeln. Dann folgen Béla Bartóks Konzert für Celesta und die 2. Sinfonie von Mendelssohn. Mit jedem Stück wird es heller im Saal. Im November wird es eine Aufführung der großen Totenmesse von Hector Berlioz geben. Sie hat den Mythos der Unaufführbarkeit, weil sehr viele Mitwirkende gebraucht werden. Ich glaube bei der Originalbesetzung waren es 400 Musiker samt Chor. Uns ist jetzt eine sehr kluge Reduktionsfassung gelungen, wo kein Ton weggelassen wird. Wichtig ist auch noch die Rückkehr von Adam Fischer, der seit dem Jubiläumsjahr Ehrenmitglied bei uns ist.
Wo finden sich sonst noch Spuren von Beethoven, dem großen Wegbereiter der Romantik, im Programm 2018/2019?
Rudolf Buchbinder wird seinen Zyklus der Beethoven-Klavierkonzerte abrunden. Die Beethoven-Gala mit Daniel Barenboim ist in mehrerer Hinsicht interessant. Beethoven ist Ehrenmitglied des Musikvereins und hat sich als großer Menschenfreund und Humanist auch für Menschenrechte engagiert. Barenboim ist außerdem Träger des Grazer Menschenrechtspreises.
Was war Ihnen bei der Auswahl der Künstler, die bei den Solistenkonzerten und Liederabenden auch diese Saison wieder im Rampenlicht stehen, wichtig?
Einer der wichtigsten und spannendsten Pianisten derzeit ist sicher Daniil Trifonov. Der 27-Jährige hat zuletzt für seinen Auftritt bei den Salzburger Festspielen viel Lob geerntet. Das Duo BartolomeyBittmann ist ein sehr guter Brückenbauer zwischen den verschiedenen Genres – von der Klassik bis zum Pop. So können wir bei den Solistenkonzerten auch einmal einen völlig anderen Stil bringen. Bei den Liederabenden ist uns die Bandbreite nicht nur durch die Stimmlagen, sondern auch durch die unterschiedlichen Persönlichkeiten der Künstler ein Anliegen. Tomasz Konieczny ist heuer Residenz-Künstler, im September wird er drei Mal zu hören sein. Er feierte aktuell sehr große Erfolge in Bayreuth – in der Wiener Staatsoper gibt er immer den Wotan. Mit erst 45 Jahren hat er schon die Reife für diese schweren Partien. Auch Mauro Peter glänzte kürzlich als Tamino bei den Festspielen in Salzburg. Debütieren wird bei uns der Oberösterreicher Günther Groissböck.
Kammermusik gilt als intimste Form des Musizierens und kommt ohne Dirigent aus. Was sind die großen Momente dieser Reihe im kommenden Aufführungsjahr?
Aus dem Kammermusikzyklus möchte ich zwei Dinge hervorheben: Einerseits das Belcea Quartet – es wird in den nächsten drei Jahren alle Beethoven-Streichquartette spielen. Andererseits das Projekt Great Talent mit dem Wiener Konzerthaus: Das Jugendförderungsprogramm verfolgt das Ziel, Künstler zu unterstützen, die noch nicht so bekannt sind. Einer davon ist der Geiger Emmanuel Tjeknavorian. Er wird mit anderen Great Talents bei uns auftreten.
Das Konzert-Format Amabile bietet schon sehr kleinen Kindern die Möglichkeit, mit dem Zauber eines klassischen Konzerts in Berührung zu kommen. Womit werden Sie in dieser Spielzeit die Herzen der jüngsten Klassikfans für sich gewinnen?
Das Amabile-Chorkonzert für Kinder im Juni ist mir besonders wichtig. Bei Young Voices werden verschiedene Chöre im Stefaniensaal bei ausgeräumten Sesselreihen auftreten. Die Aktion passiert mitten im Saal, die Besucher können völlig ungezwungen stehen, die Kinder auf Sitzkissen sitzen. Damit wollen wir gegen Ende der Saison noch einmal die Jugend ansprechen. Da wird die Klammer zum Beginn, wo das Jugendsinfonieorchester auftritt, wieder geschlossen.
Höhepunkte Musikverein 2018/2019
Konzert für Menschenrechte II, 18.10.2018
Daniil Trifonov, 5.10.2018
Anna Netrebko, 11.11.2018
Berlioz „Grande messe des morts“, 26./27.11.2018
Great Talent, Kammerkonzert, 14.2.2019, 25./26.2.2019
Rudolf Buchbinder 27.2.2019
Mauro Peter, 13.3.2019
Belcea Quartet, 14.3.2019
Christoph Altstaedt, Chor und Orchester der KUG, „Per aspera ad astra“, 25., 26. 3. 2019
Franz Schmidt, Symphonie Nr. 2, 29./30. April 2019
Günther Groissböck, 22.5.2019
Elina Garanca, 7.6.2019
Alexander Skrjabin, „Prométhée. Le Poème du feu“, 17./18.6.2019
Young Voices, Kids go Prom, 13.6.2019
Die Konzerte beginnen jeweils um 19.30 Uhr; Amabile um 15 Uhr, gespielt wird im Stefaniensaal (Congress Graz)
Karten: Konzertkasse, Sparkassenplatz 2, Mo 9–18 Uhr, Di–Fr 9–15 Uhr
www.musikverein-graz.at, 0316 822 455