Besucherinnen und Besucher tauchen in der aktuellen Ausstellung im Kunsthaus Graz in ein Netzwerk von Visionären, die seit den 1920ern an der Schnittstelle von Kunst, Medien und Gesellschaft wirken.
Text: Natalie Resch
Schräge Töne des beeindruckenden Maschinenorchesters als Hommage an das revolutionäre „Ballet mécanique“ von Fernand Léger, Dudley Murphy und George Antheil; fahrende Wände, eigens komponierte Musik und Lichtprojektionen formen einen Ort der ständigen Bewegung. Es sind Orte des Übergangs und netzwerkartiger Verbindungen, an denen sich Peter Kogler mit der technischen Reproduzierbarkeit von Bildern und ihrer (Massen-)Wirksamkeit auseinandersetzt. Die Grazer Bahnhofshalle ist ein solcher Ort, der von der Interaktion zwischen seinen Wandarbeiten aus den Jahren 2003 und 2013 und den sich in ständiger Bewegung befindlichen An- und Abreisenden lebt. Österreichs Medienkünstler der ersten Stunde formt großformatige Werke sich bewegender Elemente, die sich wieder zu neuen Bildern und Räumen zusammensetzen – und der „Betrachter“ ist Teil.
Ähnlich fühlen sich wohl die Besucher der Ausstellung Connected. Peter Kogler with …”, wenn sich die Rolltreppe mit ihnen in Bewegung setzt und den Space02 erreicht. Das pulsierende Innere von Koglers Bilderwelten. Angezogen von sich bewegenden, schwarz-weißen, dreidimensionalen Rohren, welche die Illusion von sich immer wieder aufs Neue vernetzenden Räumen erzeugen und ins Staunen versetzen. „Das Publikum wird selbst auf der Bühne sichtbar“, so der Künstler. Er verweist auf den visionären Architekten und Bühnenbildner Friedrich Kiesler und dessen Verständnis eines ganzheitlichen Ausstellungsraumes. Das Kunsthaus selbst ist Referenz auf Kieslers berühmtes endless house. Es sei Vorgabe und Limitation zugleich und greife die Tradition Kieslers auf, sein organisches Vokabular. So werden das Gebäude und seine Architektur wiederum Teil der Erzählung der Ausstellung.
Die alles umspannende Wandarbeit im Space02 ist eine eigens für die aktuelle Ausstellung konzipierte Übersetzung jener Bildtapeten, die Kogler 1997 bereits für die Wiener Secession im Siebdruckverfahren hergestellt hat. Sie stammen alle aus dem Bestand der ARTELIER COLLECTION, jener Sammlung, die aus der Tätigkeit von Ralph und Petra Schilcher und der Galerie und Edition Artelier entstanden ist, wo der Medienkünstler seine ersten Medienarbeiten realisiert und mit Künstlern wie Heimo Zobernig und Marcus Geiger zusammengearbeitet hat. „Jede Oberfläche wird von der sie begleitenden Technologie hervorgerufen“, so Kogler. An der Schnittstelle von Computergrafik, Film, Collage und Architektur setzt er sich seit 35 Jahren mit den technischen Möglichkeiten der Reproduzierbarkeit von Bildern auseinander.
Im Kunsthaus formt sich „in Korrespondenz zur Collage-Praxis des Künstlers ein mehrdimensionales Bezugssystem: Das geometrische Raster, bestehend aus mechanisch bewegten und fixen Vorhängen, mehr als 80 übereinander gereihten collagierten Bildern, Tapetenwänden, einem LED-Monitorraum und hängenden Stoffbahnen, formiert sich zu flexiblen Wänden. Die visuellen Muster stammen aus verschiedenen Schaffensphasen“, beschreibt die Kuratorin Katrin Bucher Trantow den sich ständig in Bewegung befindlichen Raum im Space02. In den groß angelegten Collagen aus Zeitungsartikeln, Zeitschriften und dem Internet, die ein Leitsystem der Information formen, sieht Bucher Trantow – die langjährige Begleiterin des Schaffens Koglers – eine mögliche Verortung subjektiver Erinnerungen jedes Einzelnen.
