Design und Kunst. Ein Spannungsfeld mit großem Synergiepotenzial. „Achtzig“ sprach mit Bürgermeister Siegfried Nagl und Kreativkoordinator Wolfgang Skerget über zwei Disziplinen mit einem gemeinsamen Nenner.
Text: Bettina Leitner / Stefan Zavernik
Das maßgebende Element ist immer die Kreativität, in der Kunst wie auch im Design. Dennoch hält sich die Meinung, dass sich diese beiden Disziplinen drastisch voneinander unterscheiden, dass sie letzten Endes im Widerspruch zueinander stehen. Eine überholte Ansicht?
Siegfried Nagl: Für mich persönlich schon, denn für mich ist Design Kunst. All diese Begriffe wie Kunst, Kultur und Design stammen aus der gleichen Familie. Dennoch gibt es in meinen Augen wesentliche Unterschiede: Während Kunst den Menschen berührt, ihn zum Nachdenken anregt, ihn vielleicht auch provoziert und aus schwierigen Lebenssituationen entfliehen lässt, erfüllt Design immer auch eine Funktion. Dabei spielt auch die jeweilige Umgebung eine maßgebende Rolle. Design steht nie für sich alleine.
Wolfgang Skerget: Auch aus meiner Sicht ist der kreative Prozess hinter Kunst und Design immer der gleiche. Es macht keinen Unterschied, ob am Ende ein Kunstobjekt entstanden ist, eine wissenschaftliche Erkenntnis oder ein delikates Gericht.
Kann demnach überhaupt Kunst zu Design werden oder Design zu Kunst?
Siegfried Nagl: Man muss sich hier auch vor Augen halten, dass beides Neues hervorbringt. Ob man sich mehr als Künstler fühlt oder als Designer, ist nebensächlich. Das Neue, das hier entsteht, ist für mich das Faszinierende; dieser gemeinsame Nenner lässt sich mit dem Überbegriff des „Kreativen“ sehr gut darstellen. Ich verstehe aber auch, dass sich Künstler und Designer oft kritisch begegnen, denn schlussendlich stehen sie im Wettbewerb zueinander. Das ist mit Sicherheit eine Herausforderung, die zugleich auch sehr befruchtend sein kann.
Wolfgang Skerget: Nachdem der kreative Prozess immer derselbe ist, kann in meinen Augen das Ergebnis eines Designers durchaus auch Kunst sein. Wenn ich an die jungen Absolventinnen und Absolventen aus den unterschiedlichen Kreativstudiengängen denke, diese changieren ständig zwischen den beiden Polen hin und her, weil sie von ihrem Schaffen auch leben müssen.
Seit acht Jahren widmet sich Graz mit „City of Design“ ganz konkret der Aufgabe, einen Nährboden zu schaffen, auf dem sich die kreative Szene wohlfühlt und gedeihen kann. Haben Sie nach acht Jahren ein Patentrezept gefunden, wie man die Kreativszene effektiv unterstützt?
Siegfried Nagl: Ich suche nicht nach Patentrezepten, ich schaffe Rahmenbedingungen. Dabei muss man sich zuerst einen Überblick verschaffen, was bereits vorhanden ist, worauf man aufbauen kann. Etwas zu verpacken, was es nicht gibt, halte ich für eine komplette Fehlentwicklung. Demnach werden in unseren Projekten die vorhandenen Ressourcen genützt und dienen als Fundament für Neues. Mir liegt sehr viel daran, unsere „Stadt der Gegensätze“, die wir letztendlich durch das reiche Kulturerbe der Altstadt und der innovativen Neustadt auch sind, als eine Marke zu etablieren. Das Thema Design gibt uns hier die Chance, uns auch international zu positionieren. Wenn ich mein Graz sehe, dann sehe ich auch die modernste Stadt Österreichs, eine smarte kleine Schwester von Wien, die auch sehr schnell wächst: Die Creative Industries Styria (CIS), der Kreativcluster der Steiermark, hat 1.100 Mitglieder, davon sind 630 aus Graz. In diesem Sektor verfügt die Steiermark über 16.100 Arbeitsplätze, 8.850 in Graz. Wir sehen also, dass sehr viele Grazerinnen und Grazer ihren Lebensunterhalt in der Kreativbranche bestreiten. Somit haben wir die besten Chancen, auf dem Kreativsektor wahrgenommen zu werden, und genießen gleichzeitig das Privileg, unser Lebensumfeld selbst gestalten zu können.
