Von Aschermittwoch bis Karfreitag wird die Installation „THE HOLLOW MEN” von Ivana Radovanovic´ in der Andräkirche zu sehen sein. Die Ausstellung wurde vom Kultum kuratiert und fügt sich nahtlos in die Tradition von „Andrä Kunst” ein.
Text: Lydia Bißmann
Ivana Radovanovic´ wurde 1983 in Titograd, dem heutigen Podgorica, der Hauptstadt Montenegros geboren. Sie studierte bis 2009 an der Faculty of Fine Arts in Cetinje – unter anderem Bildhauerei bei Pavle Pejovic. Neben vielen Auszeichnungen, Stipendien und Teilnahmen an nationalen und internationalen Ausstellungen durfte sie 2017 ihr Heimatland Montenegro auf der 57. Biennale von Venedig (VIVA ARTE VIVA) vertreten. Ein wichtiger Meilenstein in der vielversprechenden Karriere der Künstlerin, die dafür am ersten Open Call für die Kunstbiennale teilnahm.
Veränderung als Kunstkonzept
Seit mehreren Jahren arbeitete sie an ihrem Projekt The Hollow Man. Die Arbeit, die im Wesentlichen aus drei Teilen besteht, umfasst nicht nur Objekte, sondern bezieht den Transformationsprozess als eigenen Teil in das Werk mit ein. „Ich bin hauptsächlich an den einzelnen Schichten und der Entstehungsgeschichte meiner Arbeit interessiert. Das Innere, das nicht Sichtbare einer Form ist für mich genauso wichtig wie das Äußere, das Sichtbare. Die Vergänglichkeit meiner Materialien macht mir nichts aus, weil Vergänglichkeit ja die Essenz von allem Lebendigen ist. Mir geht es darum, die Wahrheit über das Leben herauszufinden. Die heilige Dreifaltigkeit zwischen Leben, Tod und Kunst.” Am Anfang standen 27 überlebensgroße Skulpturen aus archaischen Materialien wie Jute, Stroh, Wolle und auch Fischernetzen. Nach einem sorgfältigen und aufwendigen Prozedere der Anfertigung, des Nähens, Ausstopfens und Aufhängens wurden die Strohpuppen, die ein wenig an den Gingerbreadman ohne Gesicht erinnern, in einer Performance verbrannt. Die verbleibende Asche, die die Arbeit der letzten sieben Jahre enthält, wird in einem durchsichtigen Glaskubus verwahrt. Die gläserne Urne und ein Video des Verbrennungsaktes wurden auf der Biennale in Venedig gezeigt. Ab Aschermittwoch wird die Installation, ein Sequel der Aktion The Hollow Man, in der Andräkirche in Graz zu sehen sein. Die Glasurne wird im Kirchenraum positioniert und von Versen aus T. S. Elliots Gedicht Die hohlen Männer begleitet. Wie auch der Lichtschalter Rocket Switch über dem Kircheneingang, der 2010 von Valentin Ruhry angebracht wurde und nachts phosphorgrün erstrahlt, werden die ersten Zeilen des Poems im Dunkeln leuchten. „Wir sind die hohlen Menschen, wir sind nur ausgestopft und lehnen Kopf an Kopf, die strohgefüllten. O je! Auf diese Art geht die Welt zugrund, nicht mit einem Knall: mit Gewimmer.“
Erweiterung des White Cube
Vor zehn Jahren hat der Künstler Michael Kienzer in der Andräkirche ein Fenster mit sieben Flachbildfernsehern versehen. Damals zeigte er dort eine von ihm konzipierte Kombination von Farbeinstellungen. Die Installation zwischenbild wurde aber auch zur Weiternutzung für andere Künstler entworfen. Hier wird ab 6. März das Video der Verbrennungsaktion von Ivana Radovanovic´ Video abgespielt werden. Besser kann sich ein Werk kaum in einen Umraum einfügen. Eingeladen wurde die montenegrinische Künstlerin vom Kurator des Kultum, Johannes Rauchenberger. Die vom jetzigen Bischof Hermann Glettler ins Leben gerufene Kunstkirche St. Andrä fungiert hier auch als externe Ausstellungsräumlichkeit für das Kulturzentrum bei den Minoriten. Der Kontakt mit dem Kultum entstand im September 2017, als Ivana Radovanovic´ im Rahmen ihres Stipendiums AIR Cultural City Network einen Monat in Graz verbringen durfte. Diesen Winter bzw. Frühling hat sie ein Stipendium in New York. Graz ist ein willkommener Zwischenschritt dafür.
