Start Kunst & Kultur Kunst zur Fastenzeit: Auf der Suche nach dem Paradies

Kunst zur Fastenzeit: Auf der Suche nach dem Paradies

Mit Bildern von Essen, Wasser und Feuer begehen das Kulturzentrum bei den Minoriten und die St.-Andrä-Kirche dieses Jahr die Aschermittwochsliturgie, die gleichzeitig Eröffnungsakt für die Fastenausstellung 2020 im Kultum ist.

Text: Lydia Bißmann

Auch heuer gibt es in der Kunstkirche St. Andrä wieder eine Aschermittwochliturgie, die zeitgenössische Kunst in den Kirchenkreis einbindet. Neben Installationen der Künstler Erwin Lackner und Franz Konrad gibt es hier ab 19 Uhr eine Lesung der aktuellen Stadtschreiberin Volha Hapeyeva und Miniaturen für Orgel aus der Neuen Musik von Alexander Bauer, Matthias Leboucher, Adam McCartney, Veronika Mayer und Christoph Herndler in der Uraufführung zu hören, bevor die Liturgie in den Wortgottesdienst und die Aschenkreuzverteilung mündet. Zwei Werke von Erwin Lackner dominieren inhaltlich und auch körperlich den Auftritt der diesjährigen Feier in der St.-Andrä-Kirche. Unübersehbar an den Sitzbänken angebracht sind 40 Bilder seiner Foodporn-Serie, die aus von Usern auf Facebook und Instagram geposteten Essensbildern bestehen. 40 Tage wird vor Ostern gefastet. Die Zahl der Bilder, die farblich an knallig bunte Abbildungen aus Dr.-Oetker-Kochbüchern der 50er-Jahre erinnern, ist jedoch rein zufällig entstanden. Sie stehen, ganz nahe an die Besucher gerückt, für eine Wohlstandsgesellschaft, die im Überfluss erstickt und sich in der Sinnsuche verzettelt. Der absichtliche Verzicht, die temporäre Askese ist längst zu einem Lifestyle-Verhalten geworden, das nicht nur vor dem Karfreitag stattfindet. Das „Nichts”, also das Weglassen von etwas, wird inszeniert und in Szene gesetzt genauso wie ganz gewöhnliche Vorgänge des Alltags wie eben das Zubereiten einer Mahlzeit. Das Wort „Teilen” hat inzwischen aber einen schalen Geschmack bekommen. Geteilt werden einerseits Bilder, die mit Filtern versehen eine Realität vorgaukeln – auf der anderen Seite werden Zäune hochgezogen und Visumbestimmungen gebastelt, weil man an diesem Wohlstand, diesem Überfluss und Überdruss bestimmte Individuen nicht teilhaben lassen möchte. Parteien mit hartem Migrationskurs sind groß in Mode in ganz Europa und auch in Österreich. Genau darauf zielt Lackners Objekt „Kreuzfahrt“ ab.

Schiff und Schlauch

Direkt vor dem Altar wird eine Skulptur aufgestellt sein, die aus zwei Segelbooten besteht, die wie im Andreaskreuz im dahinterliegenden Hochaltar im rechten Winkel übereinander gelegt sind. Spätestens seit der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 ist es unmöglich geworden, bei Booten oder Schiffszubehör nicht an verzweifelte Menschen in Rettungswesten, am Migration und Elend zu denken. Erwin Lackner, Mitgründer der Gruppe 77, Mitglied der Grazer Secession und Träger mehrerer Förderpreise, spannt hier einen knisternden Bogen zwischen Mangel und Überfluss im Kirchenraum. Im Wort Kreuzfahrt klingt auch die immer beliebter werdende, extrem umweltschädliche Urlaubsform mit. Gleichzeitig sind Schiffe oft der letzte, lebensgefährliche Ausweg für Menschen auf der Flucht. Ein anderes gefährliches wie nützliches Element wird von Franz Konrad bearbeitet. Er studierte Architektur in Graz, arbeitete für Coop Himmelb(l)au in Mexiko und ist aktuell im Atelier Schaumbad tätig. Seine Stuhl-Skulpturen aus Feuerwehrschläuchen und ein Wandgemälde, das die brennende Notre-Dame als Thema hat, nehmen das Thema im hinteren Kirchenraum auf und spinnen es weiter. Die Bilder des brennenden Vierungsturm der historischen Kirche in Paris füllten damals die sozialen Netzwerke und ließen auch Menschen, die die Kathedrale nur aus Disney-Filmen kennen, an der Tragödie teilhaben. Sie steht für die Fragilität der abendländischen Kultur und liefert mit den orangenen Löschschläuchen gleichzeitig einen Apell für die Notwenigkeit einer Lösung oder zumindest eines aufrichtigen Diskurses.