Unsichtbare Verbindungen
In seiner Beschäftigung mit den Aussagemöglichkeiten einer Bildsprache und ihrer Kraft, Gesellschaft zu gestalten, bezeichnet ihn Bucher Trantow als „Nachfolger, Verwerter und idealen Dialogpartner der Generation an Visionären“ seit den 1920ern. Visionäre verschiedener Disziplinen wie der Maler und Filmemacher Fernand Léger, die Möbeldesignerin und Architektin Charlotte Perriand, der Bühnenbildner Friedrich Kiesler, die Schauspielerin und Erfinderin Hedy Lamarr oder der Volkswirt Otto Neurath. Die Ausstellung Connected. Peter Kogler with … fördert spannende Verbindungen der einzelnen Akteurinnen und Akteure zueinander und in Bezug auf das zeitgenössische Wirken Koglers und des Kunsthauses an sich zutage. Klare zeitliche Zuschreibungen lösen sich zugunsten einer nicht linearen Geschichtsschreibung abseits der Großen der Wiener Moderne wie Gustav Klimt auf. Die Auswahl an Werken des Aufbruchs des Jahrhunderts in Verbindung mit zeitgenössischen Arbeiten, ikonischen Leihgaben und Archivmaterialien von Léger und Perriand macht die Netzwerke hinter Denkprozessen und künstlerischen Prozessen sichtbar.
Ballet mécanique
An der gemeinsamen Schau wurde seit drei Jahren gearbeitet. Ausgangspunkt war die Reflexion zum wegweisenden und revolutionären Ballet mécanique, das auch im Zentrum der Ausstellung steht: Dieses bis heute nachhallende Werk der 1920er-Jahre, eine interdisziplinäre Kooperation zwischen Fernand Léger, Kameramann Dudley Murphy und Musiker George Antheil, gilt als die erste surrealistisch-dadaistisch geplante Filmmontage in Verbindung mit mechanisierter Musik. In Erinnerung geblieben sei Peter Kogler eine Ausstellung Légers 1975 in der Galerie im Taxispalais. „In Légers Ballet mécanique bestechen zitathafte Bildformeln, die er in eine Repetition setzt und die in einem geradezu musikalischen Rhythmus aus Licht und Schatten eine große Wirkmacht entfalten. Virtuos nutzt er dabei die filmische Möglichkeit von Bildwiederholungen und getaktetem Bildrhythmus – vorgegeben durch die Abfolge der damals üblichen 22 Bilder in der Sekunde“, beschreibt Bucher Trantow die Faszination, die davon ausgeht. Uraufgeführt wurde das dadaistische Kunstwerk in Wien auf der berühmten Raumbühne Friedrich Kieslers 1924. Beinahe 100 Jahre später wurde es für das Kunsthaus neu inszeniert.
Das überwältigende Maschinenorchester für selbstspielende Pianolas bildet das pochende Herz der Schau im Space01. Entwickelt wurde es gemeinsam mit der Kunstuni Graz und dem Atelier Algorithmics unter der Leitung von Winfried Ritsch. Der Medienkünstler unterrichtet am Institut für Elektronische Musik. „Ein Glück. Nur wenige haben sich mit dieser Technik so intensiv auseinandergesetzt“, beschreibt Kogler eine jener glücklichen Verbindungen, welche den Spannungsbogen der aktuellen Ausstellung formen.
Connected. Peter Kogler with …
George Antheil with Friedrich Kiesler with Hedy Lamarr with Fernand Léger with museum in progress with Otto Neurath with Charlotte Perriand with Franz Pomassl with Winfried Ritsch with Franz West …
Bis 20.10.2019
Kunsthaus Graz, Lendkai 1, 8020 Graz