Liebe versus Sport
„Die Kunst selbst ist eine Art von Religion. Eine Kirche oder Plätze, die zu einer Kirche gehören, sind die perfekte Umgebung für meine Arbeit”, meint Radovanovic´ begeistert. Eine Arbeit, die nicht nur sehr viel Mühe, Zeit und logistische Organisation von ihr abverlangte, sondern auch sehr viel Entschlossenheit und Mut, die es braucht, um das umfangreiche Werk im Zwischenschritt den Flammen preiszugeben. Aber es sind die Stadien der Veränderung und die dadurch entstehenden Emotionen und Denkanreize, die für Ivana Radovanovic´ von künstlerischem Interesse sind. „Wenn man Dinge erschafft, die Leben in sich tragen und dieses auch weiter transponieren können, dann wird man Teil der heiligen Dreifaltigkeit. So wird Kunst lebendig. Das ist eine Verpflichtung, die jeder Künstler zu erfüllen hat. Liebe ist das Wesen der Kunst – alles andere ist Sport.” Eine wichtige Dreiecksbeziehung ist für die Künstlerin vor allem die Beziehung zwischen Künstler, Werk und Betrachter. Sie macht es den Rezipienten nicht schwer – ihr Werk inspiriert und regt zwar zum Nachdenken an, ist aber weder verkopft noch kompliziert. Lebendig und sinnlich erfahrbar sind ihre Werke in allen Stadien, die über die Filmdokumentation zu sehen sind. Die großen, baumelnden Figuren aus kratzigem Material wirken trotzdem zärtlich und auch ein wenig traurig. Die Bilder und Videosequenzen der Flammen, in denen sie aufgehen, sind einerseits bedrohlich, weil sie an Fernsehbilder von Zerstörung und Attentaten erinnern. Auf der anderen Seite kann man sich ihrer Anziehungskraft kaum entziehen. Feuer hat etwas Magnetisches.
Asche als Zeichen für Neubeginn
Feuer steht nicht nur für Zerstörung, es transportiert Wärme, Licht und ist ein Signal- und Versammlungspunkt. Die Verwandlung ihrer Skulpturen in Asche war deshalb auch als Happening, als Anlass, Menschen zusammenzubringen, angedacht. Automatisch muss man dabei an das Wüstenevent in Nevada, das Burning Man Festival, denken. Im Zuge einer ausgiebigen Party wird hier alljährlich eine überdimensionale, selbst errichtete Statue verbrannt. Der Gründer des Festivals wollte damit vor fast 30 Jahren seinen Liebeskummer bekämpfen. Das Verbrennen von Liebesbriefen oder Andenken an eine einst geliebte Person ist kein unübliches Ritual, um sich weiterzuentwickeln, wenn die Liebe zu Ende ist. Es steht für einen Neubeginn, der das Vergangene nicht zwingend schlechter macht, als es war. Kunstinterventionen oder Kunstinstallationen mit dem Beginn der Fastenzeit, dem Aschermittwoch, zu verbinden und zu integrieren, hat in der Pfarre St. Andrä Tradition. Der Gottesdienst am Aschermittwoch ist eine Erinnerung an die Sterblichkeit des Menschen. Das Aschenkreuz, das Gläubigen auf die Stirn gemalt wird, besteht aus den geweihten Palmzweigen vom Vorjahr. Künstler wie Peter Manhal (open end, 2000) oder Gustav Troger (Der Maler als Skulptur – Hermann Nitsch als Projektionsfläche, 2005) Michael Gumhold (Fastentuch aus Audio-Kassetten, 2006) oder Klaus Dieter Zimmer (Fastentuch aus persischen Zigarettenpackungen, Tschick und Politik, 2016) wurden regelmäßig eingeladen, den Auftakt zur 40-tägigen Fastenzeit künstlerisch zu gestalten. Unter dem Titel „Andrä Kunst“ stellt die Pfarre Kulturschaffenden ihre Räumlichkeiten zur Verfügung. Bewusst nicht als statisches Museum, sondern als einen Ort, wo Kirche und Spiritualität auf dynamische Weise mit zeitgenössischer Kunst in Interaktion treten kann. Wo die Kunst ihrer wichtigsten Aufgabe, der Vermittlung von menschlichen Emotionen und der Vermittlung zwischen den Menschen in greifbarem, würdigem, aber keinesfalls elitärem Rahmen nachgehen kann.
Ivana Radovanovic´: „Wir hohlen Menschen“
Kirche Graz-St. Andrä, Kernstockgasse 9, 8020 Graz
Aschermittwochsliturgie mit HS Alois Kölbl: Mittwoch, 6.3.19, 19 Uhr