Mit „Die Gruabn / Das Herz von Sturm“ widmet sich das GrazMuseum ab 25. April einem Stück österreichischer Fußball-Zeitgeschichte und öffnet das Feld auf spannende Weise einem breiten Publikum.
Text: Pia Moser
Vom Schlangenbeschwörer in der Mannschaftskabine bis zum Mäusefänger am Spielfeld. Viele Mythen ranken sich um das ehemalige Stadion von Sturm Graz: die Gruabn. Weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt, charakterisiert eine bewegte Historie den im Jahr 1919 am Jakominigürtel gegründeten Sportplatz. Denn zwischen sportlichen Triumphen und Niederlagen stößt man hier bei näherer Betrachtung auf gesellschaftliche Momentaufnahmen aus einem Graz des 20. Jahrhunderts. 2019 treffen nun zwei Jubiläen aufeinander: 110 Jahre SK Sturm Graz und 100 Jahre Gruabn. Dem traditionsreichen Sturmplatz widmet sich das GrazMuseum ab 25. April in seiner neuen Schau Die Gruabn / Das Herz von Sturm. Die Idee für die Ausstellung kam von Martin Behr, der sich seit einiger Zeit im Rahmen der Publikation Mythos Gruabn – 100 Jahre Sturmplatz (hg. von Martin Behr, Herbert Troger und Christian Wiedner) mit der Thematik auseinandersetzt. Gemeinsam mit Museumsdirektor Otto Hochreiter, Kuratorin Martina Zerovnik und Kurator Emil Gruber sowie den wissenschaftlichen Mitarbeitern Herbert Troger und Christian Wiedner hat sich sogleich ein Team aus Sturm-Spezialisten und (Laien-)Fans formiert, das mit der neuen Schau die Rolle des Grazer Kultstadions im urbanen Leben und emotionalen Bewusstsein der Fußballfans beleuchtet.
Dicht an dicht
„Die Gruabn ist das letzte Relikt einer längst vergangenen Fußballzeit“, sagt Martin Behr. In den Anfangsjahren des ehemaligen Sturmplatzes waren die Spieler noch berufstätig. Sie kamen mit dem Fahrrad zum Training, das nur zweimal in der Woche stattfand. „Damals waren es noch keine tätowierten, schönfrisierten Fußballstars mit Privatjets“, weiß Behr. Der Verein bildete sich aus Lehrlingen, Studenten und Arbeitern, die ursprünglich im Grazer Augarten gespielt hatten. Als im Jahr 1909 der tschechische Klub DBC Sturm Prag in Graz gastierte, war die Namensgebung kurzerhand beschlossen und der SK Sturm Graz gegründet. 1919 pachtete Vereinsleiter Karl Assmann für sein Team die Klosterwiese neben dem ehemaligen Trabrennplatz. Mit einem 14:0-Sieg gegen den SAK 1914 wurde die Gruabn gebührend eingeweiht.
„An der Geschichte des Platzes erkennen wir, wie sich eine wilde, staubige Piste zu einem funktionierenden Fußballplatz entwickelt hat“, so Kurator Emil Gruber. Ein Spielort, der nicht ohne Makel war: Wegen der schwierigen Bodenverhältnisse und der Platznot am gesamten Areal war die Gruabn bei den Gegner-Vereinen gefürchtet. Die Sicherheitszonen moderner Stadien gab es längst noch nicht, wodurch das Publikum ungewöhnlich nah am Spielfeld war. „Ein Verein aus Wien etwa musste sich in der Gruabn völlig umstellen“, erklärt Kuratorin Martina Zerovnik. „Aufgrund der Enge am Platz kamen auch die Emotionen der Fans geballter an. Das konnte durchaus irritieren.“ Die Gruabn war ein Ort der Nähe. Durch und durch. Das führte so weit, dass aufgrund der begrenzten Nasszellen die Spieler beider Mannschaften gemeinsam mit den Schiedsrichtern duschen mussten.
