Wenn der Tanz blüht: Zeitgenössischer Tanz in Graz hat viele Gesichter. Eines davon ist Emese Horti, Mitbegründerin des neuen „tanzNetz Graz“. Ein Gespräch über Contemporary Dance als Kunst und faszinierende Ausdrucksform.
Text: Pia Moser
Anfang Mai hat „tanzNetz Graz“ als neue Interessenvertretung der freien Tanzszene seine Arbeit aufgenommen. Wie und warum soll die Grazer Tanzszene gestärkt werden?
Viele Gespräche im Rahmen eigener Projekte und mit externen Künstlerinnen und Künstlern haben gezeigt, dass der freien Szene eine Anlaufstelle fehlt, die sich voll und ganz auf ihre Interessen konzentriert. Wir möchten Tänzerinnen und Tänzer insbesondere dadurch stärken, indem wir sie vernetzen. Das Problem und gleichzeitig die Motivation für unsere Arbeit ist die Situation, dass die Grazer Szene in sich keine geschlossene Einheit ist. Viele arbeiten alleine, auch wenn der Wunsch nach Kooperationen da ist. Performance-Duos und Gruppen – wie etwa Navaridas & Deutinger, die neu gegründete Gruppe SubsTanz, das Duo Veza Fernandez und Christina Lederhaas oder die TanzCompany Ella – sind in Graz die Ausnahme.
Der Verein übernimmt damit auch die Funktion der IGTanz Steiermark, die sich zukünftig speziell auf den Trainingsbetrieb konzentriert. Was sind darüber hinaus wichtige Institutionen für Tanzende in Graz?
Durch die Zusammenarbeit der beiden Vereine sehen wir schon viele wichtige Aspekte abgedeckt, damit der Tanz in Graz weiterhin blühen kann. Aktuell erlebe ich die Szene als sehr lebendig, viel Neues ist im Entstehen. Neben der Internationalen Bühnenwerkstatt, die jährlich stattfindet und für die Künstlerinnen und Künstler sehr wichtig ist, sind das Kristallwerk, das Theater im Bahnhof sowie das Theater am Lend zentrale Spielstätten.
Gibt es einen klassischen Einstieg in den zeitgenössischen Tanz?
Laufbahn und Herkunft zeitgenössischer Tänzerinnen und Tänzer sind sehr breit gefächert. Manche haben eine professionelle Vorausbildung absolviert und werden nach Praktika bei Tanzkompanien irgendwann zum fixen Ensemblemitglied. Andere wiederum sammeln ihre ersten Erfahrungen in Laiengruppen und wachsen eher natürlich in diesen Bereich hinein. Auf der anderen Seite stehen jene Tänzerinnen und Tänzer, die reine Autodidakten sind. Auch davon gibt es viele.
Um auf der Bühne des zeitgenössischen Tanzes zu reüssieren, braucht es also nicht zwingend eine professionelle Ausbildung?
Ich selbst habe mich für eine zeitgenössische Bühnentanz-Ausbildung in Berlin und Israel entschieden, jedoch ist eine Ausbildung meiner Meinung nach kein Muss. Im klassischen Bereich wäre es ohne hingegen undenkbar. Ich erkenne aber eine wachsende Nachfrage, was den Trainingsbereich angeht: Immer mehr Tänzerinnen und Tänzer haben das Bedürfnis, Intensivtrainings zu absolvieren und Technik zu erlernen. Für mich persönlich ist gerade die Fusion von Technik und Anti-Technik das Spannende am zeitgenössischen Tanz.
Ist es diese Kombination von Freiheit und Technik, die zeitgenössischen Tanz zur Kunst macht?
Es sind jedenfalls zwei Extreme, mit denen eine zeitgenössische Tänzerin spielt: der überraschende Wechsel von einem sich seltsam bewegenden Körper hin zur perfekten Eleganz. Für mich fühlt sich das manchmal an wie Meditation. Aus diesem Grund halte ich gerne Teile meiner Choreografien für Improvisation frei: In der Offenheit und im Experimentieren kann ich auf die verinnerlichte Ressource Technik zurückgreifen – wodurch Ungeahntes entsteht. Der Fokus liegt dabei stets auf körpereigenen Bewegungen. Damit ist immer auch die Frage verbunden: Wie möchte sich mein Körper, jetzt in dieser Situation, wirklich bewegen?
Wie viel an technischem Können ist letztendlich nötig, will man Tanz als Kunst begreifen?
Manchmal braucht es gar keine Technik. Wenn etwa auf der Bühne ganz reduzierte, präzise choreografische Bewegungen passieren, dann hat das nicht viel mit Technik zu tun – und es wirkt trotzdem. Genau dieser Moment, der Ausbruch aus der Technik, macht das Wesen des zeitgenössischen Tanzes aus.
Professioneller Tanz ist im allgemeinen Verständnis eng mit Ehrgeiz und Leistung verknüpft. Wie verhält es sich im Contemporary-Bereich?
Ich war elf Jahre in der rhythmischen Sportgymnastik aktiv und komme aus einem sehr leistungsorientierten Bereich. Gerade diesen Leistungsgedanken musste ich mir abgewöhnen, um überhaupt tanzen zu können. Denn Leistung und Technik können im zeitgenössischen Tanz, meiner Erfahrung nach, sehr blockieren. Natürlich hängt die Frage der Leistung jedoch immer damit zusammen, was ich als Tänzerin erreichen möchte.
Worin liegen für Sie die spezifischen Erlebnisqualitäten dieser Tanzform?
Bei meinen Auftritten habe ich oft das Gefühl, dass nicht ich selbst, sondern mein Körper die Tänzerin ist. Dann kann ich das Treiben nur von außen beobachten – das sind spannende Momente. Speziell jede Solo-Performance ist eine krasse Reise. Denn es ist notwendig, mich ganz zu zeigen, wenn ich richtig tanzen will. Ich muss meine persönlichen Grenzen also übertreten, auch wenn das oft nicht leicht ist. Letztendlich ist es wunderschön, wenn man auf der Bühne zeigen kann und darf, wer man wirklich ist. Kunst und Performance berühren mich nur dann, wenn ich die Menschen dahinter wirklich spüren kann.
Ist zeitgenössischer Tanz eine „brotlose Kunst“?
Es ist kein Leichtes und oft ein Abenteuer, hauptberuflich als Tänzerin zu arbeiten. Aber es gibt in Graz durchaus Möglichkeiten, die man ausschöpfen kann, wenn man wirklich dahinter ist. Ich finde es problematisch, dass sich viele Tänzerinnen und Tänzer mit dem Fördersystem nicht auskennen – oder einfach nicht damit befassen möchten. Auch hier wollen wir mit dem „tanzNetz“ unterstützend wirken. Mit Blick auf den Status quo der Szene würde ich mir insgesamt mehr Mut wünschen, gerade von den Einzelkämpferinnen. Die Angst vor der Bürokratie sollte man überwinden. Denn gute Ideen gibt es viele.