Nach seiner Karriere bei den Wiener Philharmonikern kehrt Thomas Lechner mit seinem Antrittskonzert „Ohne Grenzen“ an die Kunstuniversität Graz zurück. „Achtzig“ sprach mit dem Künstler über seine Unterrichtsphilosophie und die musikalische Überwindung von Grenzen.
Text: Bettina Leitner
Ihr Antrittskonzert trägt den Titel „Ohne Grenzen“. Wieso haben Sie sich für diesen Titel entschieden? Inwieweit ist Musik grenzenlos und wie wird sich dieses Thema im Programm des Konzertes widerspiegeln?
Hier fallen mehrere Schichten zusammen: Zum einen weist das Schlaginstrumentarium ein sehr breites Spektrum auf, sowohl in Bezug auf die Instrumente als auch auf die Literatur. Zum anderen wollte ich einen Titel wählen, unter dem ich gut Verbindungen herstellen kann: zwischen den Menschengruppen, den Menschen, die mir im Laufe meines Lebens wichtig sind und waren, Kompositionen wie auch Komponisten, zu denen ich einen speziellen Bezug habe. So wird beispielsweise mein Konzert mit einer Komposition von meinem Vorgänger bei den Wiener Philharmonikern eröffnet und in der Mitte wird eine Komposition von Eckhard Kopetzky, dem bedeutendsten Schlagzeugkomponisten der Gegenwart, gespielt, der mich in einer Zeit unterstützt hat, in der mich noch niemand kannte. Er hat meine Talente gesehen und immer an mich geglaubt. Darüber hinaus wird es auch eine Uraufführung von einem befreundeten Komponisten geben, mit dem ich bereits in der Schulzeit befreundet war. Ein wesentlicher Teil des Abends wird durch den Beitrag aller KUG-Studierenden unseres Bereichs bereichert und es ist mir ein Anliegen, dass beide Klassen, nämlich die von Ulrike Stadler und meine, im Konzert vertreten sind und auch hier Grenzen aufgelöst werden. Außerdem stehen ein Duo und ein Quartett mit meiner Kollegin sowie ein riesig besetztes Werk unter ihrer Leitung auf dem Programm. Was mich jedoch ebenso zu diesem Titel geführt hat, ist die Tatsache, dass in der Politik die Grenzen medial sehr präsent sind und dass weltweit zunehmend Mauern gebaut werden, die beispielsweise mit Musik überwunden werden können. Musik kann hier als Brücke dienen. In der Musik steht meines Erachtens immer das Verbindende über dem Trennenden. Im Endeffekt geht es also nicht so sehr um Grenzen, sondern um Verbindungen und Brücken.
„Kunst ist Leben. Und die Kunst kann nur aus dem Leben schöpfen. Das eine kann ohne das andere nicht“, lautet Ihre Philosophie. Wenn diese beiden Elemente ohne einander nicht können, wie hängen diese Bereiche dann zusammen?
Für mich muss Kunst immer etwas Lebendiges haben und aus dem Leben gegriffen sein, davon leitet sich dieses Zitat ab. Kunst muss man auch leben, das ist die Essenz, die hinter dieser Philosophie steckt.
Was hat Sie eigentlich zum Schlagzeug geführt?
Ich wollte immer schon Schlagzeug lernen. Ich kann mich noch ganz genau an eine Almwanderung mit meinen Eltern erinnern. Dort habe ich eine Band gesehen, deren Schlagzeuger mich vom ersten Moment an fasziniert hat, vor allem diese Lebendigkeit beim Spielen. Ich bin zudem in einer Musikerfamilie aufgewachsen; ich bin nicht in die Musik hineingewachsen, wie viele von sich behaupten, ich war immer schon von Musik umgeben. Mein Vater war in Bischofshofen Kapellmeister bei der Blasmusikkapelle, die wiederum mein Großvater gegründet hat, meine Schwester ist ebenso Hobbymusikerin und mein Onkel sogar Blechblasinstrumentenbauer. In meiner Familie bin ich jedoch der Erste, der kein Blechblasinstrument gespielt hat! Ich kann mich noch sehr gut an das Weihnachten erinnern, an dem ich mein erstes richtiges Schlagzeug bekommen habe, das Sonor force 3000. Später kam dann ein Xylophon dazu und erst mit 14 Jahren – als ich das Musikgymnasium und den Vorstudiengang besucht habe – habe ich eine Marimba bekommen. So wurden es im Laufe der Zeit immer mehr Instrumente.
Als neuer Professor für Schlaginstrumente an der Kunstuniversität Graz sind Sie nun mit einer bedeutenden Aufgabe betraut: Mit der Ausbildung der nächsten Musikergeneration. Was ist Ihnen hierbei besonders wichtig?
Ich sehe mich in erster Linie nicht nur als klassischen „Schlagzeugprofessor“, sondern vielmehr als Wegbegleiter der Studierenden, die ihren Weg oder ihre Bestimmung finden wollen. Ich bin nicht der Auffassung, dass auch all diese jungen Menschen Orchestermusiker werden sollen, sondern ich möchte ein möglichst breites Ausbildungsspektrum anbieten. Zuerst muss es zwar immer eine fundierte handwerkliche Ausbildung geben, doch darüber hinaus spielen besonders auch die menschlichen und sozialen Kompetenzen eine bedeutende Rolle, gerade auch in der Musikwelt, denn hier spielen alle zusammen. Nur durch ein Miteinander, Rücksichtnahme und Zusammenhalt kann ein musikalisches Meisterwerk entstehen und die Menschen daraus Kraft schöpfen; und genau das den Studierenden klarzumachen sehe ich auch als eines meiner Ziele an der KUG an.
