Ende März gastiert Herbert Grönemeyer im Rahmen seiner „Tumult“-Tour in der Stadthalle Graz. Im Interview gibt der Superstar Einblicke in die Gedankenwelt hinter seinem aktuellen Album, spricht über das Gefühl auf der Bühne und darüber, was es heißt, Erfolg zu haben.
Text: Stefan Zavernik
Die meisten Menschen kennen Herbert Grönemeyer als Star im deutschsprachigen Musikbusiness. Können Sie sich eigentlich selbst noch erinnern, wie der erste große Erfolg über Sie hereinbrach? An den ersten großen Höhepunkt in Ihrer heute 40-jährigen Karriere?
Bochum war aufgrund der Wucht des Erfolges schon ein absoluter Höhepunkt. Ich bin damals jeden Tag zur Plattenfirma gefahren und hab dort Grappa aus Pappbechern getrunken. Täglich hieß es, heute 4.000 Platten verkauft, heute 18.000 Platten verkauft, heute 15.000 Platten verkauft. Das Irre daran war: Das Presswerk der Plattenfirma war auf demselben Gelände. Unten wurde gepresst und oben hieß es, wie viele Alben heute schon wieder rausgeschickt wurden. Das ist heute gar nicht mehr nachvollziehbar. Und ich saß da – bis dahin ein erfolgloser Künstler – und mit einem Schlag war alles anders. Auch das Lied Männer – das kann man sich heute nicht vorstellen – wurde damals noch gar nicht im Radio gespielt. Kein Mensch spielte Männer, es hieß vielmehr: „Der singt ja total komisch!“ Und dann die Tournee dazu, „Sprünge“. Wir wussten nicht mehr, wo wir waren, wie wir hießen, alle waren voll drauf und wir fühlten uns wie die Wonder-Popstars. Die Dynamik der 80er war großes Kino.
Wie viel gibt Ihnen das Gefühl auf der Bühne heute? Wie fühlt es sich an, nach all den Jahren?
Das Spielen auf der Bühne, der Applaus und alles, was dazu gehört, hat schon etwas von einer Körperlichkeit gemeinsam mit dem Publikum. So spüre ich das auch. Dieses emotionale Zusammenkommen an einem Abend. Das ist wie eine Droge. Seitdem ich Musik mache, ist dieser Zuspruch der Menschen ein Elixier. Du suchst dir dabei die Gesichter, wo dir was zurückgespielt wird. Und versuchst sie weiterzubegeistern.
Tut es gut, nach einer Tournee eine Zeit lang keine Bühnenauftritte vor sich zu haben?
Sich von der Bühne auch wieder zurückzuziehen ist grundsätzlich gut, weil man sich wieder erden kann. Aber wenn ich es stimmlich hinkriegen würde, könnte ich gut mal vier Monate auf Tour sein. Weil dieses Verspielte – im Grunde ist es ja wie spielen, wie ein kleiner Junge Fußball zu spielen, dem die Eltern applaudieren –, das ist ein Glück. Wir Künstler spielen für uns, und die Leute freuen sich. Das macht einfach einen Heidenspaß.
Nach den riesigen Erfolgen in den 80ern kamen die 90er. Hier durchlebten Sie privat sehr schwierige Zeiten. Nach dem Tod Ihres Bruders haben Sie auch Ihre Frau verloren. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?
Die 90er waren schwer. Mensch hab‘ ich gar nicht so richtig wahrgenommen. Das war mehr eine Wolke. Bei Bochum war ich anwesend, bei Mensch ist alles einfach über mich hereingebrochen. Aufgrund der ganzen Situation, aufgrund all der Trauer. Ich musste schauen, wie alles weitergeht. Mich um die Kinder kümmern. Im Nachhinein frage ich mich, wie ich das so hingekriegt hab. Erst seit Schiffsverkehr bin ich wieder so weit, dass ich weiß, wie sich Musik anfühlt.
Welches Gefühl ist es, auch nach 40 Jahren als Musiker mit aktuellen Alben noch immer von großer Bedeutung zu sein?
Man freut sich natürlich riesig, dass man musikalisch noch da ist. Dass man noch Interesse erweckt. Und das Musikmachen selbst, gemeinsam mit der Band – das ist ein irres Glücksgefühl.
Ihre Songs waren oft politisch, daran hat sich bis heute nichts geändert. Wie sehen Sie unsere Gesellschaft heute? Ist sie den Herausforderungen gewachsen?
Wir sind uns der Herausforderung bewusst. Wir wissen, um was es geht. Wenn heute wer schreit, wir brauchen keine Immigranten mehr, bekommt er eine auf die Mütze. Und das ist wichtig so. Man muss gebetsmühlenartig immer wieder sagen, dass so etwas nicht geht, da wir so etwas nicht wollen. Als stabile Gesellschaft sagen wir: Das wollen wir heute nicht. Was also die Gesellschaft angeht, bin ich eigentlich relativ ruhig. Wir sind aufgeklärt, wir sind klug, wir haben verschiedene politische Ansichten. Aber ich unterstelle auch jedem klugen, klaren Konservativen, dass er alles andere ist als ein Rassist. Im Gegenteil. Er hat stabile Ansichten. Christliche Ansichten. Heute geht es um kulturelle Fragen. Über das haben wir uns eigentlich nie so richtig Gedanken gemacht. Meine Sorge ist nur, dass wir jetzt nervös werden. Das dürfen und brauchen wir nicht werden. Wir müssen die Ruhe behalten und uns Sorgen machen – aber es ist kein Grund, um nervös zu werden. Das ist meiner Meinung nach auch der Inhalt meines aktuellen Albums Tumult.
Im Tumult verliert man schnell einmal den Überblick. Verlieren wir das Positive aus den Augen? Ist das Album „Tumult“ als Augenöffner gedacht?
Wir gehen vernünftig miteinander um, sind respektvoll. Die Menschen suchen die Nähe zu einander. Das verlieren wir heutzutage viel zu leicht aus den Augen. In diesem Gewühl der heutigen Zeit habe ich versucht, eine Platte zu machen, die diese Elemente aus Wärme, Zuwendung und Glück einfängt. Damit man sich vor Augen hält, in welch komplexer, aber zugleich schönen Zeit und Gesellschaft wir heute leben.
Wie schwierig war es, das aktuelle Programm für die „Tumult“-Tournee zusammenzustellen?
Irre schwer! Erstmals geht man her und guckt sich das Programm der letzten Tour an. Dann schaut man sich an, wie lange die Konzerte dauern. In der Regel spielen wir so um die zweieinhalb Stunden, mit Zugaben. Die neue Platte muss gut integriert sein – hier haben wir insgesamt 18 Songs zur Verfügung. Wie viel wird man davon spielen? 8 Songs? Dann fallen schon einmal 8 weg – obwohl man die neuen Sachen liebt. Was nimmt man von der letzten Tour mit, was möchte man aus der Vergangenheit wieder einmal spielen? Gewisse Dinge muss man auch liefern. Und wie wird das Programm des Konzerts als Ganzes spannend? Es war schwierig.
Herbert Grönemeyer live am 30.3.2019, 20 Uhr in der Stadthalle Graz, Messeplatz 1