Anlässlich des 80. Todestages von Franz Schmidt krönen der Interpannonische Concertverein Graz gemeinsam mit dem Internationalen Franz-Schmidt-Chor und dem Orchester der Gesellschaft der Musikfreunde Wien die heurige Pfingstklang-Reihe. „Achtzig“ sprach mit dem musikalischen Leiter Alois J. Hochstrasser über die einzigartige Kooperation.
Text: Bettina Leitner
Nach dem hochklassischen Meisterwerk „Carmina Burana“ haben Sie sich im Rahmen des kommenden Pfingstklang-Programmes für „Das Buch mit sieben Siegeln“ von Franz Schmidt entschieden. Vielen Kulturbegeisterten ist dieses Werk jedoch unbekannt. Braucht das Publikum hier eine gewisse Vorbildung, um das Wesen und die Essenz dieses Oratoriums verstehen zu können?
Nein, denn die musikalische und auch die musiktherapeutische Wirkung dieses Stückes ist so enorm, dass das Publikum, wenn es sich darauf einlässt, von den kraftvollen und auch sinnlichen Klängen erfüllt wird. Die Musik berührt nämlich das Wesen jedes Einzelnen so individuell, wie auch der Mensch ist. Denken Sie beispielsweise auch an einen Van Gogh; wenn Sie im Museum direkt vor dem farbenprächtigen Gemälde stehen, dann wird es Sie vielleicht durch die Farben, den Stil oder auch ganz subtil berühren, ohne dass Sie über das Leben des Künstlers Bescheid wissen müssen. Den gleichen Effekt haben Sie auch in der Musik. Bei Franz Schmidt erwartet Sie ein Vulkan an Klängen, aber auch einstimmiger, sinnlicher gregorianischer Choral; das sind beides Elemente, die den Menschen ergreifen. Zugleich muss man sogar sagen, dass ein vorgebildetes Publikum oftmals hohe Erwartungen stellt, Vorurteile hegt, zu sezieren und analysieren beginnt und genau das stellt oftmals das größte Hindernis dar, das Stück einfach nur auf sich wirken zu lassen und genießen zu können.
Sie besitzen die Ehrenbürgerschaft der Franz-Schmidt-Gemeinde. Worin sehen Sie selbst die große Faszination an seinem Werk? Warum haben Sie sich entschieden, gerade „Das Buch mit sieben Siegeln“ aufzuführen?
Franz Schmidts Werke und besonders auch Das Buch mit sieben Siegeln erhalten ihren einzigartigen Charakter durch eine ganz besondere Kombination aus biografischem Hintergrund und seinem herausragenden künstlerischen Talent. Schmidt war ein Urmusiker. Er wurde 1876 als Sohn einer ungarisch-deutschen Familie in Pressburg geboren und sein Wirken fiel demnach auch in die Zeit der K&K-Monarchie, was sich auch kompositorisch auf sein Schaffen ausgewirkt hat. Diese Einflüsse waren gewaltig! Man darf auch nicht vergessen, dass seine eigentlichen Wurzeln bis zu Schubert reichen. Die gesamte Struktur seines Werkes geht zurück auf Bach, Beethoven, Brahms, Bruckner und auch Händel. Sie finden demnach wohl kaum ein anderes Werk, welches ebenso grandios die kontrapunktische Kompositionstechnik in verschiedenen Stilen beinhaltet wie Das Buch mit sieben Siegeln. Wir haben hier beispielsweise pompöse und gewaltige Fugen und Doppelfugen, wie etwa die Wasserfuge und die Posaunenfuge, die das Strafgericht und die Herrlichkeit des Himmels und Gottes darstellen, ein hymnisches 7‑stimmiges Halleluja, das ergreift. In direktem Anschluss daran steht als extremer Kontrast ein einstimmiger Männerchor, der stark an der Gregorianik des Mittelalters orientiert ist. Im Gesamten also ein einzigartig schillerndes und emotional packendes Gesamtkunstwerk.
Es handelt sich offenbar nicht nur um ein kompositorisch aufwendiges Werk, sondern auch die musikalische Umsetzung gestaltet sich sehr herausfordernd. Worin sehen Sie persönlich die größten Schwierigkeiten?
Die größten Herausforderungen bestehen in der Vorbereitung. Die zündende Idee für die zustande gekommene Kooperation zwischen dem Interpannonischen Concertverein, dem Internationalen Franz-Schmidt Concertchor und dem Orchesterverein der Gesellschaft der Musikfreunde kam ursprünglich aus Wien in Form einer Einladung. Da es sich hierbei um eine ganz einzigartige Zusammenarbeit handelt, wurde in dieser Konstellation zuvor auch noch nicht musiziert und das Orchester hat Das Buch mit sieben Siegeln auch noch nie gespielt. Die größte Herausforderung besteht für mich nun darin, die Ressourcen, die wir zur Verfügung haben, und die Proben zu nutzen, um die einzelnen Elemente – den Chor und das Orchester – in Einklang zu bringen. Es kommt uns auch zugute, dass wir mit einem überregionalen großen Chor zusammenarbeiten. Das sind künstlerisch sehr günstige Voraussetzungen, zumal die Sänger alles geben, da es auch für sie eine neue Situation ist und die Ambitionen dementsprechend hoch sind. Doch auch die persönliche Einstellung der einzelnen Sänger spielt hier meines Erachtens eine bedeutende Rolle. Denn zum Erfassen einer solchen Offenbarung, wie es in Franz Schmidts Oratorium der Fall ist, gehört ein Funken bescheidene Kindlichkeit dazu. Das Bibelwort „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder“ lässt hier einen ganz wesentlichen Aspekt in der gesanglichen Einstellung zur Umsetzung des Stückes anklingen: Der Sänger darf nicht glauben, er wisse alles, er muss auch mit einem Hauch an naiver Kindlichkeit an das Werk herangehen.