Was macht eine hochqualitative Ausbildung im Bereich der Schlagzeugmusik aus und wie setzen Sie diese Anforderungen um?
Dadurch dass das Instrumentarium so breit gefächert ist, muss zuerst eine gute handwerkliche Basis gelegt werden. Ich fange mit meinen Studierenden meist mit der kleinen Trommel an, damit für das Handwerkliche überhaupt einmal ein Bewusstsein geschaffen wird und damit die jungen Musiker begreifen, dass die Arbeit mit dem Schlagzeug alle Sinne umfasst. So ist es auch mein Ziel, schon von der ersten Unterrichtseinheit an, dieses Gespür auszubilden und zu verschärfen, sodass die Studierenden mit der Zeit auf alle Sinne bewusst zurückgreifen können – dahinter steckt das Prinzip der rotierenden Aufmerksamkeit. Um das zu erreichen, trainiere ich mit den jungen Menschen auch gezielt die einzelnen Wahrnehmungen und arbeite dann zum Beispiel auch mit Augenbinden, damit sich die Lernenden nur auf einen Sinn konzentrieren können. Wenn bei einigen schon bestimmte Sinne gut ausgeprägt sind, dann konzentriere ich mich mit meiner Arbeit und Unterstützung auf die anderen Kanäle, hier wirke ich quasi als ausgleichender Katalysator.
Gibt es ein persönliches Ziel, das Sie sich für Ihr Amt vorgenommen haben oder im Laufe Ihrer Professur erreichen wollen?
Mein persönliches Ziel ist es, dass die Studierenden, die abschließen, nach ihrem Studium ein über die Musik erfülltes Leben haben. Wenn sie jedoch während ihres Studiums bemerken, dass das Musizieren doch nicht ihre Lebensaufgabe ist, dann sehe ich meine Arbeit auch als erfüllt an. Das kommt nicht so selten vor, dass Studierende nach einigen Semestern einen anderen Weg gehen.
Wie groß ist zurzeit der Andrang, sich an der Universität als Schlagzeuger ausbilden zu lassen?
Die Tendenz ist klar steigend, weil sich die unterschiedlichen Richtungen und Nischen immer weiterentwickeln. Es gibt im Studium schon die grundlegende Unterscheidung in Jazz, worunter man ein klassisches Drumset-Studium versteht, und Klassik, was quasi die restlichen Instrumente umfasst. Doch dadurch, dass das Instrumentarium so breit aufgestellt ist und es auch zahlreiche Subgattungen in der Stilistik gibt, steigt auch das Studienangebot, beziehungsweise die Studienrichtungen. Man kann sich das wie einen Baum vorstellen, der fast bis zum Himmel hinauf wächst und bei dem sich die Äste immer weiter und weiter verzweigen.
Oft geistert das Klischee in den Köpfen der Menschen herum, dass, wenn man es nach der Ausbildung nicht ins Orchester schafft, man Musikschullehrer wird. Was ist daran wahr und wie stehen Sie dazu?
Ich denke, das ist eher eine Einstellung von früher. Bestimmt hat es vor mehreren Jahren noch den Ansatz gegeben, dass man sich dann als Musikschullehrer beworben hat, aber diese Gedanken sind heute weitestgehend überholt und auch nicht adäquat, denn dies sind zwei ganz unterschiedliche Aufgabenbereiche. Wenn ich Orchestermusiker werden möchte und das immer wieder ohne Erfolg versuche, dann entsteht oft ein enormer Frust. Die Entscheidung, dann in die Musikschule unterrichten zu gehen, fällt unter diesen Voraussetzungen selten auf einen fruchtbaren Boden, da ich meinen Frust an die jungen Menschen weitergebe, die ihre musikalische Entwicklung und Karriere noch vor sich haben. Das ist keine gesunde Entwicklung für die Gesellschaft; der Musiklehrer hat somit eine viel größere Aufgabe als das Lehren von Noten und gesellschaftspolitisch betrachtet auch einen viel höheren Stellenwert als ein Orchestermusiker. Deshalb muss man diesbezüglich während des Studiums schon die Weichen stellen und darauf hinweisen, dass dies zwei ganz unterschiedliche Aufgabenbereiche sind, in denen man exzellent sein muss. Deshalb ist es mir auch sehr wichtig, dass diesbezüglich ein neues Bewusstsein geschaffen wird.
Ein abschließender Satz: Welches Motto oder welche Gedanken möchten Sie Ihren Studierenden mit auf den Weg geben?
Egal was man macht, es muss mit Freude und Leben erfüllt sein! Wenn man der Musik dient, also der Musik wegen musiziert und nicht nur, um Geld zu verdienen, dann lebt der Geist und das Wesen der Musik weiter. Zuerst kommt das Dienen, dann das Verdienen.
„Ohne Grenzen“: Mi, 22.1.2020 um 19.30 Uhr im MUMUTH, György-Ligeti-Saal