Wolfgang Skerget: Graz ist eine international bekannte Kulturstadt. Zudem genießen die Grazerinnen und Grazer eine sehr hohe Lebensqualität in einer grünen Umgebung. Dazu kommt das wirtschaftliche und kulturelle Angebot einer Großstadt. Wir leben hier somit „the best of both worlds“. Der Leitsatz des UNESCO-Netzwerks lautet: „Ein Städtenetzwerk zu bilden, das eine menschengerechte und nachhaltige Stadtentwicklung mit dem Treibmittel der Kreativität fördert“. Schöner kann man es kaum ausdrücken und es trifft exakt auf Graz zu.
Kommt jeder Mensch als kreativer Geist auf die Welt?
Siegfried Nagl: Ja, für mich sogar unter Garantie. Die Frage ist nur, wie der persönliche Lebensweg in weiterer Folge gepflastert ist, wie man gefördert wird. In manchen Familien nimmt die Kunst einen essenziellen Bestandteil des alltäglichen Lebens ein, in anderen ist dies beispielsweise eher der Sport. Die künstlerische Ader alleine reicht nicht aus, sie muss auch gefördert werden. Mit einem Kind nur in eine Ausstellung zu gehen ist zu wenig. Kinder wollen und sollen selbst etwas ausprobieren dürfen, selbst kreativ sein. Denn dann können sie überhaupt selbst erkennen, dass sie das Potenzial und die Kunst auch in sich tragen. Sie erkennen, welche Prozesse und Gefühle dahinterstehen – und genau das wollen wir auch in Zukunft weiter fördern. Graz braucht kreative Geister.
Kann man nun nach diesen 8 Jahren sagen, was es braucht, um einen Designer zu unterstützen und zu fördern?
Wolfgang Skerget: Man kann nicht alle Prozesse in diesem Sektor gestalten, da steckt viel Eigendynamik dahinter. Was man allerdings tun kann, ist einen Humus zu legen, um das Wachsen der Kunst- und Kreativszene erst zu ermöglichen. Man könnte das gut mit einer Gießkanne vergleichen. Diese ist am Anfang das richtige Instrument, um einen Anstoß zu geben. Wenn das Wachstum weiter nach oben geht, muss man wiederum ausdünnen, damit man die Besten fördern kann. Qualität muss sich durchsetzen. Hier bietet Graz hervorragende Rahmenbedingungen mit zahlreichen Förderungen.
Siegfried Nagl: Ich habe es in dieser Frage nicht eilig. In der heutigen schnelllebigen Welt muss immer alles messbar sein und Erfolge müssen sich immer sofort sichtbar einstellen. Aber ich sehe das gerade im Kreativbereich anders: So viele Menschen haben Freude an ihrem künstlerischen Schaffen, das sind glückliche Mitbürger. Ob die Saat, die jetzt gesät wird, im Jahr 2020 oder 2030 aufgeht, das spielt eine nebensächliche Rolle. Kunst kann auch nur so Teil der Gesellschaft werden, wenn man die individuellen Prozesse zulässt und ihnen die Zeit gibt, die sie brauchen. Alle können wachsen, wir möchten möglichst viele Menschen fördern und vor allem wollen wir Netzwerke schaffen. Das sind zum einen die Fachhochschulen und die Universitäten und zum anderen die Unternehmen. Vor allem die internationalen Netzwerke, in denen wir aktiv sind, machen den Blick nach draußen überhaupt erst möglich. Durch diese wird die Stadt Graz auch international als Kreativstadt wahrgenommen. Was aus meiner Sicht jedoch noch fehlt, ist ein eigenes Designmuseum.
In einem Designmuseum wird die beste Qualität zur Schau gestellt. Wie kann man nun Design bewerten? Was macht gutes, was macht schlechtes Design aus?
Siegfried Nagl: Kunst ist qualitativ gut, wenn sie mich emotional anspricht und auf neue Gedanken bringt. Für mich emotionalisiert Design nicht so sehr, wie es die Kunst kann. Design kann aber sehr wohl auch für unglaubliches Wohlbehagen sorgen. Es macht Freude, sich mit unterschiedlichen Designobjekten auseinanderzusetzen. Generell kann man aber doch sagen, dass in der Kunst das Schöne, das ästhetisch Ansprechende wieder mehr und mehr ins Zentrum gerückt wird. Diese Entwicklung lässt sich meines Erachtens auch auf den Bereich des Designs übertragen, ohne jetzt genau festlegen zu wollen, was ein gutes Design ausmacht.