Emotionen einer Männerwelt
Gerade das Gemeinschaftsgefühl kreierte den besonderen Charme des ehemaligen Sturmplatzes. Im historischen Kontext zeigt sich am Beispiel der Gruabn auch die Veränderung des Fußballs als Gesellschaftsphänomen: Was brachte Menschen seinerzeit auf den Platz? Ging es wie heute vorwiegend um Wettkampf und Spiel? „Mehr als das“, meint Emil Gruber. „In der Geschichte der Gruabn geht es vor allem um soziale Momente, die weit über den Fußballrahmen hinausreichen.“ Insbesondere in der Männerwelt hatte der Platz eine wichtige Funktion. In der Anfangszeit waren mehr als 90 Prozent der Besucher männlich, hier konnte Mann seinen Emotionen freien Lauf lassen. „In der Gruabn wurde er vom Kind zum Mann sozialisiert. Er hörte die ersten Beschimpfungen und frauenfeindlichen Ausdrücke, nur hier durfte er Tränen zeigen“, erklärt Kurator Martin Behr. Über Jahrzehnte hinweg war die Gruabn für Fußballfans aus der ganzen Steiermark – im Laufe der Zeit auch zunehmend für Frauen – ein beliebter Ort des sozialen Lebens. Nicht selten war der Platz total überfüllt, insbesondere in der Nachkriegszeit. Fotoaufnahmen geben Einblick in die Geschichte: Das Publikum auf der Sitztribüne verfolgt das Spiel in feiner Sonntagskleidung. Menschenmassen drängen sich bei ausverkauften Turnieren an den Zäunen des Areals oder beobachten das Match von der Feuertreppe des Hochhauses am Hafnerriegel aus.
Das „Gruabn-Feeling“
Nicht nur Fußballfans sollen ab 25. April im GrazMuseum die besondere Atmosphäre der Gruabn spüren. Die Gruabn / Das Herz von Sturm ergründet den historischen Platz entlang der Bereiche „Feld“, „Tribüne“, „Kabine“ und „Stadt“. Ein dichtes Netz unterschiedlichster Impressionen spannt sich über das gesamte Erdgeschoß des Museums bis in die Gotische Halle: unveröffentlichte Fotodokumente aus der Frühzeit, Originalrelikte aus der Gruabn, Devotionalien von Fans, künstlerische Beiträge, Dressen, Wimpel, Pokale und auch neue Erkenntnisse aus der Vereinsgeschichte. Einen Kern der Ausstellung bilden Fotografien von Friedrich Fischer, der die Sturm-Spiele ab der Nachkriegszeit regelmäßig verfolgte. Sein Archiv mit rund 30.000 Fotos wurde 2018 vom Verein übernommen. Ausgewählte Bilder zeigen spektakuläre Spielszenen, jubelnde Menschen auf der Tribüne, Hintergrundszenen aus der Kabine, den Platz im Schneegestöber. Das Material führe weg von der traditionellen Sportfotografie und erinnere dabei an französische Fotografen wie Henri Cartier-Bresson, womit man auch Fotografie-Interessierte ansprechen will: „Die schönsten Momente sind keine klassischen Spielsituationen. Die Poesie der Schwarz-Weiß-Aufnahmen mutet fast ballettartig an“, meint Emil Gruber. Nicht zuletzt verdeutlicht die Ausstellung auch den markanten Wandel der Fankultur: In den Anfangsjahren sah man nur vereinzelt Fahnen auf den Zuschauertribünen wehen. Die wenigen Fan-Artikel waren im Gegensatz zur heutigen Merchandising-Kultur noch selbstgebastelt. Choreografien und Gesänge ersetzten erst ab den 80er-Jahren, mit der Entstehung der ersten Fanklubs, die einzelnen unkoordinierten Rufe aus dem Publikum. Und erst als das „Boygroup-Phänomen“ Anfang der 90er-Jahre auch im Sport Einzug hielt, entdeckten verstärkt junge Frauen die Gruabn für sich.
Der Abpfiff
Besondere Momente gab es in jeder Epoche. Wie etwa 1921 das spektakuläre Länderspiel gegen Schweden, bei dem Spieler von GAK und Sturm eine Mannschaft bildeten. Der sportliche Höhepunkt des Vereins erfolgte jedoch erst unter Trainer Ivica Osim gegen Ende der Gruabn-Zeit, betont Martin Behr: „Man spürte, dass um die Generation an Spielern wie Vastic´, Mählich, Reinmayr und Co. etwas Großes im Entstehen war. Es war nur eine Frage der Zeit.“ 1997 übersiedelte der Verein schließlich in das neu erbaute Liebenauer Stadion, bereits im ersten Jahr wurde der SK Sturm Graz österreichischer Meister und qualifizierte sich damit erstmals für die Champions League. Denkt man an das hochprofessionalisierte Fußballstadion von heute, ist es nur schwer vorstellbar, dass die zeitweise desolate Anlage Jahrzehnte als Sturm-Heimstätte überdauerte. Heute wird der Platz, der immer wieder auch für andere Sportarten genutzt wurde, vom Grazer Sportclub bespielt. Die Initiative „Rettet die Gruabn“ setzt sich aktuell für einen Denkmalschutz der alten Holztribüne ein – als Relikt der Gruabn-Ära, einem facettenreichen Stück Stadtgeschichte.
Ausstellung zum Jubiläum: Die Gruabn / Das Herz von Sturm
Eröffnung: 25. April, 19 Uhr, bis 23. Juni 2019
GrazMuseum, Sackstraße 18