Die neue Sonderausstellung des Volkskundemuseums widmet sich dem Mythos Tankstelle. In Kooperation mit der WKO Steiermark werden Besucher auf eine historische, soziale und kulturelle Reise rund um diese oftmals unterschätzte Institution mitgenommen.
Text: Tabea Hänsel
„Wir wollen mit dieser Ausstellung die Tankstelle von gestern, heute und morgen zeigen, ihre Entwicklung vom reinen Spritversorger hin zum modernen Nahversorger“, meint der Obmann der Fachgruppe Energiehandel Jürgen Roth. Als Grundlage der Ausstellung diente die Arbeit von Studierenden am Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie der Universität Graz: Sie erforschten die Tankstelle als Ort der Begegnung – denn schon lange ist diese kein Ort der reinen Notwendigkeit mehr. Sie entwickelte sich zur Anlaufstelle für unterschiedlichste Bedürfnisse, etwa für einen Café zwischendurch oder für vergessene Lebensmittel am Sonntagabend. Vor allem aber erzählt sie Geschichten, etwa über die Freiheit oder das Überwinden gesellschaftlicher Grenzen. Entstanden ist so eine Sonderausstellung, in der die Kulturgeschichte dieser Orte gezeigt und auch ein Blick in die Zukunft geworfen wird. Mythos Tankstelle wurde zur Gänze von der WKO finanziert und von Ausstellungsdesign-Studierenden der FH JOANNEUM mit Liebe zum Detail gestaltet.
Vom ersten Automobil und der ersten Tankstelle in Österreich
Was viele nicht wissen: Die Stadt Graz und die Tankstelle haben eine bedeutende historische Verbindung. Denn im Zentrum, mitten am Jakominiplatz, wurde 1924 die erste Tankstelle Österreichs errichtet, die Benzin aus unterirdischen Behältern pumpte. Die Ausstellung erzählt außerdem die Geschichte der weltweit ersten Tankstelle und Überlandfahrt im Jahr 1888. Auf der über 100 Kilometer langen Fahrt von Mannheim nach Pforzheim musste Berta Benz, Ehefrau des deutschen Erfinders Carl Benz, notgedrungen das allererste Mal in der Geschichte tanken. Doch es existierten noch keine Zapfsäulen. Deshalb kaufte sie bei der Stadtapotheke in Wiesloch das Leichtbenzin Ligroin – bis heute ist diese „Ur-Tankstelle“ ein beliebter Versammlungsort für Oldtimertreffen.
Das Abenteuer der Berta Benz und ihren Söhnen wird für Besucher durch den originalgetreuen und fahrtüchtigen Nachbau des ersten Automobils lebendig. „Benz Nr. 1“ stellt das Herzstück der Ausstellung dar, die von Helmut Eberhart, Eva Kreissl und Assistent Johannes Maier kuratiert wird. Außerdem bringen Werbefilme aus dem 20. Jahrhundert Gäste zum Schmunzeln und schildern das Bild, das man damals von Tankstellen hatte. Bilder von architektonischen Innovationen faszinieren ebenso wie historische Zapfsäulen. Fehlt nur noch der Benzingeruch in der Luft. Weiteres Highlight ist das berühmte Fotobuch Twentysix Gasoline Stations des US-amerikanischen Künstlers Ed Ruscha. Seine mystisch wirkenden Schwarz-Weiß- Fotografien entlang der legendären Route 66 symbolisieren die Freiheit der Mobilität. Die ausgestellte Serie Sechsundzwanzig Grazer Tankstellen bei Nacht des Grazer Fotografen Philip Schütz, die eigens für die Ausstellung entstanden ist, erinnert an Ruschas Werk. Schütz führt mit seinen Bildern den Besuchern die ästhetische Faszination dieser Einrichtungen vor Augen, die besonders in der Dunkelheit zur Geltung kommt.
Zukunftsort Tankstelle
Tankstellen haben allerdings nicht nur historische Bedeutung, sie besitzen heute zusätzlich vielfältige Aufgabenfelder, denn sie dienen mittlerweile auch als Ersatzgeschäft und örtliches Kommunikationszentrum nach dem Verschwinden von Greißlern und Gasthäusern in ländlichen Gegenden. Tankstellen werden so zu Orten, „wo sich alle Gesellschaftsschichten treffen“, erklärt Kurator Helmut Eberhart. Ungewiss ist jedoch der nächste Abschnitt in der Geschichte der Tankstelle, denn rentable Automatentankstellen verdrängen Geschäftsmodelle inclusive Gastronomie und Service. Ob soziale Treffpunkte oder Stromladestationen mit Roboterarmen die Zukunft sind, wird sich zeigen.
„Mythos Tankstelle“ im Volkskundemuseum: Do, 11.4. – Mo, 6.1.2020