Erwin Lackner, vor seiner „Foodporn-Serie“ (2018/19)
Foto: Johannes Rauchenberger

Schatten und Licht der Paradiese

Das Graz Kulturjahr 2020, das unter dem Motto „Wie wir leben wollen“ steht, schwingt auch in die Fastenausstellung im der Galerie Kultum mit hinein. Die Suche nach dem Paradies, der Verzicht darauf, die Konfrontation mit dem Luxus auf der einen und mit dem allgemeinen Leid dieser Welt ist das Zentrum dieser Ausstellung in der Fastenzeit 2020, die bis zum 21. März zu sehen sein wird. Die Foodporn-Bilder von Erwin Lackner wandern nach dem Aschermittwoch in die Ausstellungsräume der Galerie. Eine Videoinstallation hält die Kirchen-Intervention für die Besucher fest. Hier sind auch die Zyklen Paradies, der Kreuzweg und die Bibel-Koran-Installation KoMBI zu finden. Kreuzfahrer anderer Art sind ja auch jene gewesen, die im Mittelalter den Orient christianisieren wollten. Die Verschmelzung der beiden heiligen Bücher in einem Kunstobjekt begleitet hier auch das Gegenstück zum Bootskreuz in der St.-Andrä-Kirche. Hier ist es in beschnittener und reduzierter Form zu sehen. Der Konflikt zwischen den beiden Hauptreligionen besteht noch immer, wird nicht in Ruhe gelassen und von Populisten für sich genutzt. Einen ähnlichen Konflikt bearbeitet das Messkleid von Franz Konrad im Stiegenaufgang. Es legt einen Link zum Kunstgeschehen in der Andrä-Kirche. Statt religiöser Darstellungen sind hier spielende Kinder, Kreuzfahrt-Touristen und ein einsamer Eisbär auf einer Scholle zu sehen. Paradise der einen, die auf Kosten anderer geschaffen werden.

Iris Christine Aue, „Mit Dir (Himmel und Hölle)“

Seelenorigami und stachelige Pflanzen

Die junge, in Wien aufgewachsene und in Graz wohnhafte Künstlerin Iris Christine Aue widmet sich in Graz ihrer ersten Graz-Schau der schmerzhaft-schönen Erfahrung der Begriffe Paradies und Liebe. Essen ist ja auch ein Zeichen und Symbol der Zuneigung. Liebe ist nicht nur angenehm und schön, sie funktioniert nicht ohne Schmerz und Verlust. Zum Thema „Himmel & Hölle“, das gefaltet auch als bekannte Falt-Skulptur zu sehen sein wird, stellt sie in papierene Skulpturen Selbst- und Fremdwahrnehmung auf die Probe. Ihre Objekte gehen unter die Haut. Teils sind das gezeichnete Gesichter und Körper, die sie zerschneidet und wieder zusammennäht, teils sind es Unkrautpflanzen wie die Distel, die mit einem Skalpell trennt und dann wieder zu einem Bild assembliert. Auf kleinen Kärtchen aus Büttenpapier schreibt sie Zitate wie: „Wenn Du von der Liebe sprichst, vergiss die Disteln nicht“, „Your words cut deeper than knives“, oder die verheerenden Worte Herodes an die Tänzerin Salome: „Was Du auch willst, ich werde es dir geben.“ Die feinen Striche ihrer Zeichnungen werden durch die Schnitte noch ein- und noch ausdrucksvoller, als sie es ohnehin sind. Wie kommen wir dazu, bestimmte Pflanzen als Unkraut zu definieren und andere nicht? Wer darf im materialistischen Paradies wohnen und wer muss draußen bleiben? Aue hat in Linz und Oslo Kunst studiert, in ganz Österreich, Norwegen und in den USA ausgestellt und ist Trägerin des Diözesan-Kunstpreises und des Theodor-Körner-Preises.

Feuerwehrschlauch als Bespannung für den Priestersitz von Franz Konrad

Die Ausstellung im Kultum wurde von Johannes Rauchenberger kuratiert und umgesetzt. Auf fesselnde, sensible und sehr zugängliche Art und Weise wird hier die Aufgabe der zeitgenössischen bildenden Kunst und der katholischen Kirche deutlich, aber ohne mahnenden Zeigefinger unterstrichen. Eine wunderschöne und berührende Art und Weise, die Fastenzeit zu begehen, die sich über Konfessionen hinweg setzt und auch bestens für Agnostiker eignet.       

Kunst zur Fastenzeit 2020

Kultum Galerie, Kulturzentrum bei den Minoriten, Mariahilferplatz 3,8020 Graz

Ausstellungseröffnung: 26.2.2020, 17 Uhr, mit Beiträgen von Iris Christine Aue, Erwin Lackner, Franz Konrad. Ausstellungsdauer: 27.2. bis 21.3.2020

Aschermittwochsliturgie St.-Andrä-Kirche, Kernstockgasse 9, 8020 Graz 26.2.2020, 19 Uhr.

Mit Beiträgen von Erwin Lackner, Franz Konrad, Volha Hapeyeva, Alexander Bauer, Matthias Leboucher, Adam McCartney, Veronika Mayer, Christoph Herndler. Installationsdauer St. Andrä: 26.2. bis Karfreitag, 10.4.2020

www.kultum.at