Das Stück steht im Kontext des Neuen Testaments, konkret der Apokalypsevision des Johannes. Worin sehen Sie hier Anknüpfungspunkte an die Gegenwart? Was davon ist vielleicht sogar heute noch aktuell und wie zeigt sich dies im Stück?
Das ist auch etwas Großartiges an diesem Werk: Das Geheimnis der Offenbarung geschieht alltäglich! Denken wir an die zahlreichen Waldbrände, den scheinbar nicht enden wollenden Syrienkrieg, Lawinen und sonstige eskalierende Naturgewalten. Bleiben wir beim Motiv der Überschwemmung: So hat Franz Schmidt hier eine einzigartige Fuge komponiert, die sogenannte Wasserfuge. Die existenziell bedrohliche Situation spitzt sich instrumental gestaltet immer weiter zu und steigert sich scheinbar unaufhaltsam zu einem Höhepunkt. Und hier, an einem überwältigenden Moment voller emotionaler Ergriffenheit, endet dann plötzlich der erste Teil mit der Frage „Wer kann da bestehen? Wer?“, und das Publikum wird – wahrscheinlich nachdenklich und bewegt – in die Pause entlassen. Außerdem zeichnet sich das gesamte Werk durch einen enormen Kulturwert aus. In der heutigen Welt leiden wir zunehmend an einer progressiven Reizüberflutung, was sich auch darin äußert, dass uns auch die Musik, die wir täglich hören, „reizen“ muss. Mit dieser Einstellung kann man sich aber einem Beethoven oder einem Schmidt nicht nähern. Klassische Stücke sind sensitiv und intellektuell stets herausfordernd und keineswegs so reflexionslos zu konsumieren wie beispielsweise die schnelllebige Popmusik. Damit dieses wertvolle Kulturgut und damit auch die musikalische Feinfühligkeit der Menschen nicht verloren geht, müssen wir diesen Stücken wieder vermehrt Aufmerksamkeit schenken, sie beleben und ins Programm integrieren.
Mit dem „Buch mit sieben Siegeln“ heuer und den „Carmina Burana“ im letzten Jahr bieten die Pfingstklänge ein exklusives Programm. Können Sie uns schon verraten, wohin die musikalische Reise im nächsten Jahr gehen soll?
2020 ist ein Beethovenjahr. Dieser Vorgabe möchte ich mich auch anschließen und als thematischen Schwerpunkt die Missa solemnis Beethovens aufführen. Abgesehen davon soll es wie beim heurigen Pfingstklang einen Abend mit reiner Volksmusik geben, der in Kooperation mit der Musikhauptschule Weiz gestaltet wird. Wie zuvor schon angemerkt, kommt es leider heute immer mehr zur Umwälzung musikalischer Genres – auch in der Volksmusik. Vieles ist mittlerweile kontaminiert und so ist „Jazz“ beispielsweise meist kein Jazz im eigentlichen Sinne mehr. Doch durch die Zusammenarbeit mit der MMS Weiz stehen uns ein fabelhafter Jugend-Auswahlchor und in Zusammenarbeit mit dem Volksmusikinstitut des Johann-Joseph-Fux-Konservatoriums des Landes Steiermark eine hervorragende Volksmusikgruppe zur Verfügung, in Verbindung mit einer Lesung der bekannten Schriftstellerin Andrea Sailer. Weiters möchte ich den Fokus weiterhin auch auf die klassische Kammermusik lenken. So wird unter der Patronanz der Wiener Mozartgemeinde und ihrer Präsidentin Barbara Moser der klassischen Kammermusik als Kontrapunkt zu den chor-symphonischen Werken ein ganzer Abend gewidmet.
Franz Schmidt „Das Buch mit sieben Siegeln“
Leitung: Alois J. Hochstrasser
Internationaler Franz-Schmidt-Chor, Orchester der Gesellschaft der Musikfreunde Wien, Interpannonischer Concertverein Graz-Steiermark
Congress Graz – Stefaniensaal, Di 11.6.2019, 19 Uhr (Sparkassenpl. 1, 8010 Graz)
Kunsthaus Weiz, Mo 10.6.2019, 19 Uhr (Rathausgasse 3, 8160 Weiz)
Goldener Saal des Wiener Musikvereins, So 23.6.2019, 11 Uhr (Musikvereinsplatz 1, 1010 Wien)
Kartenverkauf: Zentralkartenbüro, Ticketzentrum Graz, www.oeticket.com und in allen Ö-Ticket-Vorverkaufsstellen, ab Mitte April beim Musikverein, www.musikverein.at